Interview

Was ein Proktologe aus München in seinem Job mit den Hintern erlebt – und was der Arzt rät

Viele haben Angst vor einem Besuch beim Proktologen. Der Münchner Arzt Dr. Florian Frank will mit seinem humoristischen Buch "After Hour" aufklären und Patienten die Scham nehmen. In der AZ spricht er über seinen Job und die richtige Vorsorge.
von  Carmen Merckenschlager
Schmerzen, da wo die Sonne nie hinscheint: Rund 70 Prozent der Menschen sind im Laufe ihres Lebens von einem Hämorrhoidenleiden betroffen. Für den Proktologen also keine Seltenheit. Dr. Florian Frank erklärt in seinem Buch, woran das liegt und was Betroffene tun können.
Schmerzen, da wo die Sonne nie hinscheint: Rund 70 Prozent der Menschen sind im Laufe ihres Lebens von einem Hämorrhoidenleiden betroffen. Für den Proktologen also keine Seltenheit. Dr. Florian Frank erklärt in seinem Buch, woran das liegt und was Betroffene tun können. © IMAGO/Panthermedia

München - Um die 150.000 Hintern untersucht ein Proktologe im Laufe seines Berufslebens. Dr. Florian Frank (36) ist einer von Ihnen. Der Münchner ist Oberarzt im Bereich Viszeralchirurgie mit Spezialisierung auf Koloproktologie am Klinikum in Neuperlach.

Nun hat er ein Buch über seine Arbeit geschrieben, ganz im Zeichen der humoristisch-aufklärenden Medizinlektüre. Eine Inspiration war unter anderem "Fit im Schritt" von Volker Wittkamp. Ein Gespräch über Scham, Stuhlgang und verlorenes Gemüse.

AZ: Herr Dr. Frank, wie viele flache Witze oder Wortspiele mussten Sie in Ihrer Karriere als Proktologe schon ertragen?
DR. FLORIAN FRANK: Es ist schon so, dass die Proktologen – so wie die Urologen – zu den witzigeren Medizinern gehören und man das ganze Untenrum-Thema mit Humor nehmen muss, um die Spannung rauszunehmen. Vielen Leuten ist das Thema unangenehm. Ich glaube, wenn man einen lockeren Zugang findet, ist es für alle beteiligten einfacher. Witze gibt es unter Medizinern oder mit Patienten schon einige.

Münchner Proktologe Dr. Florian Frank: "Neuperlach ist auf dem Gebiet sehr bekannt"

Ein Beispiel?
Da erwischen Sie mich kalt. Da gibt es viele. Ich muss noch kurz nachdenken.

Ernsthaft, warum wird man Proktologe? Warum nicht Zahnarzt oder Herzchirurg?
Ehrlicherweise bin ich da reingeraten. Erstmal habe ich mich für die Viszeralchirurgie entschieden – also die Chirurgie der Bauchorgane, wo der Darm ja dazugehört. Proktologie ist eine Zusatzbezeichnung. Auch als Hautarzt oder Gastroenterologe kann man Proktologe werden. Ich habe den Zugang über meine Arbeit gefunden. Neuperlach ist auf dem Gebiet sehr bekannt. Seit Jahrzehnten kommen Menschen aus ganz Deutschland dorthin, um sich am Hintern operieren zu lassen.

Er ist seit 2023 Oberarzt in der Klinik Neuperlach im Bereich Viszeralchirurgie mit Spezialisierung auf Koloproktologie.
Er ist seit 2023 Oberarzt in der Klinik Neuperlach im Bereich Viszeralchirurgie mit Spezialisierung auf Koloproktologie. © Djuro Gunj

Sie klingen, als hätten Sie Freude am Proktologen-Dasein?
Man merkt als Proktologe schnell, dass das sehr befriedigend sein kann, weil die Probleme einen hohen Leidensdruck verursachen, Patienten das zum Arzt gehen häufig hinauszögern. Meistens lassen sich die Probleme mit einer sehr kleinen Maßnahme lösen. Es muss nicht immer eine Operation sein – stattdessen können Salben oder Flohsamenschalen schon viel bewirken. Meist stellt sich sehr schnell ein positiver Effekt ein. So macht das Ganze also schon Spaß.

Sie schreiben, der Po gehört zum Körper wie die Nase oder die Ohren. Woher kommt die Scham?
Ich glaube, es sind zwei Aspekte. Es riecht häufig nicht gut oder sieht blöd aus, wenn man ein bisschen Stuhlgang in der Hose hat, weil vielleicht eine leichte Inkontinenz vorliegt. Und zum anderen hat man bei anderen Erkrankungen diesen Vergleichsaspekt nicht. Wenn jemand ein schiefes Ohr oder seltsame Fingernägel hat, sieht das jeder. Weil ich jede Nase sehen kann, haben wir ein klareres Bild davon, was eigentlich "normal" ist. In der Region hintenrum haben wir das nicht. So sind viele verunsichert, ob bei einem selbst alles passt.

Komplizierter Stuhlgang: Warum unsere Toiletten falsch konzipiert sind

Was kann ich gegen die Scham unternehmen?
Es ist wichtig, mir zu überlegen, was das Gegenüber erlebt. Für den Arzt oder die Ärztin ist eine solche Untersuchung alltäglich. In einer Sprechstunde sehe ich innerhalb von vier Stunden 15 Patienten; bei quasi jedem sehe ich den Hintern. Das mache ich mehrmals die Woche, schon seit Jahren. Es gibt eigentlich nichts, was ich noch nicht gesehen hätte. Gerne sollen sich Patienten ins Gedächtnis rufen: Das ist nichts Exklusives, das haben viele andere auch.

Sie sprachen vorhin von "normal". Ein Kapitel handelt von Stuhlgang. Was ist denn nun normal bzw. wann muss ich mir Sorgen machen?
Im besten Fall muss man sich gar nicht damit beschäftigen. Nämlich, wenn einfach alles funktioniert. Wenn man Probleme hat, wie zu selten oder zu häufig Stuhlgang, bei Bauchschmerzen, Schmerzen auf der Toilette, Blut im Stuhl: Dann sollte man darüber nachdenken, zum Arzt zu gehen. Schön wäre eine Vorbeugung, ähnlich wie beim Zähneputzen. Also auf den Darm achten. Da helfen fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag, ausreichend Bewegung, damit gar nicht erst Probleme entstehen.

In Ihrem Buch ist zu lesen: Wir sitzen falsch auf dem Klo. Die Beine sollte eigentlich etwa 35 Grad angewinkelt sein. Warum sind unsere Toiletten dann nicht anders konzipiert?
Gute Frage. Ich weiß nicht, wie die moderne Toilettenform entstanden ist. Aber so ist sie eigentlich ein bisschen unphysiologisch. Die hockende Position würde den Stuhlgang erleichtern. Es gibt Toilettenschemel, die meisten kriegen das aber auch ohne den speziellen Winken hin – auch in der konventionell sitzenden Position.

Über 70 Prozent der Menschen sind im Laufe des Lebens von Hämorrhoiden betroffen

Trendprodukt Po-Dusche und Wassertoiletten aus Japan: Wie sinnvoll ist das?
Total sinnvoll! Die beste Variante, sich den Hintern zu reinigen, ist das Ausduschen mit Wasser. Das ist am schonendsten und saubersten. Durch das Toilettenpapier entsteht Reibung, man kann da mechanisch etwas reizen. Möglicherweise wird alles auch nicht 100 Prozent sauber. Bei feuchtem Toilettenpapier kann durch Duftstoffe oder Zusätze auch ein Allergieaspekt hinzukommen. Ausduschen ist also am besten. Ob das am Bidet, in der Dusche oder mit einer Po-Dusche stattfindet, ist egal.

Auf der Toilette fällt es wohl am ehesten auf: ein Hämorrhoidenleiden. Sie schreiben, 70 Prozent der Menschen sind im Laufe ihres Lebens betroffen. Das ist viel!
Man kann hier schon von einer Volkskrankheit sprechen, die sicher mit unserem westlichen Lebensstil zusammenhängt. Immer mehr verarbeitetes Essen, weniger Ballaststoffe, weniger Obst und Gemüse. Es gibt sicher viele mit schlechtem Toilettenverhalten, zum Beispiel 20 Minuten auf dem Klo sitzen und am Handy spielen. Nicht jeder der Betroffenen muss operiert werden, oft ist es mit einer Salbe getan.

Wie kann ich noch vorbeugen bzw. was muss ich vermeiden?
Es gibt Personen, die genetisch bedingt Probleme bekommen. Ein großer Teil könnte das sicher auch verhindern. Allgemeine Maßnahmen wie ein gesunder Lebensstil, eine ausreichende Trinkmenge, auf nicht zu harten Stuhlgang achten und nicht stundenlang auf dem Klo sitzen und Zeitung lesen. Bei Rauchern ist das Risiko erhöht, weil die gelegentlich husten und so der Druck im Bauch erhöht wird und sich Blut stauen kann.

Wie sieht es denn beim Thema Darmspiegelungen aus. Jeder Mann ab 50 sollte zur Darmspiegelung gehen. Wird das gemacht?
Nein, es sind viel zu wenige, die kommen. Es gibt leider im Krankenhaus immer wieder die Situation, dass Menschen erst sehr spät kommen, wenn der Darmkrebs den Darm zumacht oder stark blutet. Im besten Fall also vorher kommen, dann lässt sich das häufig gut behandeln. Manchmal ist dann auch keine Operation notwendig.

Viele haben Angst davor. Wie kann man die den Patienten nehmen?
Eine Darmspiegelung sollte überhaupt nicht schmerzhaft sein. Das kann im Wach- sowie im Dämmerzustand erledigt werden. Für die meisten ist der unangenehme Teil das Abführen davor, damit der Darm frei von Stuhl ist. Das ist häufig für ältere Leute unangenehm. Aber das passiert ja nicht täglich, sondern ein/zwei Mal im Leben. Wenn man sich so eine lebensgefährliche Erkrankung ersparen kann, ist das schon ein sehr kleines Übel.

Frauen gehen zum Frauenarzt, sind also an das untenrum Freimachen gewöhnt. Männer machen das in der Regel nicht. Sind Sie verschämter als die Frauen?
Ich habe das Gefühl: Die Frauen entschuldigen sich ganz häufig, wenn sie sich ausziehen und die Untersuchung beginnt, dass sie vielleicht nicht ganz sauber wären oder Ähnliches. Männern ist das häufig wurscht. Ich glaube schon, dass der Weg zum Proktologen für Frauen einfacher ist. Männer werden oft von den Ehefrauen hingeschliffen oder haben selbst sehr lange gebraucht, bis sie sich durchringen konnten.

"Rektale Fremdkörper": Wenn die Salatgurke unter der Bauchdenke hervorschaut

Noch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen findet sich in ihrem Buch: Arbeitsdiagnose "rektale Fremdkörper", die müssen bei Männern wohl häufiger entfernt werden. Warum?
Sagen wir mal, Frauen haben noch eine andere Einführoption. Vielleicht sehe ich die nicht, weil sie zum Gynäkologen gehen. Ich glaube, dass Männer in der Erregung vielleicht noch weniger nachdenken und unter Umständen experimentierfreudiger sind.

Was war das Skurrilste, was Sie einem Patienten je aus einem Hintern rausgeholt haben?
Was mir immer als Erstes ins Gedächtnis kommt, ist ein junger Mann mit einer ganzen Salatgurke. Das besondere daran war, dass immer wenn er sich hingesetzt hat, in seinem Oberbauch das andere Ende der Salatgurke unter dem T-Shirt sichtbar wurde, also unter der Bauchdecke. Das hat sich unter einer kurzen Narkose entfernen lassen und war am Ende unkompliziert. Ansonsten alles was man so an Obst, Haushaltsgegenständen findet, sind Klassiker, wie Karotten, Äpfel und alles andere. Aber die Gurke unterm T-Shirt war schon besonders.

Mit ihren Geschichten sorgen sie sicher bei Freunden für Erheiterung. Kommen die zu Ihnen und fragen Sie um Rat?
Immer mehr. Sicher auch durch das Buch. Ich habe das Gefühl, die Männer sind da offener. Neulich ist mir Folgendes passiert: Als ich bei meinem 65-jährigen Nachbarn ein Paket abholen wollte, war dieser kurz davor, mir seinen Hintern zu zeigen, weil er da ein Problem hat. Ich hab ihn dann zum Kollegen in die Praxis überwiesen. Heißt: Ich werde schon immer wieder angesprochen.

Sie schreiben auch über Sexualität. Ein weniger medizinisches Thema, oder?
Durch die Pornoindustrie ist Analverkehr immer salonfähiger geworden, nicht nur unter Homosexuellen, auch für die Allgemeinheit. Leute, die das ausprobieren wollen, haben häufig Berührungsängste, die gar nicht sein müssen. Das ist nichts Verruchtes. Mit einer sinnvollen Vorbereitung kann das Liebesleben bereichert werden – von Männern wie Frauen.

Ist Ihnen noch ein flacher Witz zu Ihrem Beruf eingefallen?
Hm. Naja, bei den Freunden oder in der Klinik ist man schon gerne mal der Arschdoktor (lacht).


Das Buch "After Hour" von Dr. Florian Frank erscheint am 22. August 2023 im Riva Verlag und kostet 18 Euro

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