Weltstadt ohne Gäste: Wie der Münchner Tourismus leidet

Der Tourismus in der Stadt steckt sehr tief in der Krise. Ein Streifzug zwischen den letzten Interessenten unterm Glockenspiel, Hoteliers, die übers Aufgeben nachdenken - und viel Wut auf die Politik.
von  Helena Ott
Das ist ernshaft der Marienplatz. Dieser Tage - und während des Glockenspiels.
Das ist ernshaft der Marienplatz. Dieser Tage - und während des Glockenspiels. © Daniel von Loeper

München - Es ist fünf vor zwölf - unterm Glockenspiel am Marienplatz. Dort, wo sich sonst Stadtspaziergänger mühsam den Weg durch Massen von Touristen bahnen müssen: Leere.

Es ist so leer, dass eine Streethockeymannschaft ohne Probleme ein Match vor dem Rathaus austragen könnte. Sie müssten nur Maske tragen - denn das ist in Teilen der Altstadt wieder verpflichtend.

Dann klingen die Glocken, oben im Rathausturm reiten die Ritterfiguren an Herzog Wilhelm und seiner Renate vorbei. Statt Hunderten strecken keine 20 Menschen die Handys nach oben, um zu filmen. Es ist ein Trauerspiel. Aber für Regina Feischen (34) aus Ostwestfalen, ihren Mann und die fünf Kinder ist es die Gelegenheit für ein Selfie ohne 50 andere Gesichter im Bild.

Die Münchner Touristenmagneten sind tot

Sie gehören zu den wenigen verbliebenen Besuchern. Die trotz Risikogebiet, Maskenpflicht und Herbstwetter gekommen sind. "In der Großstadt gibt es einfach superviel, was man den Kindern zeigen kann", sagt Regina Feischen. Für sie und ihren Mann mit Kinderwagen und den Kleinkindern an der Hand ist es ideal, dass sie nun so viel Platz haben und es weniger hektisch zugeht.

Familie Feischen aus Ostwestfalen gehört zu den wenigen Touristen, die sich dieser Tage das Glockenspiel anschauen.
Familie Feischen aus Ostwestfalen gehört zu den wenigen Touristen, die sich dieser Tage das Glockenspiel anschauen. © Ott

Als Nächstes stehen Tierpark und Deutsches Museum auf dem Programm. Die Familie hat sich für fünf Tage in ein Hotel eingebucht. Im Frühstücksraum waren sie am Morgen die einzigen Gäste.

In normalen Jahren erreichen die Hotels in München eine durchschnittliche Auslastung von 75 Prozent. Seit dem Corona-Ausbruch sind davon gerade mal 20 bis 25 Prozent geblieben. Kaum Geschäftsreisen, kein Oktoberfest, keine großen Konzerte - die Touristenmagneten 2020 sind tot.

Kritik an Politikern aus Rathaus und Landtag

Auch die Tische und Stühle im Gastbereich von Kathrin Wickenhäusers Hotel Cristal sind nur zu einem Bruchteil besetzt. Von ihren 100 Mitarbeitern sind immer noch zwei Drittel in Kurzarbeit. Vor einer Woche hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verkündet, dass es ihm lieber wäre, wenn die Leute jetzt nicht wieder "kreuz und quer durch die Gegend fahren". Aber wer bleibt, wo er ist, braucht kein Hotel und kann zu Hause essen.

Hoteliers: Kathrin Wickenhäuser und ihr Mann Alexander Egger.
Hoteliers: Kathrin Wickenhäuser und ihr Mann Alexander Egger. © Münchner Stubn

"Jedes Mal, wenn solche Äußerungen kommen, hagelt es bei uns Stornierungen", sagt Kathrin Wickenhäuser, die gemeinsam mit ihrem Mann zwei Hotels in der Innenstadt und die Münchner Stubn, ein Wirtshaus direkt am Hauptbahnhof betreibt. Ein Hotel ist immer noch geschlossen - es lohnt sich nicht.

Wickenhäusers Geduld mit den Politikern aus Rathaus und Landtag ist aufgebraucht. Jeder habe vor der zweiten Welle gewarnt und trotzdem würde jetzt wieder nach Versuch und Irrtum gehandelt, sagt die 37-Jährige. "Da wird einfach jede Woche eine andere Sau durchs Dorf getrieben."

"Es werden einfach die bestraft, an die man am besten rankommt"

Mit der Sperrstunde ab 22 Uhr und dem viel diskutierten Beherbergungsverbot trifft es in Wickenhäusers Augen erneut einseitig die Gastronomen und Hoteliers. Diejenigen, die seit Monaten schauen, dass die Gäste Abstand halten und Masken tragen.

Laut einer Studie, die das Robert-Koch-Institut im Sommer veröffentlicht hat, gehen gerade einmal fünf Prozent der Ansteckungen auf die Gastronomie zurück, 95 Prozent der Infizierten haben sich woanders angesteckt.

Vor diesem Hintergrund hält die Hotelierin diese Maßnahmen für "blinden Aktionismus". Es würden die bestraft, "an die man irgendwie gerade rankommt". Wickenhäuser meint die Gastronomen, während im Privaten und öffentlichen Raum noch keine wirksamen Mittel gefunden seien, Maskenpflicht und Abstandsgebote durchzusetzen.

Sie sei "maßlos enttäuscht" von der Stadtpolitik, die ihrer Auffassung nach die Selbstständigen im Tourismus in ihrer Existenznot nicht genügend höre und unterstütze.

Stornierungswelle bei Stadtführungen und Theatertouren

Heinz Taubmann führt kein Hotel, sondern seit 22 Jahren den Weißen Stadtvogel, einen Betrieb für Stadtführungen, Theatertouren und kulinarische Spaziergänge durch die Stadt. Sein Geschäft ist auf zehn Prozent im Vergleich zu vorherigen Jahren eingebrochen. Dabei hat er extra 300 Headsets für die Führungen gekauft. Sein Problem ist, dass die Leute nicht wissen, dass sich damit der Mindestabstand einhalten lässt und somit jetzt mehr als zehn Leute zusammen auf Tour gehen können.

Nachtwächterführung und auch die meisten der kulinarischen Touren sind also weiterhin möglich, trotzdem gab es in der letzten Woche wieder eine Stornierungswelle.

Planungssicherheit für Hotels und Gastronomie gefordert

Der Wirrwarr der Maßnahmen überrolle das "zarte Pflänzchen" von Tourismus, das über den Münchner Sommer wieder aufgezogen wurde, sagt Christian Schottenhamel. Der Wiesn- und Nockherberg-Wirt und Vorsitzende des Münchner Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) weist darauf hin, dass Wirte mit den Schanigärten und Freischankflächen im Sommer zumindest einigermaßen kostendeckend arbeiten konnten.

Doch die Hotels steckten immer noch tief in der Buchungsflaute. Jetzt im Herbst schlage es auch bei den Wirten wieder voll ein. Die Hotel- und Gaststättenbranche bestehe zu 80 Prozent aus "Kleinstbetrieben". Von denen wüssten die meisten nicht, "wie sie aus den Schuldenbergen je wieder rauskommen", sagt Schottenhamel.

Sie bräuchten dringend Planungssicherheit und weitere finanzielle Hilfe. Die Mehrwertsteuerreduktion und die Kurzarbeit sollten seiner Auffassung nach verlängert werden. "Sonst sehe ich echt schwarz für unsere Branche."

Kathrin Wickenhäuser stammt aus einer Familie von Anpassungs-Künstlern. Vor 22 Jahren hat ihr Vater ein Autohaus zu einem gut funktionierenden Hotel umgebaut. Seitdem ist das Familienunternehmen Stück für Stück gewachsen.

Aktuell spürt sie oft "pure Verzweiflung" und Sorge um eine Perspektive für ihre Häuser. "Vielleicht ist es jetzt wieder an der Zeit, was anderes zu machen", sagt sie. Für München dürfte das keine gute Nachricht sein. Dass Charmantes nachwächst, wenn traditionsreiche Hotels verschwinden - daran glaubt in diesen Zeiten niemand.

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