Wahlkampf in München und Bayern: Söder und Aiwanger ringen um die Bierzelt-Herrschaft

München - Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, strampelt sich buchstäblich ab. In allen Regierungsbezirken schwingt er sich – ungeachtet der Hitze – aufs Fahrrad, um mit großer Begleitung medienwirksam die bayerischen Lande zu erfahren. Die regionalen Fahrradtouren sind aber nur ein winziger Teil des Pensums, das der 56-Jährige im Vorfeld der Landtagswahl am 8. Oktober absolviert.
Kein Volksfest, kein Spatenstich, kein Empfang und keine Ehrung sind derzeit vor dem Fast-überall-Ministerpräsidenten sicher. Von großen Anlässen wie der Eröffnung des Straubinger Gäubodenfestes bis zum Annafest in Forchheim und vom Würzburger-Kiliani-Fest bis zum Vohenstraußer Altstadtfest und zum Keferloher Montag lässt Söder keinen Anlass aus, um dem CSU-Motto "Näher am Menschen" gerecht zu werden. Auch wer Söder nicht sonderlich nahe steht, kommt nicht umhin, seinen schier unerschöpflichen Energiereserven Respekt zu zollen.
Söder kann natürlich auf die großen Apparate seiner Regierung und seiner Partei zurückgreifen und so scheint es mitunter, als sei er der Einzige, der rund zwei Monate vor dem Urnengang intensiv Wahlkampf betreibt. Zentraler Bestandteil davon sind die Bierzeltauftritte, von denen Söder bis zum Wahltag nach eigenen Angaben mindestens 110 absolviert haben will. Und er weiß warum: Außer ihm ist fast kein anderer Landespolitiker in der Lage, sie zu füllen und zu begeistern.
Markus Söder: Ausgerechnet der Vize macht Konkurrenz
Aber nur fast kein anderer: Ausgerechnet sein eigener Vize in der Staatsregierung macht ihm in dieser Disziplin Konkurrenz. Wirtschaftsminister und Freie Wähler-Vorsitzender Hubert Aiwanger beherrscht die Kunst der deftigen Polit-Unterhaltung in bierdunstgeschwängerter Atmosphäre ebenso gut. "Hubert ist zu einer Kultfigur geworden", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler im bayerischen Landtag Fabian Mehring. Da ist etwas dran, spätestens seit sich Aiwanger mit seiner Aufforderung, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie aus Berlin zurückholen, interessant gemacht hat. Ob beliebter, ist noch nicht ausgemacht.
Umso schneller hetzt Söder von Termin zu Event, von Ehrung zu Förderscheckübergabe und von Empfang zu Festrede, als ob es für ihn um Sein oder Nichtsein ginge. Tut es aber nicht. Im Grunde geht es für den ehrgeizigen Nürnberger um ein Statussymbol, nämlich die Vier vor dem Ergebnis. Alle in der CSU sind sich einig: Das wäre der Ritterschlag und würde Söder für den Rest des Jahrzehnts die Macht in der Staatskanzlei und im Franz Josef Strauß-Haus sichern.
Doch obwohl der Regierungschef rein rechnerisch jeden Tag mit 2.400 Bürgern in Kontakt kommt, wollen sich die Umfragezahlen für die CSU einfach nicht aus dem Bereich von 40 Prozent minus X heraus bewegen. Sie messen Zustimmungsraten nur knapp oberhalb des letzten Landtagswahlergebnisses von 37,2 Prozent, das von der CSU und Söder selbst nach wie vor als Ausrutscher nach unten verstanden wird.
Neue Umfrage: Zufriedenheit mit Söder ist steigerungsfähig
Einen großen Teil der Wahlberechtigten wird Söder auch durch noch so viel Händeschütteln und Schulterklopfen nicht überzeugen können. So ermittelte kürzlich eine Civey-Umfrage, dass 51 Prozent der Bayern mit ihrem Ministerpräsidenten "nicht zufrieden" und ein Drittel sogar "schwer unzufrieden" sei. Zum Urteil "zufrieden" rangen sich nur 37 Prozent durch – genauso viele wie 2018 ihr Kreuz bei der CSU gemacht haben. Was nichts daran ändert, dass alle Prognosen eine gesicherte Mehrheit für die angestrebte Koalition mit den Freien Wählern vorhersagen.
Söder weiß, eine Wahl wird erst auf den letzten Metern entschieden. Gleichwohl auferlegt er sich einen "Marathon mit Volldampf". Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher sprach im Bayerischen Rundfunk von einer "Flutung der Öffentlichkeit durch beständig neue Vorschläge und große Präsenz auf allen Kanälen".
Tatsächlich kommt man auch im Internet nur schwer an der Person des bayerischen Staatslenkers vorbei. Auf Instagram outet sich Söder als "Radfahrer, Hundefreund, Clubberer" (Anhänger des 1. FC Nürnberg - d. Red.) und "Sciencefiction-Fan" und gab unlängst sogar einen Einblick in die Söder-Familie seiner Kindheit. Katzenfreunde vermissen freilich ein Bekenntnis zu ihrem geliebten Haustier. Sympathien, die Söder durch frühere Fotos vom Baumumarmen bei den Naturschützern erworben haben mag, hat er durch Abschussfreigaben von Wölfen und Fischottern unter dem Beifall von Land- und Teichwirten längst wieder verspielt. Nicht einmal Söder kann es eben allen recht machen. Immerhin sind die Landwirte als Wähler heiß umkämpft: Von der CSU und den Freien Wählern mit ihrem Landwirt Aiwanger an der Spitze.
Reicht Söder das "schönste Amt der Welt"?
Und was die Glaubwürdigkeit angeht, so fielen Söder seine jahrelang gebetsmühlenartigen Beteuerungen, er sehe seinen Platz ausschließlich in Bayern, durch seine Kanzlerkandidat-Kandidatur gegen Armin Laschet so nachhaltig auf die Füße, dass ihm die Wiederholungen heute kaum noch jemand abnimmt. Das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten, angeblich das "schönste der Welt", sei auf Dauer für einen wie Söder zu klein, meinen viele.

Erste Anzeichen dafür wollen viele in dem Sommerinterview des Ministerpräsidenten sehen, in welchem er den Zeitpunkt für die Kür eines Unions-Kanzlerkandidaten entgegen früherer Absprachen auf den Herbst 2024 nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg festzulegen versuchte. Ausdrücklich mit der Bemerkung, es habe "wenig Sinn, den Kanzlerkandidaten in drei Landtagswahlen zu schicken". CDU-Chef Friedrich Merz wird das wohl einzuordnen wissen und viele von Söders Parteifreunden auch. "Ich würde es ihm nicht raten, noch einmal anzutreten", sagt einer – womit er den CSU-Chef meint.