Interview

"Werwolf-Syndrom" bei Hunden: Das sagt eine Münchner Tiermedizinerin

Das deutschland- und europaweit verschärft auftretende "Werwolf-Syndrom" bei Hunden beschäftigt auch die Münchner LMU-Professorin Andrea Fischer. Ein AZ-Interview.
von  Guido Verstegen
Zu den schweren neurologischen Symptomen bei den Hunden gehören plötzliche Panikattacken, unkontrollierte Bewegungen, Jaulen und seltener im späteren Verlauf epileptische Anfälle. (Symbolbild)
Zu den schweren neurologischen Symptomen bei den Hunden gehören plötzliche Panikattacken, unkontrollierte Bewegungen, Jaulen und seltener im späteren Verlauf epileptische Anfälle. (Symbolbild) © imago/Westend61

München - Seit August 2024 tritt deutschlandweit und auch im europäischen Ausland eine auffällige Häufung von Hunden mit sehr akuten und schweren neurologischen Symptomen auf (AZ berichtete).

Tierneurologen und Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität haben gemeinsam mit der Klinik für Kleintiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover eine Studie zu diesem "Werwolf-Syndrom" in Angriff genommen.

Das "Werwolf-Syndrom": Wenn Ihr Hund plötzlich heult wie ein Wolf 

Der Begriff wird hier umgangssprachlich und nicht als tierärztlicher Terminus verwendet: Die Hunde heulen nämlich oft wie ein Wolf. Auch die Anicura-Tierklinik in Haar (Landkreis München) meldet seit Sommer acht mit dem "Werwolf-Sydrom" erkrankte Fälle. "Es gibt aber Hoffnung, das Geschehen scheint abzuebben", sagte Dr. Thomas Rieker, Head of Medical des Anicura-Klinikverbundes, am Mittwoch der AZ.

Vermutet wird eine Vergiftung durch derzeit noch unbekannte Toxine in bestimmten Rinder-Kauknochen. (Symbolbild)
Vermutet wird eine Vergiftung durch derzeit noch unbekannte Toxine in bestimmten Rinder-Kauknochen. (Symbolbild) © Fredrik Von Erichsen/dpa

In Einzelfällen gehen die Hunde die Wände hoch oder wollen aus dem Fenster springen

Die Münchner Professorin Andrea Fischer (63) leitet die Abteilung Neurologie an der Medizinischen Kleintierklinik am Zentrum für Klinische Tiermedizin der LMU und erläutert im Gespräch mit der AZ die Hintergründe.

Professor Andrea Fischer leitet die Abteilung für Neurologie, Neurochirurgie und Epilepsie an der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Professor Andrea Fischer leitet die Abteilung für Neurologie, Neurochirurgie und Epilepsie an der Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. © LMU München

Frau Fischer, worüber sprechen wir beim "Werwolf-Syndrom" genau?
ANDREA FISCHER: Bei den Tieren treten plötzlich Episoden mit akuten schweren Verhaltensänderungen auf. Zu der Kombination klinischer Zeichen gehören plötzliche Verhaltensänderungen und zeitweise unkoordinierte Bewegungsabläufe sowie episodische, extreme Aufregung, Panikattacken mit Heulen, Unruhe und Schreien. Das sind mitunter so schlimme Angstzustände, dass die Hunde nach Angaben der Besitzer in Einzelfällen die Wände hochgehen oder aus dem Fenster springen wollen.

Andrea Fischer: "Auch im Münchner Raum sehen wir eine auffallende Häufung"

Wie viele Fälle sind es in München respektive in Bayern?
Die Dunkelziffer ist aufgrund der unspezifischen Symptome vermutlich groß, bis Dezember wurden im deutschsprachigen Raum etwa 40 betroffene Hunde bei spezialisierten Tierneurologen identifiziert, und auch im Münchner Raum sehen wir eine auffallende Häufung. Wir arbeiten unter anderem mit der Tierklinik in Haar zusammen. Wichtig sind eine gründliche Untersuchung und Ausschlussdiagnostik, um andere Ursachen ausschließen zu können. Proben von Blut, Urin oder auch der Mageninhalt sollten unbedingt asserviert werden.

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Von wie vielen Fällen sprechen wir in München respektive in Bayern?
Die Dunkelziffer ist aufgrund der unspezifischen Symptome vermutlich groß, bis Dezember wurden im deutschsprachigen Raum etwa 40 betroffene Hunde bei spezialisierten Tierneurologen identifiziert, und auch im Münchner Raum sehen wir eine auffallende Häufung. Wir arbeiten unter anderem mit der Tierklinik in Haar zusammen. Wichtig sind eine gründliche Untersuchung und Ausschlussdiagnostik, um andere Ursachen ausschließen zu können. Proben von Blut, Urin oder auch der Mageninhalt sollten unbedingt asserviert werden.

Andrea Fischer: "Es konnte noch kein Gift identifiziert werden" 

Vermutet wird ein Zusammenhang mit Rinder-Kauknochen.
Das ist richtig. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in anderen Ländern und hat schon zum Rückruf von Kauknochen in benachbarten Ländern geführt. Es konnte aber noch kein Gift identifiziert werden. Wir arbeiten eng mit den zuständigen Behörden zusammen, untersuchen Futtermittel sowie Körperflüssigkeiten der betroffenen Hunde. Neurologische Untersuchungen – also auch MRT oder Gehirnwasseranalysen – können im Einzelfall zur weiteren Abklärung und zum Ausschluss anderer Ursachen wie Infektionen, Autoimmunerkrankungen und Tumoren notwendig sein. Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover rufen wir die Besitzer von betroffenen und nicht betroffenen Hunden zur Teilnahme an einer epidemiologischen Studie auf.

"Viele Fälle des Werwolf-Syndroms werden auch in unserer Epilepsiesprechstunde vorgestellt"

Nicht umsonst gibt es in Ihrer Abteilung seit 2021 die Spezialsprechstunde "Epilepsie behandeln bei Hunden und Katzen".
Epilepsie ist die häufigste chronische neurologische Erkrankung des Hundes. Das Leben mit einem an Epilepsie erkrankten Haustier verändert auch das eigene Leben. Die Tierbesitzer brauchen in dieser Situation einen erfahrenen Ansprechpartner. Viele Fälle des Werwolf-Syndroms werden auch in unserer Epilepsiesprechstunde vorgestellt. Die Symptome des Werwolf-Syndroms bessern sich aber wieder, und die Hunde müssen aller Voraussicht nach nicht lebenslang behandelt werden.

Was raten Sie Hundebesitzern, die die Symptome bei ihrem Hund beobachten?
Sie stellen ihre Hunde am besten bei uns oder bei einem Tier-Neurologen vor (www.tier-neurologen.de, d. Red.). Sollte der Verdacht bestehen, dass der Hund mit Kauspielzeugen oder Rinderhautknochen gefüttert wurde, sollte das sofort mitgeteilt werden.


Die LMU-Tiermediziner haben eine große Fragebogenaktion gestartet und "inzwischen schon Tausende Hinweise" erhalten. "Wir brauchen eine fundierte epidemiologische Studie", sagt Andrea Fischer. Betroffene Hundebesitzer können sich unter diesem Link an der Datenerhebung beteiligen oder sich unter der E-Mail-Adresse info@medizinische-kleintierklinik.de informieren.

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