Wärme aus der Kalksteinschicht: Unterwegs auf Münchens Mega-Geothermie-Anlage

Gegenüber der Großmarkthalle entsteht Europas größte Geothermie-Anlage. 80.000 Münchner soll die klimafreundliche Fernwärme versorgen. Ein Rundgang durch die neue Anlage.
von  Nina Job
Hier rauscht heißes Thermalwasser durch: Geothermie-Experte Christian Pletl mit Helge-Uve Braun und Kraftwerksleiter Thomas Gilg (v.l.).
Hier rauscht heißes Thermalwasser durch: Geothermie-Experte Christian Pletl mit Helge-Uve Braun und Kraftwerksleiter Thomas Gilg (v.l.). © Daniel von Loeper

München - Tief unter München, etwa drei Kilometer in Richtung Erdmittelpunkt, befindet sich ein unvorstellbar großes Reservoir an heißem Wasser. Der flüssige Schatz hat sich in Hohlräumen wie Karsthöhlen und Spalten der Kalksteinschicht (Malm) angereichert. Im Altmühltal kann man die etwa fünf Millionen Jahre alte Kalksteinschicht an der Oberfläche bestaunen, gen Süden unter den Alpen taucht sie immer tiefer ab.

In München und Umgebung ist die Malm-Schicht großflächig vorhanden – mit reichlich Thermalwasser darin. Je tiefer die Kalksteinschicht liegt, umso heißer ist es. Unter den Häusern der Landeshauptstadt hat es eine Temperatur von etwa 95 Grad; unter Sauerlach, in etwa vier Kilometern Tiefe, rund 140 Grad.

Drei Kilometer tief wird gebohrt an der Schäftlarnstraße

Die Stadtwerke München (SWM) und der Bundesverband Geothermie sind dabei, diesen Thermalwasserschatz buchstäblich zu heben – sechs Geothermieanlagen betreiben die SWM – für Fernwärme, mit der Wohnungen geheizt und Wasser erwärmt werden kann sowie zum Teil auch zur Stromgewinnung.

Das Thermalwasser, aus dem Energie gewonnen wird, ist umso heißer, je tiefer es unter der Erde vorhanden ist. In München an der Schäftlarnstraße hat es eine Temperatur von 90 bis 95 Grad, in Sauerlach 140 Grad.
Das Thermalwasser, aus dem Energie gewonnen wird, ist umso heißer, je tiefer es unter der Erde vorhanden ist. In München an der Schäftlarnstraße hat es eine Temperatur von 90 bis 95 Grad, in Sauerlach 140 Grad. © SWM

Im Sommer 2021 ist auf dem Areal zwischen Isarkanal, Schäftlarnstraße und Großmarkthalle Deutschlands größte – laut Bundesverband Geothermie sogar Europas größte – Geothermieanlage in den Testbetrieb gegangen. Sie wird Ökowärme – rund 80 Megawatt – für mehr als 80.000 Menschen liefern: wetterunabhängig und klimaneutral.

Zudem werden an dem Standort die Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen modernisiert, um künftig noch effizienter Strom und Wärme zu erzeugen. Auch entstehen ein neuer Energiespeicher und eine Technikzentrale. Ab diesem Jahr soll zudem aus dem kalten Wasser aus dem Isarkanal klimafreundliche Fernkälte für die Innenstadt produziert werden.

Durch riesige Rohre wird das heiße Wasser zu Wärmetauschern geleitet.
Durch riesige Rohre wird das heiße Wasser zu Wärmetauschern geleitet. © Daniel von Loeper

Rund 3.000 Meter wird an der Schäftlarnstraße in die Tiefe gebohrt. Über drei Bohrungen wird das heiße Wasser an die Erdoberfläche gepumpt und durch dicke, oberirdische Rohre zu Wärmetauschern geführt. Dort wird die Energie auf das Fernwärmenetz übertragen. Anschließend wird das abgekühlte Wasser (mit noch etwa 55 bis 60 Grad) über sogenannte Injektionsbohrungen zurück in dieselbe Erdschicht geleitet, aus der es entnommen wurde. Der Abstand zwischen den Schächten, durch die das Wasser entnommen wird und wieder zurückgeführt wird, beträgt etwa zwei Kilometer.

SWM betreibt sechs Geothermie-Anlagen

Menschenleer: Im "Thermalwasserbereich" läuft alles vollautomatisch.
Menschenleer: Im "Thermalwasserbereich" läuft alles vollautomatisch. © Daniel von Loeper

Die meisten Geothermie-Heizwerke in Bayern befinden sich rund um München. Die erste Anlage der Stadtwerke ging 2004 in Riem in Betrieb, mittlerweile betreiben die SWM sechs, darunter seit 2016 eine Zwölf-Megawatt-Anlage in Freiham. Sie wurde 2020 als effizienteste in Bayern in den Kategorien Strom und Wärme ausgezeichnet.

"Pumpenkönig" Thomas Gilg: Er leitet das Kraftwerk am Standort Süd.
"Pumpenkönig" Thomas Gilg: Er leitet das Kraftwerk am Standort Süd. © Daniel von Loeper

Über ein 900 Kilometer langes Fernwärmenetz versorgen die Stadtwerke schon rund 40 Prozent der Münchner Haushalte mit umweltfreundlicher Wärme. Bis spätestens 2040 wollen sie den Münchner Fernwärmebedarf komplett CO2-neutral decken. Um das zu erreichen, setzen sie vor allem auf die sogenannte Tiefengeothermie.

In dieser Halle entsteht ein neues Kraftwerk mit Gas- und Dampfturbinen.
In dieser Halle entsteht ein neues Kraftwerk mit Gas- und Dampfturbinen. © Daniel von Loeper

Für Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer bei den SWM und Präsident des Bundesverbandes Geothermie (BVG), muss der Anteil erneuerbarer Energien vor allem auch im Wärmebereich viel schneller vorangehen. Geothermie habe das größte ungenutzte Ausbaupotenzial. In einem Positionspapier haben die SWM am Donnerstag eine massive Beschleunigung gefordert, um Gas aus Russland ersetzen zu können. Dafür müssten Genehmigungs- und Vergabeverfahren deutlich vereinfacht und verkürzt werden, auch brauche es mehr Fördermittel für die Testphasen. Und: Fernwärme müsse in der entsprechenden "Wärmelieferverordnung" besser gestellt werden als Erdgas.

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