Was Sie über Stalking wissen müssen: Definition, Verhaltenstipps und Gesetzgebung

München – Nächtliche Anrufe, auflauern auf dem Weg zur Arbeit, Geschenke in der Post, oder eben Belagerung des Wohnorts, wie vergangenen Samstag in Ramersdorf geschehen: Mehr als zehn Prozent der Deutschen werden im Lauf ihres Lebens gestalkt – eine Situation, in der sich die Opfer unter Druck fühlen und sich oft zurückziehen. Was man in einem solchen Fall tun kann:
Was gilt als Stalking?
Stalking (Englisch: to stalk, heranpirschen) lässt sich am Besten mit "unerwünschtes Nachstellen" übersetzen. Es bezeichnet das beabsichtigte und wiederholte Verfolgen eines Menschen, der dadurch im Alltag extrem eingeschränkt wird.
Es ist laut der Hilfsorganisation "Weißer Ring" schwierig, von einem typischen Stalking-Ablauf oder von nur einer einzigen gültigen Stalking-Definition zu sprechen. Eine vom Weißen Ring geförderte Untersuchung der TU Darmstadt besagt aber, dass sich Stalking im Durchschnitt über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren erstreckt. Der Stalker verfolgt, belästigt und bedroht das Opfer mit einer auffälligen Beharrlichkeit und Intensität. Er zeigt sich zum Beispiel bewusst, ruft an oder schreibt SMS und E-Mails.
Die Motivation des Stalkers kann vielschichtig sein. Oft stecken übersteigerte Macht-, Rache, Liebes- oder auch sexuelle Bedürfnisse dahinter.
Stalking ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess, erklärt der Weiße Ring. Die Übergänge zwischen unerwünschter Kontaktaufnahme, Belästigung und Bedrohung können fließend sein. Für das Opfer, das in eine ganz massive Drucksituation gerät, hat Stalking erhebliche psychische und physische Auswirkungen.
Wie oft passiert das?
Eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen kam 2015 zum Ergebnis, dass 20 Prozent aller Frauen und elf Prozent aller Männer in Deutschland schon gestalkt wurden. Dabei sind über 80 Prozent der Stalker männlich, über 80 Prozent der Opfer dagegen weiblich.
In Zeiten der Digitalisierung sind die technischen Möglichkeiten des Stalkings beispielsweise in den sozialen Netzwerken enorm gewachsen. 2016 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik bundesweit 18.739 Fälle erfasst. Die Dunkelziffer liegt weit höher.
Wer tut sowas?
Hinter einem Stalker kann sich sowohl der Ex-Partner, ein Freund oder Kollege als auch der Nachbar oder ein völlig Unbekannter verbergen; eine Frau ebenso wie ein Mann – aus allen sozialen Schichten. Oft hat das Opfer den Stalker verlassen oder abgewiesen. Der Verlassene will Aufmerksamkeit erregen, sein Opfer zu einer (neuen) Beziehung drängen. Lehnt das Opfer die Beziehung ab, kann das Verhalten des Stalkers in Hass und Psychoterror umschlagen.
"Die sind Täter sehr impulsiv, oft leicht kränkbar, meist selbst unglücklich und sehr ausdauernd", sagt Iris Ohain vom Münchner Kommissariat für Verhaltens-Prävention und Opferschutz. Andrea Hölzel vom Weißen Ring (Landesverband in München) ergänzt: "Stalker sind vor allem absolut uneinsichtig. Vernünftige Argumente ziehen bei denen nicht. Sie wollen ihre Opfer bestrafen: ,Wenn du nicht zu mir kommst, musst du leiden’."
Je besser sich Täter und Opfer kennen, desto höher das Gewaltrisiko, zeigt laut Psychologe und Stalking-Experte Jens Hoffman die Statistik. Eine Studie von 2006 zeigt, dass die Mehrzahl der Stalker nicht gewalttätig wird – in "nur" 40 Prozent der Stalkingfälle. Leichte Formen der Gewalt gehen oft von Menschen aus mit Vorbeziehung zum Opfer, mit Neigung zu Alkohol- oder Drogenmissbrauch und Vorstrafen, insbesondere wegen Gewalt- und Sexualdelikten.
Täter, die gravierende Aggressionsformen zeigen, haben ein etwas anderes Profil: Sie haben keine kriminelle oder durch Gewalt geprägte Vorgeschichte und sind sozial integriert. Sie haben häufig Depressionen und fallen durch Stalking besonders nah an der Wohnung der Opfer auf.
Was hilft gegen Stalking?
Wer gestalkt wird, muss vor allem schnell handeln. Betroffene sollten klarmachen, dass sie jetzt und auch in Zukunft keinen Kontakt möchten. "Normale Menschen akzeptieren ein Nein, wir sind bei Stalkern aber im psychopathischen Bereich", sagt Iris Ohain. "Man erklärt ein Mal deutlich: ,Ich möchte keinen Kontakt.’ Es gibt kein klärendes Gespräch, keinen weiteren Kontakt über Dritte oder soziale Netzwerke."
Die Absage sollte kein Erklärungsversuch sein, sagt die Arbeitsgruppe Stalking der TU Darmstadt. "Ich kann mit dir nicht zusammen sein, ich habe einen Freund", werde vom Stalker oft in dem Sinn umgedeutet: "Hätte sie keinen Freund, hätte sie Interesse an mir" und hat so nicht selten eine Fortsetzung des Stalkings zur Folge.
"Außerdem ist konsequentes Handeln die Richtschnur", sagt Ohain. "Immer und immer wieder Anzeige erstatten. Ein Stalkingtagebuch schreiben. Sendungen, die der Stalker schickt, nicht annehmen." Man dürfe das Verhalten eines Stalkers nicht hinnehmen und nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Man sollte natürlich auch nicht in Hysterie verfallen. Aber wenn das Verhalten nicht aufhört, reicht es vielleicht nicht, nur die Wohnung zu wechseln, sondern auch die Stadt – so brutal das klingt", sagt Ohain. Und dann seine Daten beim Einwohnermeldeamt sperren lassen. (Weitere Verhaltenstipps: siehe weiter unten oder in dieser Broschüre der Polizeilichen Kriminalprävention)
Gibt es ein Stalking-Gesetz?
Stalking ist erst seit 2007 ein gesonderter Tatbestand – davor waren nur Delikte wie Bedrohung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung oder Beleidigung strafbar, die oft mit Stalking einhergehen. Das Strafgesetzbuch sah zum Thema Nachstellung (§ 238 StGb) nach 2007 bis zu drei Jahre Haft vor, wenn das Opfer in seiner "Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt" wird.
Am 13. Juli 2016 billigte das Bundeskabinett in Berlin einen verschärften Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der die Verurteilung von Stalkern erleichtern soll. Gemäß der Neuerung macht sich dann strafbar, wer einem anderen Menschen nachstellt in einer Weise, die "objektiv geeignet" ist, sein Leben schwerwiegend zu beeinträchtigen – bislang musste so eine Beeinträchtigung für eine Verurteilung bereits erfolgt und nachweisbar sein.
Wie gut schützt die Gesetzgebung vor Stalking?
Opferverbände begrüßen die geplante Gesetzänderung grundsätzlich, viele erklärten aber, sie gehe nicht weit genug. Wolf Ortiz-Müller von der Beratungsstelle "Stop Stalking", kritisierte den Begriff "schwerwiegend" im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, da Richter in der Vergangenheit als "schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung" fast immer nur einen Umzug oder Arbeitsplatzwechsel ansahen.
Der Weiße Ring sieht "eine Lücke": Die ursprünglich vorgesehene Formulierung "vergleichbare Angriffe" sei gestrichen worden – so sei es nicht möglich, einen Stalker zu bestrafen, wenn er zum Beispiel sein Opfer beim Arbeitgeber anschwärzt oder Todesanzeigen auf dessen Namen aufgibt.
Verhaltenstipps für Stalking-Opfer
"Wichtig für Betroffene ist es vor allem, zu wissen, dass sie nicht alleine sind", sagt Ohain. Netzwerke sind beispielsweise der Weiße Ring, der auch finanziell und juristisch hilft (Telefon: 116 006), das Münchner Informationszentrum für Männer (Telefon: 089-5439556) oder die Stalking-Selbsthilfegruppe in Garmisch-Partenkirchen (Telefon: 0176-97889049).
Ratschläge der Polizei zum Umgang mit einem Stalker: Umfeld informieren, konsequent bleiben, alles dokumentieren
Das Ziel eines Stalkers ist, Macht über sein Opfer erlangen. Die Polizei rät deshalb:
- Machen Sie dem Stalker deutlich (schriftlich) klar, dass Sie keinen Kontakt wünschen. Bleiben Sie konsequent!
- Öffentlichkeit kann schützen: Informieren Sie Ihr gesamtes Umfeld (Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Nachbarn), wenn Sie Opfer eines Stalkers geworden sind.
- Bei einer akuten Bedrohung (z. B. wenn der Stalker Sie verfolgt oder in Ihre Wohnung eindringt) alarmieren Sie die Polizei über den Notruf 110.
- Verfolgt Sie ein Stalker im Auto, fahren Sie zur nächsten Polizeidienststelle.
- Dokumentieren Sie alles, was der Stalker schickt, mitteilt oder unternimmt, damit Sie – falls erforderlich – Fakten und Beweismittel haben.
- Lassen Sie sich beraten bei Telefonterror und anderen Stalking- Handlungen, zum Beispiel via Computer ("Cyber-Stalking"), über technische Schutzmöglichkeiten wie geheime Rufnummern, Fangschaltungen, Zweitanschlüsse.
- Geben Sie Unterlagen, auf denen sich Ihre persönlichen Daten befinden (z. B. Briefe, abonnierte Zeitschriften) nicht in den Hausmüll.
- Teilen Sie Personen Ihres Vertrauens Ihre Sorgen und Ängste mit. Scheuen Sie sich nicht, ärztliche/psychotherapeutische Hilfseinrichtungen aufzusuchen.
- Wenden Sie sich an eine Opferhilfe-Einrichtung.
- Es hilft, Anzeige bei der Polizei zu erstatten! Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat sich gezeigt, dass vor allem Einschreiten der Polizei Wirkung zeigt und die Belästigungen nach einer Anzeige häufig aufhören.
- Sie können beim Familiengericht eine "Einstweilige Verfügung/Schutzanordnung" nach dem Gewaltschutzgesetz beantragen.