Wahlabend bei der SPD: Zwei Prozent am Ziel vorbei

Die Anspannung in der SPD ist am Wahlabend groß. OB Dieter Reiter ist mit seinen Gedanken woanders – bei der Corona-Krise.
von  Emily Engels
Dieter Reiter mit Ehefrau Petra kommen um 13.30 Uhr an die Wahlurne.
Dieter Reiter mit Ehefrau Petra kommen um 13.30 Uhr an die Wahlurne. © Daniel Loeper

München - Ein bisserl bedrückt schaut OB Dieter Reiter (SPD) drein, als er in die Traube von Journalisten blickt. Der Treffpunkt ist genauso wenig feierlich wie der Anlass. Wegen der Corona-Krise muss die Veranstaltung unter freiem Himmel stattfinden, man trifft sich an den Holzbänken am Harras. Nicht ganz überzeugt klingt Reiter, als er sagt: "Es ist ein gutes Wahlergebnis." Umso glaubwürdiger wiederum der etwas gezwungen klingende Scherz danach: "Zwei Prozent mehr wären schon gut gewesen."

Denn mit 48 Prozent der Stimmen ist Dieter Reiter knapp, aber sicher an der absoluten Mehrheit vorbeigeschlittert. Er muss gegen die CSU-Anwärterin Kristina Frank (21,4 Prozent) in die Stichwahl. Reiter ist damit der erste SPD-Amtsinhaber seit Jahrzehnten, dem das passiert. Spricht man ihn gestern auf seine Niederlage an, weicht Reiter eher aus. "Ich hatte 14 Gegenkandidaten, darunter zwei sehr starke Konkurrentinnen von der CSU und den Grünen", sagt er. Eine absolute Mehrheit sei da von Anfang an schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen. Der Stichwahl sehe er entspannt entgegen.

"Die Zeiten der satten Mehrheit sind einfach vorbei"

Überraschend ist das Wahlergebnis dennoch. Denn mehreren repräsentativen Umfragen zufolge – darunter die der AZ – sollte Reiter zwar in die Stichwahl, allerdings gegen die grüne Katrin Habenschaden.

Ungeplant passend zu Reiters schlechtem Ergebnis verbrachte die SPD-Spitze den Abend im kleinsten Kreise statt bei einem rauschenden Fest: In der Ku(h)bar im "Wirtshaus am Schlachthof" saßen Partei- und Fraktionsspitze im wahrsten Sinne im stillen Kämmerlein.

Nur wenige Journalisten hatten sich dazugesellt, die ursprünglich geplante Großveranstaltung im Oberanger? Wegen Corona abgesagt.

Als hätte die SPD-Spitze das Ergebnis erahnen können, ist die große Nervosität im Raum förmlich spürbar. "Die Anspannung ist gigantisch, kein Mensch kann es beschleunigen", sagt Partei-Vizechef Roland Fischer, während er auf seinem Smartphone im Minutentakt die Ergebnisse aktualisierte. Ebenfalls passend zur nervösen Stimmung: Die Wartezeit vertrieb man sich damit, über die Corona-Krise zu sprechen.

Reiter: Vom Krisenstab in die Wahlkabine

Ein Thema, das Dieter Reiter aktuell täglich beschäftigt. Denn einige Stunden zuvor, als der Oberbürgermeister selbst in der Grundschule in der Meindlstraße in Sendling seine Kreuzerl abgegeben hatte, wirkte er müde und abgehetzt – und das lag nicht nur daran, dass es das Ende eines langen Wahlkampfes war.

Er kam gerade von einem dreistündigen Krisenstab mit der Stadt – und musste nach einem kurzen Gespräch mit Journalisten sofort wieder weiter, um sich mit diversen Ministern abzusprechen. Irgendwo dazwischen wollte er noch bei den Wahlhelfern vorbeifahren, um sich bei ihnen zu bedanken.

Anders als am Abend wurde Reiter mittags in der Meindlstraße noch gefeiert wie ein Superstar: Schon von weitem wurde er bejubelt, als er mit Ehefrau Petra zu Fuß auf dem Weg ins Wahllokal war. Kinder nahmen aus offenen Fenstern anliegender Häuser Handy-Filmchen auf und riefen laut: "Da kommt er! Da kommt er!"

Lob für Dieter Reiter aus der Partei

Die Partei- und Fraktionsspitzen loben Reiter an diesem Abend demonstrativ. Vize-Fraktionschef Christian Vorländer sagt: "Die Zeiten der satten Mehrheiten sind eben vorbei." Gerade in "Ausnahmezeiten", könne Dieter Reiter in der Stichwahl noch einmal zeigen, dass er alles mitbringe, um die Stadt auch durch Notlagen zu führen. "Er ist ein Anpacker, ein Macher, der perfekte Krisen-Chef", schwärmt Vorländer.

Tatsächlich werden die nächsten Wochen für ihn hauptsächlich im Zeichen von Corona stehen, sagt Reiter gestern. Freilich eine Doppelbelastung mit Blick auf die Stichwahl, die ausschließlich per Briefwahl stattfinden soll.

Dabei hatte Reiter sich die Zeit nach der Wahl eigentlich völlig anders vorgestellt. Im AZ-Interview hatte er vor einigen Monaten angekündigt, erstmal mit seiner Frau Petra wegzufahren. Damals war er freilich weder von einer Stichwahl noch von der Corona-Krise ausgegangen.

Reiter schulterzuckend: "Aus diesen Plänen wird jetzt erstmal nichts mehr. Meine größte Prämisse ist es jetzt, die Münchner bestmöglich zu schützen." Seine Parteifreunde sprachen unterdessen gestern auch über Strategien für die Tage bis zur Stichwahl. Man wolle nun gezielt um Grünen-Wähler werben.

 

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