Warum auch der Alte Südfriedhof in München mit dem Klimawandel kämpft

Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt - Auf dem kleinen Platz vor der Friedhofskapelle rauscht ein hektischer Strom von Autos, Radfahrern und Bürogängern vorbei. Es ist Freitagmorgen. Keine Zeit zum Flanieren. Eine Frau spricht auf dem Fahrrad vor sich hin, wie in einem Meeting, die kleinen weißen Kopfhörer im Ohr. Der Rest des Geräuschteppichs kommt vom Hämmern der Baustelle in der Pestalozzistraße.
Wer abbiegt, durch das gusseiserne Tor, merkt aber, wie zügig der Lärm verschluckt wird, innerhalb der roten Backsteinmauern. Über einem rauscht und raschelt das Blätterdach der Bäume im kräftigen Wind. Wie zufällig stehen die alten hohen Stämme verteilt zwischen den Steingräbern.
Der Alte Südfriedhof ist ein Mini-Naturschutzgebiet mitten in München
Der Alte Südliche Friedhof ist eine Zeitkapsel, er hat mehr als 450 Jahre Münchner Stadtgeschichte hinter sich; Seuchen, Kriege und die Nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Städtische Berühmtheiten aus dem 18. und 19. Jahrhundert wie der Architekt Leo von Klenze, der Bildhauer Ludwig Schwanthaler oder die Brauereifamilie Hacker-Pschorr liegen hier begraben. In den Reihen tauchen immer wieder Namen auf, die man auf Münchens Straßenschildern liest.
Aber das stillgelegte Gräberfeld ist heute, 80 Jahre nach der letzten Bestattung, auch ein echtes Mini-Naturschutzgebiet. Mitten in der Stadt, im trubelig hippen Glockenbachviertel. Mit höchstem Schutzstatus: "geschützter Naturbestand". Abseits der ersten Gräberreihe macht sich ein wildes Wuchern breit. Sträucher, Farne, Gräser, Moos. Die Schieflage mancher Grabsteine zeigt, wie das Kräftemessen mit mächtigen Wurzeln ausgegangen ist.
Naturschutz, Besucher, Trauernde: Wie lässt sich all das zusammenbringen?
Aber wie kümmert man sich um so einen Ort? Wie moderiert man die unterschiedlichen Bedürfnisse: Hier der Naturschutz, dort der Denkmalschutz und dann noch die der Besucher? Am besten wissen das zwei, die sich fast täglich mit dem Alten Südlichen Friedhof befassen.
Beide sind in Sakko und Turnschuhen zum Rundgang gekommen: Florian Scheungraber (63) ist Leiter des Grabmalbüros und führt schon seit 17 Jahren Besucher über das Areal. Er ist der Spezialist für die Denkmalpflege.

Vor ihm läuft Arndt Schulte Döinghaus. Der 44-Jährige ist so etwas wie der Förster beim Städtischen Friedhofsamt, nur ohne Gewehr und Jeep. Der Landschaftsplaner weiß, was hier wächst und brütet. Die ältesten Bäume sind die im Umfeld des runden Brunnens im Mittelgang, sagt er. Einzelne seien bis zu 100 Jahre alt.
Wegen des Klimawandels müssen Bäume auf dem Alten Südlichen Friedhof in München ersetzt werden
Schulte Döinghaus verlässt jetzt den Weg, läuft ins höhere Gras, in die zweite Reihe. Er bleibt vor einem Baum stehen, dessen Stamm sich dicht am Grabstein vorbeidrängt. Eine Esche, sagt er, deutet auf die feingliedrigen Blätter. Die würde man heute nicht mehr pflanzen, sie sei anfällig für Schädlinge. Sowieso würde man sich beim Nachpflanzen eher an Sorten aus dem Mittelmeerraum orientieren. "Klimaresiliente Zukunftsbäume", nennt er sie. Sie müssen zum Beispiel mehr Hitze und Trockenheit aushalten. "Etwa die ungarische Eiche oder die Zerr-Eiche." Auch Oliven? Schulte Döinghaus winkt ab, so exotisch wird es nicht.
Ein großer Feldahorn wurde bei dem Sturm die Tage zuvor so beschädigt, dass herunterfallende Äste zur Gefahr werden könnten. Dann dürfen die Baumpfleger eingreifen. Sie haben den Stamm bis auf zwei Meter abgesägt. Der Stumpf bleibt stehen, als Behausung für Spechte, Stare oder Fledermäuse.
Wildbienen und Hummeln: Für sie ist der Münchner Friedhof ein Paradies
"Es ist noch ursprünglicher und naturbelassener hier als in den Parkanlagen", sagt der Landschaftsplaner. So könnten sich auch seltene Arten, wie der Münchner Hahnenfuß ungestört verbreiten. Das Gras zwischen den hinteren Gräberreihen würde nur einmal im Jahr gemäht, es ist für Bodenbrüter, wie Rotkehlchen oder den kleinen Zaunkönig reserviert. Mittendrin mal eine wilde Brombeere, die hier aufgegangen ist, ein Walnussbaum-Spross oder wilder Wein. Das Totholz am Boden nutzen Insekten. "Auch Wildbienen, Hummeln und andere wichtige Bestäuber für das ganze Viertel finden sich im Friedhof", sagt Schulte Döinghaus.
Der Boden abseits der Wege ist weich und uneben. Wie im Wald knackt es unter den Schuhen. Viele Bäume tragen ein Kleid aus dunklem Efeu, zwischen Grabsteinen fächern sich hellgrüne Farne auf und viele Randsteine sind eingehüllt in Moos. An den sehr heißen Tagen Mitte Juli habe man gemerkt, was für eine wichtige Kühlung der Alte Südliche Friedhof sei. "Fünf bis zehn Grad Unterschied im Vergleich zu draußen."
Verboten auf allen Münchner Friedhofen: Fahrrad fahren
Wegen ihrer hohen Population ist der Friedhof ein beliebter Ort, um Eichhörnchen beim Klettern und Nüsseverstecken zuzusehen. Wer sich Zeit nimmt, kann kleine Eidechsen entdecken, das Rufen von Fink und Goldammer oder den Specht beim Klopfen hören. "Grünspecht, Buntspecht und sogar den gelben Pirol haben wir hier schon gesehen", sagt Florian Scheungraber.
Zurück auf dem Hauptweg deutet der Friedhofsführer mit sachten Handbewegungen zum dritten Mal einem Radfahrer abzusteigen. "Es geht dabei nicht um Schikane." Er wolle in Erinnerung rufen, dass es ein Gedenkort ist und viele Münchner hier noch die Gräber von Angehörigen besuchen.

Der Alte Südfriedhof in München: Ein geschützter Ort, der erhalten werden soll
Das trifft auch auf ihn selbst zu. Er stammt aus einer Bildhauerfamilie und seine Urgroßeltern sind hier begraben. Scheungraber hat schon Gruppen beim Picknick oder Kindergeburtstag auf und zwischen den Grabplatten gesehen. Er findet das "pietätlos". Aber man müsse zwischen den unterschiedlichen Perspektiven vermitteln.
Aber ein Spaßverderber ist er nicht. Er weiß, dass hier viele Leute Ruhe suchen. "Da lesen Leute ihre Manuskripte, lernen Vokabeln oder lesen Zeitung", sagt er. Auch gegen Eltern mit Kindern auf Rädchen, die ihre ersten Fahrversuche unternehmen, hat Scheungraber nichts. Im Gegenteil. Er will genau diesen "geschützten Ort" erhalten, wo man nicht ständig aufpassen muss. Er habe es selbst früher mit seinem Sohn so gemacht: Sich auf eine feste Bank gesetzt und ihn als kleinen Bub auch alleine seine Erkundungen machen lassen.
Viele Promis liegen auf dem Alten Südfriedhof, aber auch Handwerker und Trambahnfahrer
Gegen Mittag sind die Schattenplätze um den runden Brunnen alle belegt. Glockenbacher verbringen alleine oder zu zweit ihre Mittagspause hier. Eine Mutter schraubt ein Gläschen für das Baby vor ihr im Kinderwagen auf. Ein älteres Pärchen biegt händchenhaltend in einen der schmaleren Wege ein.

Der Alte Südliche Friedhof ist kein Geheimtipp. Zu den Führungen von Florian Scheungraber kommen regelmäßig bis zu 30 Teilnehmer. Er teilt dann das, was er über die Gräber und ihre Verstorbenen über die Jahre recherchiert hat, mit den Gästen. Es sei nicht nur ein Friedhof für die Münchner Prominenz.
"Vom Trambahnfahrer, Handwerker bis zum General wurden alle hier begraben." Denn bis Ende des 19. Jahrhunderts sei der Friedhof außerhalb der Stadtmauern der einzige zentrale Ort für Begräbnisse gewesen. Die Gräber der weniger Betuchten fielen nur heute weniger auf, weil sie sich in den zweiten und dritten Reihen befinden.
Der Friedhof mitten in München bietet eine Mischung aus Natur und Ruheraum
Am Ende des Rundgangs steht Florian Scheungraber vor einem seiner Lieblingsgräber. Die Abbildung zeigt zwei Fackeln, eine zeigt nach unten, die andere nach oben. Sie stehen für Geburt und Tod, erklärt er. Und der Bienenstock? "Nein, ein Imker ist hier nicht begraben." Die Bienen seien Symbol dafür, dass es sich um eine besonders fleißige Person gehandelt habe, sagt der Friedhofsführer.
Die alten Inschriften, die neben den Namen auch die Berufe ausweisen, machen es Laien leicht, selbst etwas die Geschichte und Gesellschaft der vergangenen Jahrhunderte zu erforschen. Wiederum muss man auch kein Biologe sein, um unterschiedliche Schmetterlinge wie das Tagpfauenauge, Zitronenfalter oder den Fuchsschwanz zu entdecken. Es ist genau die Mischung aus Wildheit und "geschütztem Raum", die die besondere Atmosphäre hier ausmacht.