Wärme aus der Kalksteinschicht: Unterwegs auf Münchens Mega-Geothermie-Anlage

München - Tief unter München, etwa drei Kilometer in Richtung Erdmittelpunkt, befindet sich ein unvorstellbar großes Reservoir an heißem Wasser. Der flüssige Schatz hat sich in Hohlräumen wie Karsthöhlen und Spalten der Kalksteinschicht (Malm) angereichert. Im Altmühltal kann man die etwa fünf Millionen Jahre alte Kalksteinschicht an der Oberfläche bestaunen, gen Süden unter den Alpen taucht sie immer tiefer ab.
In München und Umgebung ist die Malm-Schicht großflächig vorhanden – mit reichlich Thermalwasser darin. Je tiefer die Kalksteinschicht liegt, umso heißer ist es. Unter den Häusern der Landeshauptstadt hat es eine Temperatur von etwa 95 Grad; unter Sauerlach, in etwa vier Kilometern Tiefe, rund 140 Grad.
Drei Kilometer tief wird gebohrt an der Schäftlarnstraße
Die Stadtwerke München (SWM) und der Bundesverband Geothermie sind dabei, diesen Thermalwasserschatz buchstäblich zu heben – sechs Geothermieanlagen betreiben die SWM – für Fernwärme, mit der Wohnungen geheizt und Wasser erwärmt werden kann sowie zum Teil auch zur Stromgewinnung.

Im Sommer 2021 ist auf dem Areal zwischen Isarkanal, Schäftlarnstraße und Großmarkthalle Deutschlands größte – laut Bundesverband Geothermie sogar Europas größte – Geothermieanlage in den Testbetrieb gegangen. Sie wird Ökowärme – rund 80 Megawatt – für mehr als 80.000 Menschen liefern: wetterunabhängig und klimaneutral.
Zudem werden an dem Standort die Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen modernisiert, um künftig noch effizienter Strom und Wärme zu erzeugen. Auch entstehen ein neuer Energiespeicher und eine Technikzentrale. Ab diesem Jahr soll zudem aus dem kalten Wasser aus dem Isarkanal klimafreundliche Fernkälte für die Innenstadt produziert werden.

Rund 3.000 Meter wird an der Schäftlarnstraße in die Tiefe gebohrt. Über drei Bohrungen wird das heiße Wasser an die Erdoberfläche gepumpt und durch dicke, oberirdische Rohre zu Wärmetauschern geführt. Dort wird die Energie auf das Fernwärmenetz übertragen. Anschließend wird das abgekühlte Wasser (mit noch etwa 55 bis 60 Grad) über sogenannte Injektionsbohrungen zurück in dieselbe Erdschicht geleitet, aus der es entnommen wurde. Der Abstand zwischen den Schächten, durch die das Wasser entnommen wird und wieder zurückgeführt wird, beträgt etwa zwei Kilometer.
SWM betreibt sechs Geothermie-Anlagen

Die meisten Geothermie-Heizwerke in Bayern befinden sich rund um München. Die erste Anlage der Stadtwerke ging 2004 in Riem in Betrieb, mittlerweile betreiben die SWM sechs, darunter seit 2016 eine Zwölf-Megawatt-Anlage in Freiham. Sie wurde 2020 als effizienteste in Bayern in den Kategorien Strom und Wärme ausgezeichnet.

Über ein 900 Kilometer langes Fernwärmenetz versorgen die Stadtwerke schon rund 40 Prozent der Münchner Haushalte mit umweltfreundlicher Wärme. Bis spätestens 2040 wollen sie den Münchner Fernwärmebedarf komplett CO2-neutral decken. Um das zu erreichen, setzen sie vor allem auf die sogenannte Tiefengeothermie.

Für Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer bei den SWM und Präsident des Bundesverbandes Geothermie (BVG), muss der Anteil erneuerbarer Energien vor allem auch im Wärmebereich viel schneller vorangehen. Geothermie habe das größte ungenutzte Ausbaupotenzial. In einem Positionspapier haben die SWM am Donnerstag eine massive Beschleunigung gefordert, um Gas aus Russland ersetzen zu können. Dafür müssten Genehmigungs- und Vergabeverfahren deutlich vereinfacht und verkürzt werden, auch brauche es mehr Fördermittel für die Testphasen. Und: Fernwärme müsse in der entsprechenden "Wärmelieferverordnung" besser gestellt werden als Erdgas.