Weil die Stadt es erzwingt: 28 Studenten bangen um ihre Wohnung

München - Am Haus wachsen üppige Kräuter für die Hobbyköche unter den jungen Mietern. In der Gemeinschaftsküche lädt ein großer, runder Tisch zu geselligen WG-Abenden ein. Auch auf der Terrasse und im Garten ist viel Platz fürs Zusammensein.
Es könnte alles wunderbar sein in dem früher als Einfamilienhaus genutzten Haus in Obermenzing. Zwölf vorwiegend junge Menschen leben hier gemeinsam unter einem Dach. Acht von ihnen studieren, gehen zur Schule oder machen gerade eine Ausbildung.
Arzt wollte für Studierende Wohnraum schaffen
Doch geht es nach der Stadt, ist es hier mit dem WG-Leben bald vorbei. Das Sozialreferat wirft dem Vermieter vor, in dem Einfamilienhaus eine Art Hotel oder Boardinghaus zu betreiben. Das Zusammenleben der Studierenden, Schüler und Berufstätigen bezeichnet die Behörde in einem Bescheid an den Vermieter, als "Zwangs-WG".
Eigentümer des Hauses ist ein Münchner Arzt. Er hat das Gebäude renoviert und so umgestaltet, dass hier statt einer Durchschnittsfamilie deutlich mehr Menschen ein Dach über dem Kopf finden. Vor allem für Studierende wollte er Wohnraum schaffen: Tausende sind in diesen Wochen - unmittelbar vor Beginn des neuen Semesters - wieder auf Zimmersuche.
Erst vorige Woche hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dringend an die Münchner appelliert, an Studenten unterzuvermieten - und sei es auch nur vorübergehend für ein oder zwei Semester (AZ berichtete).
16 Frauen und Männer in Einfamilienhaus
Genau das macht Vermieter Ludwig T., der nicht möchte, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht. Er vermietet seit Ende 2019, Anfang 2020 nicht nur in Obermenzing: In Hadern besitzt er ein zweites Einfamilienhaus. Darin wohnen 16 Frauen und Männer. Die Hälfte von ihnen sind Studierende, Schüler oder Auszubildende.
530 bis 690 Euro inklusive Nebenkosten berechnet T. ihnen pro Zimmer - je nach Größe. Freie Zimmer bietet er über Onlineportale wie "wg-gesucht.de" und "wg-suche.de" an. Um die Auswahl der zukünftigen Mieter kümmert sich sein Vater.
Es drohen 40.000 Euro Strafe
Einer der ersten, der in das Haus in Hadern zog, war Hayim M. (35). Der wissenschaftliche Mitarbeiter ist Doktorand und Pandemieforscher an der TU. "Ich war sehr froh, dass ich das hier gefunden habe. Für Studenten oder Wissenschaftler ist es ein gutes Angebot, wenn man etwas in München sucht", sagt er.
Doch die Stadt fordert den Hauseigentümer auf, Hayim M. und den anderen unverzüglich zu kündigen. Per Bescheid, datiert vom 30. Juli und vom 4. August, hat das Sozialreferat diese Nutzung verboten. Es wirft Ludwig T. Zweckentfremdung von Wohnraum vor. Bis Dezember müssen die Mieter ausgezogen sein. Andernfalls drohen T. saftige Bußgelder: zusammengerechnet mehr als 40.000 Euro.
Und die Stadt droht noch mit weiteren Sanktionen: Bei Zweckentfremdung kann pro Immobilie ein Bußgeld bis zu einer halben Million Euro verhängt werden - ersatzweise droht auch Gefängnis.
Gab ein Nachbar einen anonymen Hinweis?
Aufgetaucht waren die Kontrolleure des Sozialreferats mitten in der Pandemie. Ludwig T. vermutet, dass ein Nachbar einen anonymen Hinweis gegeben hatte, um ihm zu schaden. Bevor Corona ausbrach, hatten Studenten im Garten gefeiert, es war lauter geworden, die Polizei war angerückt.
Die Kontrolleure kamen unangemeldet, befragten die anwesenden Mieter einzeln, ließen sich durch Gemeinschaftsräume und Zimmer führen und prüften die Mietverträge.
Nach der Begehung kam man in dem Amt zu dem Schluss, T. vermiete kurzzeitig, die Mieter würden nur übergangsweise in den Häusern wohnen. Zu dieser Auffassung kamen sie auch deshalb, da keine Namen an der Klingel und auf den Briefkästen standen, stattdessen nur "WG" - so geht es aus den Bescheiden hervor.
Stadt sieht Zweckentfremdung
Absurd: Die Kontrolleure werten als Indiz für Kurzzeitvermietungen außerdem, dass einige Mieter während der Pandemie ihre Studentenzimmer aufgegeben hatten. "Das gab es überall, auch in Studentenwohnheimen", ärgert sich Christoph Limm, T.'s Anwalt. "Viele sind aus ihren Heimatstädten gar nicht zurückgekehrt, aber dafür können ja die Vermieter nichts."
Darüber hinaus begründet die Stadt die angebliche Zweckentfremdung damit, dass die Mieter keine persönliche Bindung zueinander hätten. Teilweise würden sie sich nicht einmal namentlich kennen. Das Sozialreferat unterstellt T.: "Es wird versucht, ein Einfamilienhaus gewinnbringend, als Zweck-Wohngemeinschaft zu vermarkten, um insgesamt eine hohe Mieteinnahme (11.000 Euro monatlich) auf Kosten der Bewohner zu erzielen."
Eine Vermietung von einzelnen Zimmern an Mieter, die sich nur vorübergehend in München aufhielten, sei eine gewerbliche Zimmervermietung und somit eine Zweckentfremdung. Ludwig T. müsse den Wohnraum "wieder Wohnzwecken zuführen".
Eigentümer ist fassungslos
Dass ihm das Sozialreferat verbietet, weiterhin Studentenzimmer zu vermieten, macht den Eigentümer fassungslos. "Die Stadt selbst tut ja wenig, um für Studenten Wohnraum zu schaffen." T. hatte Kredite aufgenommen, die Häuser renoviert und die Zimmer je nach Bedarf ausgestattet: mit einem Bettgestell und Lattenrost, Tisch, Stuhl, Schrank und einer Lampe. "Einige Studenten kommen aus anderen Städten oder Ländern, sie waren froh über eine Grundausstattung", sagt er. Außerdem ließ er im Keller Waschmaschinen mit Münzautomaten aufstellen.
Er sei immer an einer langfristigen Vermietung interessiert. Deshalb habe er die Verträge so aufgesetzt, dass die Mieter mindestens ein Jahr bleiben. "Aber ich kann sie ja nicht einsperren", sagt der Hausbesitzer zur AZ.
Auch gegen den Vorwurf der Stadt, dass er zu hohe Mieten nehme, wehrt er sich. Sein Anwalt betont, dass T.s Preise sogar etwas unter dem Durchschnitt der WG-Zimmer auf den einschlägigen Online-Portalen liegen. Christoph Limm wirft der Stadt, vertreten durch OB Dieter Reiter, "schizophrenes Verhalten" vor.
Vermieter: "Es bedroht meine Existenz"
Für Ludwig T. ist das Vorgehen der Stadt eine Katastrophe: "Es bedroht meine Existenz", sagt er. Ohne die kalkulierten Mieteinnahmen könne er die Kredite nicht bedienen, er müsse Ersatzunterkünfte für die Studenten finden. Auch fürchtet er, dass die Mieter von ihm Schadenersatz fordern. "Die Stadt will hier ein Exempel statuieren", meint sein Anwalt.
Christoph Limm hat inzwischen Klage eingereicht. Der Jurist will bis zur letzten Instanz gegen die Bescheide der Stadt kämpfen.
Verliert er, würden allein in diesem Fall 28 potenzielle Studentenzimmer auf einen Schlag wegfallen. Hayim M. und seine Mitbewohner stünden auf der Straße, müssten sich in die langen Schlangen all derer einreihen, die auf dem umkämpften Münchner Wohnungsmarkt ein bezahlbares Zimmer suchen.