Weil er Cannabis anbaut, droht seiner Mutter das Heim

Helge S. wird wegen seiner Hanfpflanzen angeklagt. Müsste er in Haft, könnte er sich nicht mehr um seine demente Mutter kümmern. Eine Geschichte über einen besonderen Prozess.
von  Paul Nöllke
Helge S. im Amtsgericht (links) und mit seiner Mutter.
Helge S. im Amtsgericht (links) und mit seiner Mutter. © Paul Nöllke, privat

München - Auf der Anklagebank sitzt Helge S. und schaut in verständnisvolle Gesichter. Der Richter, der Staatsanwalt und sogar der Polizist, der als Zeuge geladen ist (und mit dem sich S. am Ende noch streitet): Niemand scheint Helge S. Böses zu wollen. Dennoch muss sich der 58-Jährige vor Gericht verantworten und hofft auf ein mildes Urteil – für sich und für seine demente Mutter.

Am 15. Mai finden Polizisten die Mutter von Herrn S. alleine an einer Bushaltestelle. Die Beamten stellen fest, dass die alte Dame an Demenz leidet und fahren sie nach Hause. "Wir haben in ihrer Wohnung gleich Marihuana-Geruch wahrgenommen", erzählt der Polizist, der als Zeuge geladen ist. Zuerst befürchtet er, dass eingebrochen worden sei, doch im Wohnzimmer findet der Polizist Helge S., den Sohn der Frau. Auf der Fensterbank stehen mehrere Hanf-Pflanzen.

Job aufgegeben für Pflege der Mutter

Seit Februar kümmert sich S. um seine demente Mutter und wohnt bei ihr. Er hat seinen alten Job aufgegeben und arbeitet nun selbstständig als Veranstalter. "Es ging nicht mehr anders", sagt S. traurig. Am Anfang sei alles noch sehr schwer für ihn gewesen, doch inzwischen funktioniere es gut.

Um zu entspannen, raucht S. oft Cannabis. Die Hanfpflanzen auf dem Fensterbrett baute er für den eigenen Konsum an, sagt er. Nach der Arbeit und der harten Pflege seiner Mutter habe er sich das verdient. "Da sehe ich keine Schuld. Das ist ein Vergehen ohne Opfer."

Richter zeigt Verständnis für Angeklagten

Er appelliert an Richter und Staatsanwalt: "Lassen Sie das straffrei und setzten Sie ein Zeichen gegen diesen Irrsinn." Er brauche Marihuana, um dem Druck zwischen Arbeit und Pflege standhalten zu können. Menschen deswegen zu verurteilen, sei "lächerlich".

Der Richter zeigt Verständnis, betont aber, dass er nur nach gültiger Rechtslage urteilen könne. "Und im Moment ist das noch eine Straftat", so der Richter. Doch noch etwas anderes wird S. zum Verhängnis: Vor Jahren wurde er schon einmal verurteilt, weil er Cannabis angebaut hatte und sich gegen Polizisten gewehrt haben soll. Daher hat er immer noch Bewährung. Im schlimmsten Fall müsste er also ins Gefängnis, seine Mutter müsste dann ins Heim.

Doch Richter und Staatsanwalt zeigen sich milde – obwohl S. erklärt, weiter Cannabis konsumieren zu wollen. Statt der ursprünglich geforderten 3.500 Euro soll S. nur 700 Euro zahlen. Er ist mit dem Ergebnis dennoch nicht zufrieden. "Ich lasse mir mein Wohlbefinden nicht bestrafen, das ist doch Wahnsinn."

Deswegen will er nun Berufung einlegen, und hofft auf Straffreiheit. "Schon aus Prinzip muss das ein Ende haben." Obwohl er sich damit erneut in Gefahr begibt, eine Gefängnisstrafe zu bekommen – und so seine Mutter nicht mehr pflegen zu können.


Ist das Verbot von Marihuana verfassungswidrig? Das will der Jugendrichter Andreas Müller vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe prüfen lassen. Der Richter hatte den Schritt im bereits vergangenen September angekündigt und setzte zwei Verfahren wegen illegalen Cannabisbesitzes in geringen Mengen aus. In den Verfahren drängten sich aus Sicht Müllers Zweifel auf, ob eine Strafverfolgung verfassungsgemäß sei.

Der Jugendrichter hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2002 prüfen lassen, ob das Cannabisverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Damals entschieden die Karlsruher Richter, dass der Besitz von Haschisch auch in geringen Mengen verboten bleibt. Obwohl in den letzten Jahren in vielen Ländern Cannabiskonsum legalisiert wurde, wird in Deutschland seit Jahren über die Legalisierung der Droge diskutiert.

Wie stehen Sie zum Cannabis-Verbot? Sollte es abgeschafft werden? Schreiben Sie uns unter: leserforum@az-muenchen.de oder per Post: Stichwort Leserforum, Garmischer Straße 35, 81373 München.

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