Weg von der Umweltsünde Mode: "Nachhaltigkeit ist nicht langweilig"
AZ-Interview mit Jil Boßlet: Die 30-Jährige aus München hat Mode- und Designmanagement studiert. Vor eineinhalb Jahren hat sie ihr nachhaltiges Modelabel "Avelyna" gegründet. Sie plant zwei Kollektionen pro Jahr, die Sommermode wird demnächst produziert.
AZ: Frau Boßlet, Umweltschutz und Nachhaltigkeit rücken zwar in vielen Bereichen immer mehr in den Fokus, dabei haben viele eine große Umweltsünde direkt bei sich zu Hause: den übervollen Kleiderschrank. Was kritisieren Sie an der Modeindustrie?
Jil Boßlet: Der Trend geht immer mehr hin zu Fast Fashion. Große Firmen schaffen es mittlerweile innerhalb von drei Wochen, neue Kollektionen zu kreieren und sie im Laden hängen zu haben. Dem Konsumenten wird vermittelt: Was du vor drei Wochen gekauft hast, ist nicht mehr schön. Viele Leute legen dadurch keinen Wert mehr auf Kleidungsstücke, die sie über Jahre tragen, denn dann sind sie nicht mehr im Trend. Lieber kauft man sich Billigkleidung für zehn oder 20 Euro. Obwohl klar ist: Wenn Kleidung so wenig kostet, kann sie nicht fair produziert sein.
"Modeindustrie ist der zweitgrößte Umweltverschmutzer"
Wie hoch müsste ein fairer Preis sein?
Als ungefähres Maß in der Branche gilt: Die Herstellungskosten werden mal fünf gerechnet, das ergibt den Verkaufswert. Als Beispiel: Wenn ein Oberteil also zehn Euro kostet, hat es in der Produktion nicht mehr als zwei Euro gekostet. Das gilt als "gesundes" Maß, jedoch liegt der Faktor bei Fast-Fashion-Anbietern meist noch deutlich höher.
Wie kann so ein Preis überhaupt funktionieren?
Das ist nicht möglich, ohne dass Menschen und unsere Umwelt darunter leiden. Die Modeindustrie ist der zweitgrößte Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie, und es gibt immer noch Kinder, die dafür arbeiten müssen und auch dadurch sterben. Große Firmen täuschen mit Green Washing zwar darüber hinweg und machen zum Beispiel Marketing mit Papier- statt Plastiktüten. Aber das sagt nichts über die Produktion der Kleidung.
"Dürfen nicht zulassen, dass Menschen für unseren Luxus leiden"
Welchen Weg gehen Sie?
Ich habe mir gesagt: Es wird Zeit, dass kleine junge Unternehmen den großen Firmen mal eine Kampfansage machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen für unseren Luxus leiden müssen. Ich weiß natürlich, dass ein unbekanntes Modelabel wie meines nicht die Welt verändert. Aber wenn mehr Menschen auf Marken achten, die transparent arbeiten, fragen sie sich vielleicht: Warum machen das große Unternehmen nicht auch so?
Sie legen im Netz vieles offen, auch Ihre Produktionsstätte.
Genau, meine Mode wird in Europa produziert.

Stoffe kommen aus Portugal
In Portugal, warum nicht direkt in Deutschland?
Was Kleidung angeht, ist das Know-how in Portugal größer. Auch unsere Stoffe kommen aus Portugal, das heißt, die Transportwege zu unserem gewählten, frauengeführten Unternehmen sind gering. Somit reduzieren wir unseren CO2-Fußabdruck. Natürlich ist die Produktion in Portugal auch günstiger als in Deutschland. Portugal ist aber kein Billiglohnland, sondern zahlt existenzsichernde Löhne, weshalb ich immer noch deutlich höhere Herstellungskosten habe. Das ist es mir jedoch wert, denn daraus entstehen Kleidungsstücke, die zehn Jahre lang halten.
Wie genau muss man sich Ihre faire Produktion vorstellen?
Es werden faire Löhne gezahlt, das Unternehmen ist zertifiziert, die Arbeitsstunden und Pausen werden eingehalten. Die Arbeitsbedingungen sind sicher, es gibt keine Kinderarbeit. Ich wollte meinen Kunden all diese Bedingungen zeigen können und habe vor Ort Videos und Bilder aufgenommen. Ebenso habe ich die Stofffabrik besucht. Mit der Produktion habe ich einen Umweltvertrag ausgehandelt mit Punkten wie: Wo wird der Stoff gefärbt? Mit welchen Farbstoffen? Wo wird das Wasser danach abgeleitet? Welche Sicherheitsmaßnahmen gibt's für die Mitarbeiter?

"Öko-Mode hat oft noch einen Stempel"
Den Transportweg von Portugal haben Sie trotzdem noch.
Ja, den haben wir uns aber auch zertifizieren lassen, wir sind Partner von GoGreen. Es ist zudem immer noch ein Unterschied, ob Mode aus China eingeflogen wird oder ob sie in Europa entsteht.
Welchen Stil designen Sie?
Ich wollte mit klassischen Basics starten, die sich aber trotzdem aufgrund der tollen Verarbeitung von der Masse abheben. Auch in Farben, die man vielleicht nicht einem klassischen nachhaltigen Modelabel zuordnen würde.
Wie meinen Sie das?
Öko-Mode hat oft noch einen Stempel - etwa dass die Farben und Schnitte langweilig sind. Ich sage: Auch eine pinke Hose und coole Schnitte können nachhaltig sein. Zum Beispiel habe ich auch einen ausgefallenen Body in der Kollektion. Ich möchte zeitlose, aber auffällige Kleidungsstücke machen, um zu zeigen: Nachhaltigkeit ist nicht langweilig.
"Bewusstsein muss noch deutlicher geschärft werden"
Ihre Preise sind freilich höher als bei herkömmlichen Marken. Läuft es dennoch gut für Ihr Label - oder muss das Bewusstsein für Fair Fashion noch mehr gestärkt werden?
Ich glaube, dass die Menschen schon realisieren, dass wir in vielen Bereichen nicht so weitermachen können wie bisher, aber das Bewusstsein muss noch deutlich mehr dafür geschärft werden. Wir müssen die Menschen aufklären und ihnen klar machen, dass auch in der Modebranche Ignoranz ein Todesurteil ist. Ich höre natürlich Kommentare wie: Es kann sich nicht jeder einen Pullover für 140 Euro leisten. Kurzfristig gesehen ist das teuer, aber langfristig spart man Geld damit.
Sie kreieren nachhaltige Mode und tun mit dem Verkauf auch noch etwas Gutes in Tansania. Erzählen Sie doch mal!
Ich bin über eine Charity-Veranstaltung, die ich damals als Eventmanagerin organisiert habe, auf die Organisation Africa Amini Alama in Momela aufmerksam geworden. Ich wurde im Anschluss dorthin eingeladen und so habe ich mein ganzes Leben umgekrempelt, meinen alten Job gekündigt und fünf Monate in Afrika mitgeholfen. Im Massai-Gebiet, in Lehmhütten - die Veränderung hätte nicht größer sein können, aber ich war glücklicher als je zuvor. Mir ist dadurch bewusst geworden: Man braucht so viel Schmarrn überhaupt nicht. Daraus ist die Idee entstanden, mein eigenes Label zu gründen und von Anfang an ethisch korrekt zu handeln.
Mit dem Kauf etwas Gutes tun
Und wie helfen Sie in Tansania mit Ihrer Mode?
Fünf Euro pro verkauftem Kleidungsstück spenden wir für die Bildung der tansanischen Mädchen in dem Projekt. Unsere Kundinnen können also mit ihrem Kauf etwas Gutes tun und gleichzeitig Mädchen in Afrika unterstützen.

Was haben Sie - und Ihre Kundinnen - so schon erreicht?
Wir unterstützen aktuell neun Patenkinder, denen wir für ein Jahr die Schule finanzieren sowie medizinische Versorgung und zwei warme Mahlzeiten pro Tag garantieren. Wir wollen künftig auch bei der Renovierung eines Mädcheninternats helfen. Mein Herz ist einfach auf diesem Kontinent geblieben.
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