Interview

"Wenn Frost kommt, sind die tot": Warum manche Bäume in München nicht überleben können

Hitze, Starkregen, viel Beton und trotzdem harte Winter: Münchens Bäume kämpfen mit dem Klimawandel. Ein Experte erklärt, welche Baumarten die Stadt in Zukunft noch pflanzen kann. Und warum es Unsinn ist, wenn Bürger selbst Bäume gießen.
von  Christina Hertel
An der Willibaldstr.70 befindet sich die Städtische Baumschule, hier wird getestet, welche Bäume klimafit sind.
An der Willibaldstr.70 befindet sich die Städtische Baumschule, hier wird getestet, welche Bäume klimafit sind. © Sigi Müller

München - Der Klimawandel macht den Bäumen in München zu schaffen. Leander Wilhelm, Chef der städtischen Baumschule, ist deshalb auf der Suche nach neuen Baumarten. In der AZ erklärt er, warum heute anders gepflanzt wird als früher und warum man noch lange warten muss, um zu wissen, welche Baumsorten sich in der Stadt durchsetzen können.

AZ: Herr Wilhelm, wie geht's den Münchner Bäumen?
LEANDER WILHELM: Es ist deutlich zu erkennen, dass durch die Extremwetterereignisse in den vergangenen Jahren, also wenig Regen oder lange Hitzeperioden, die Bäume ganz schön gestresst sind.

Leander Wilhelm (61) kennt wahrscheinlich jeden Baum der Stadt - zumindest die in Riem. Denn dort hat er alle Bäume selbst ausgesucht.
Leander Wilhelm (61) kennt wahrscheinlich jeden Baum der Stadt - zumindest die in Riem. Denn dort hat er alle Bäume selbst ausgesucht. © Sigi Müller

Extremwetter schwächt Münchens Bäume: Im August waren schon alle Hainbuchen braun

Woran erkennt man das?
Dieses Jahr hat man gesehen, dass die Hainbuchen, die überall in der Stadt stehen, im August schon alle braun waren. Hainbuchen vertragen Hitze und Trockenheit nicht gut.

Wie vielen Bäumen in München geht es nicht so gut?
Das kann man schwer sagen. Wir sind gerade dabei, ein Baum-Entwicklungskonzept für München zu erstellen. Innerhalb des Mittleren Rings haben wir alle Bäume aufgenommen und von jedem die Vitalität erfasst. Dieses Konzept wird nächstes Jahr dem Stadtrat vorgestellt. Dann kann man ziemlich genau sagen, welche Schädigungen die Bäume haben.

Wie erschreckt sind Sie persönlich über den Zustand?
Insgesamt stehen die Bäume in München noch gut da. Weil wir – im Gegensatz zu Nordbayern, also Würzburg oder Nürnberg – doch noch relativ viel Niederschlag haben. Der Niederschlag in der Gesamtmenge ist ungefähr über die Jahre hinweg gleich geblieben. Das Problem ist die Verteilung. In manchen Monaten – so wie dieses Jahr im Juni und im September – haben wir fast keinen Niederschlag, dafür gab es im August sehr viel. Früher war die Verteilung gleichmäßiger. Und wenn Bäume ein paar Monate kein Wasser bekommen, stresst sie das.

Sollen Bürger selbst Bäume in der Stadt gießen? Das ist nicht sinnvoll, sagt der Baum-Experte

Manche fordern: Dann sollen die Bürger gießen.
Das würde nicht helfen. Denn große Bäume brauchen pro Tag ungefähr 200 bis 400 Liter Wasser. So viel können Bürger nicht gießen. Und wo sollen sie gießen? Die Wurzeln sind oft zehn Meter weiter unter dem Pflaster. Wenn man da am Stamm zehn oder 20 Liter Wasser gießt, würde das nichts bringen.

Der Feldahorn wächst in der Münchner Baumschule. Er gehört zu den Bäumen, die dem Klimawandel besonders gut standhalten sollen.
Der Feldahorn wächst in der Münchner Baumschule. Er gehört zu den Bäumen, die dem Klimawandel besonders gut standhalten sollen. © Sigi Müller

Wie lange lebt ein Baum in München?
Die Lebensdauer von Stadtbäumen ist kürzer als in der Natur. Aber wir haben auch Bäume, die 80 bis 100 Jahre alt sind.

Sterben Bäume durch den Klimawandel früher?
Das kann man noch nicht festmachen. Das ist eine Entwicklung, die man über Jahrzehnte verfolgen muss.

Schadstoffe durch Verkehr, viel Betonflächen: Diese Faktoren schwächen Stadtbäume

In welchen Vierteln geht's den Bäumen besonders schlecht?
Genau das wollen wir mit dem Baum-Entwicklungskonzept herausfinden. Aber: Je höher die Versiegelung, desto höher die Hitze, desto weniger Wasser bekommen die Bäume und natürlich spielen auch die Schadstoffe durch den Verkehr eine Rolle.

Welche Bäume kommen denn am häufigsten in München vor?
Mehr als 60 Prozent des Bestandes machen Spitzahorn und Linden aus. Das sind gute Bäume. Das Problem ist nur, dass man zu viele gepflanzt hat. Wenn eine Baumart eine Krankheit bekommt, ist der ganze Bestand betroffen. Deswegen ist unsere Strategie heute eine andere. Wir pflanzen möglichst viele Arten, damit nicht alle betroffen sind, wenn ein Schädling auftritt.

Warum hat man sich früher auf wenige Sorten beschränkt?
Früher hat man versucht, hauptsächlich einheimische Baumarten zu verwenden. Aber die versagen heute immer mehr durch den Klimawandel. Die Hitze führt zu Stress.

Eschen wegen Krankheiten gefällt: Es betrifft hunderte Bäume

Welche Bäume würden Sie heute nicht mehr pflanzen?
Wir pflanzen zurzeit aufgrund des Eschentriebsterbens keine heimischen Eschen mehr. Wir mussten leider jedes Jahr sehr viele Eschen fällen, die davon befallen waren.

Bäume, die in der Baumschule wachsen, werden mehrmals umgesetzt.
Bäume, die in der Baumschule wachsen, werden mehrmals umgesetzt. © Sigi Müller

Wie viele Bäume müssen Sie jedes Jahr fällen?
Das ist unterschiedlich. Bei solchen Krankheiten geht es um Hunderte Bäume, weil diese nicht mehr verkehrssicher sind. Ansonsten werden jedes Jahr ca. weitere 1.500 Bäume gefällt.

Macht das was mit Ihnen als Baumfreund, wenn so viel gefällt werden muss?
Es ist um jeden Baum schade, der gefällt werden muss. Aber Bäume haben von Natur aus eine begrenzte Lebenszeit. Und ich weiß ja, dass wir mehr nachpflanzen, als wir fällen.

Neue Bäume für München: 60 bis 70 Arten haben trotz Klimakrise eine Chance

Sie sind ja auch in einem Arbeitskreis der Gartenamtsleiter tätig. Da haben Sie eine Liste erstellt, welche Bäume für den Straßenrand besonders geeignet sind. Welcher Baum steht auf Platz eins?
Es gibt keinen Baum, der auf Platz eins steht. Die Eignung eines Baumes ist Standort- und regional abhängig. Da gibt es immer gut geeignete, geeignete und schlecht geeignete.

Welche Bäume eignen sich dann für München besonders gut?
Wir haben eine Bandbreite von 60 bis 70 Arten, die wir in München verwenden können. München hat ein paar Besonderheiten. Wir sind hier auf der Schotterebene und haben dadurch relativ hohe Kalkgehalte, also pH-Werte, wir haben den Föhn im Winter und wir haben trotzdem immer noch, auch wenn es immer wärmer wird, Frostperioden. Das heißt: Wir können keine mediterranen Bäume pflanzen. Wenn ein starker Frost kommt, sind die tot. Deshalb untersuchen wir eine hohe Anzahl unterschiedlicher Baumarten, die für das Münchner Klima geeignet erscheinen.

Mögliche Baum-Krankheiten, Blüte, Gefahr für Fußgänger: Darauf werden die Bäume getestet

Was heißt das konkret?
Wir haben über 100 verschiedene Bäume im Test. Wir versuchen, Baumarten zu finden, von denen wir denken, sie wären für die Stadt geeignet. Diese Arten pflanzen wir dann unter Praxisbedingungen – immer fünf in eine Straße. Wir stufen die Bäume jährlich ein. Und wir untersuchen bestimmte Kriterien: Wie anfällig ist der Baum für Krankheiten? Entwickelt sich der Baum insgesamt gut? Wie ist die Blüte oder der Fruchtschmuck? Gefährden die Früchte jemanden, wenn sie auf den Fußgängerbereich fallen? Alle fünf Jahre prüfen wir, ob wir den Baum schon beurteilen können. Dann vergeben wir die entsprechenden Eignungen. Gut geeignet, geeignet, nicht geeignet. Das machen wir bereits seit fast 30 Jahren und nicht nur seit fünf oder zehn Jahren. Wir haben 1995 mit dem ersten Versuch begonnen.

Aber der Klimawandel vollzieht sich doch schnell. Kann es nicht sein, dass die Ergebnisse schon wieder überholt sind?
Ob ein Baum gut ist, weiß man erst, wenn man ihn zehn oder 20 Jahre lang getestet hat, wenn er verschiedene Klimaereignisse erlebt hat, wie Frostperioden, Trockenheit.

Linden, Spitzahorn, Bergahorn: Eine Liste zeigt, wo welche Testbäume in München stehen

Wo stehen die Testbäume in München?
Die stehen verstreut in ganz München. Wenn Sie bei www.galk.de reinschauen, können Sie auf einer interaktiven Karte sehen, wo welche Bäume stehen, sogar mit Bildern. In der Guardinistraße in Laim zum Beispiel stehen viele Testbäume. Linden, vier fünf verschiedene und Spitzahorn, Bergahorn.

Welche Sorte schlägt sich denn besonders gut im Test?
Zum Beispiel die Zerreiche, die wurde früher bei uns eigentlich gar nicht gepflanzt. Aber dadurch, dass die normale Eiche Probleme hat, pflanzen wir seit 1998 die Zerreiche als Ersatz. Die kommt aus dem Balkan und wächst da auf Fels, also kommt sie auch mit trockenen Böden in der Stadt zurecht.

Wie finden Sie die Bäume, die Sie in München pflanzen?
Ein Großteil der Bäume, die wir verwenden, produzieren wir in unserer stadteigenen Baumschule in Laim. Bäume, die wir zukaufen müssen, begutachten wir in den Baumschulen vor Ort. Um die 20 Mal im Jahr sind wir unterwegs. Da geht's nach Norddeutschland, da geht's nach Holland, da geht's nach Berlin, überall dorthin, wo die großen Baumschulen ansässig sind. Wir brauchen eben enorm hohe Stückzahlen in einheitlicher Qualität.

Dieses Schild zeigt, wo es zur Baumschule geht
Dieses Schild zeigt, wo es zur Baumschule geht © Sigi Müller

Münchner Baumexperte: Er hat jeden Baum in Riem ausgesucht. Mehr als 50.000 Stück

Wie lange bleiben die Bäume hier in der städtischen Baumschule, bis sie gepflanzt werden?
In der Regel drei bis vier Jahre. Manche stehen auch bis zu zwölf Jahre bei uns. Wichtig ist, dass die Bäume in dieser Zeit immer wieder verpflanzt werden, damit sie die feinen Wurzeln behalten und später gut anwachsen.

Diese Bäume werden bald im Neubaugebiet Prinz-Eugen-Park gepflanzt.
Diese Bäume werden bald im Neubaugebiet Prinz-Eugen-Park gepflanzt. © Sigi Müller

Gerade werden von der Bayernkaserne bis Freiham einige neue Stadtviertel gebaut. Haben Sie deshalb besonders viel Stress?
Je mehr Projekte, desto mehr Arbeit. Aber das macht nichts. Als Riem gebaut wurde, habe ich jeden einzelnen Baum ausgesucht. Das waren mehr als 50.000.

Haben Sie die richtige Wahl getroffen?
Bei den meisten ja. Riem ist der Stadtteil, bei dem unsere Qualitätsstandards zum ersten Mal komplett angewendet wurden. Das beinhaltet z.B. die Verwendung von optimierten Baumsubstraten und eine Mindestbaumgrubengröße von 36 Kubikmetern, die eine entsprechend hohe Wasserspeicherfähigkeit haben. Das ist einzigartig in Deutschland. Heute setzen wir diese Standards bei allen neuen städtischen Baumstandorten um.

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