Vorzeigeprojekt vor dem Aus
Viele Schulen müssen ihre Betreuung aufgeben, da die zugesagte Staats-Gelder nicht fließen. Das Ministerium spart das vorbildliche Kultur-Konzept kaputt. Während Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) kaum eine Gelegenheit auslässt, den erfolgreichen Ausbau der Ganztagshauptschulen zu verkünden, wächst an den Schulen die Wut.
Von Marco Eisenack
Der zappelige Bub war der Störenfried der Klasse. Ein Kind, „das keine Zehntelsekunde still sitzt“, erinnert sich Wolfgang Miller. Als der Schulleiter vor zwei Jahren eine Ganztagsklasse für seine Hauptschule an der Perlacher Straße beantragte, tat er dies auch, um benachteiligten Kindern mehr Bildungschancen zu geben. Seine Erwartungen wurden übertroffen. Ein Kulturpädagoge begeisterte den Buben jeden Dienstagvormittag in der Theatergruppe. Es sei ein „unglaublicher Wandel in der Persönlichkeit“ eingetreten. Als der Junge nach dem ersten Auftritt beklatscht wurde, „durfte er erleben, dass er etwas schaffen kann“, sagt Miller.
Solche Musterfälle geglückter Hauptschulförderung werden in Millers Schule künftig seltener. Das Ministerium sparte das vorbildliche Kultur-Konzept kaputt. Während Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) kaum eine Gelegenheit auslässt, den erfolgreichen Ausbau der Ganztagshauptschulen zu verkünden, wächst an den Schulen die Wut. Was über die Hauptschulen verbreitet wird, sei „reine Propaganda“, sagt Henning Strunk, Elternbeirat der Hauptschule in der Perlacher Straße. In einem Brief, unterschrieben von Eltern der Ganztagsklassen, wird eine „deutliche Erhöhung“ der Zuwendung gefordert und dem Minister vorgeworfen, „nicht im Sinne unserer Kinder“ zu handeln.
Profilbildung und mehr künstlerisch-kreative Angebote
Was Minister Schneider den Rektoren zur Stärkung der umstrittenen Schulart vorschlägt, hört sich gut an: Profilbildung, mehr künstlerisch-kreative Angebote, Intensivierungsstunden und Kooperation mit Vereinen und Organisationen. Der Ausbau der Ganztagesschule war sein großes Projekt, als er vor drei Jahren sein Amt antrat. Seither stieg die Zahl bayerischer Vollzeit-Standorte auf 161, für das kommende Schuljahr genehmigte Schneider weitere 175 Anträge. Doch mit steigender Anzahl der Klassen fuhr das Minsterium die finanzielle Unterstützung zurück: Das Ministerium zahlt seit vergangenem Schuljahr nur noch zwölf Lehrerstunden die Woche – sieben Stunden weniger als zu Beginn der Ganztages-Hauptschulen. 6000 Euro pro Jahr gibt Schneider pro Klasse dazu. „Viel zu wenig“, sagt der Giesinger Rektor Miller.
Der Skandal bei der Giesinger Schule hat noch einen pikanten Nebenaspekt: Das Kultusministerium hatte der Schule mehrmals eine Finanzspritze von 7500 Euro zugesagt, heißt es. Davon wollen die Beamten jetzt nichts mehr wissen. Sie reden jetzt von 6000 Euro. Folge: Rektor Miller muss jetzt viele Angebote ersatzlos streichen.
Ganztagesschulen als Lösung
Ganztagsklassen gelten inzwischen auch in der CSU als beste Antwort auf viele Probleme an Hauptschulen. Zwischen 8 und 16 Uhr wechseln Lern- und Kreativphasen ab, die Kinder sind ganztags betreut und Lehrer haben mehr Zeit, auf die Defizite einzugehen. In Giesing konnten die Schüler zwischen Video und Fotografie, Improtheater, Zirkus, Zeichnen oder Theater wählen. Das Institut für Angewandte Kulturelle Bildung (IAKB) und der Verein „Spielen in der Stadt“ stellten Personal und sprachen die Inhalte mit den Lehrern ab. Ironie des Schicksals: Während das Angebot mangels Unterstützung des Freistaats zerbricht, gewann die Schule für ihr vorbildliches Ganztagskonzept nach dem bundesweiten Kulturpreis „Mixed Up“ für das „bemerkenswerte kulturpädagogische Konzept“ vor wenigen Wochen auch den Förderpreis „Lebenskunst lernen“.
Die Leidtragenden sind die Kinder. „Ich bin einfach sehr traurig“, sagt Sechstklässlerin Reham. Beim Improtheater entdeckte sie die Lust an Schauspiel und Sprache. Das hat ihr auch in Lernfächern geholfen. Jetzt kann das Mädchen auf die Realschule wechseln. Ihr Schulfreund Vinzent ist deprimiert: „Der Videokurs hatte mir sehr gut gefallen. Auch weil da nicht so viel rumgeschrien wurde, wie im normalen Unterricht.“ Wieder hat der Junge das Gefühl, als Hauptschüler nicht viel wert zu sein. „Das Gymnasium bei uns hat einen extra Platz zum Fußball spielen, wir haben nur eine matschige Wiese.“ Für ein Kind das Sinnbild einer Versagergruppe.
Karl-Heinz Auer, Rektor der Knappertsbusch-Schule, kennt das Gefühl der Drittklassigkeit: „Alle reden vom G8. Wir haben auch eine Ganztagesbetreuung!“ Seit sechs Jahren wartet er auf den Umbau eines Klassenzimmers zur Mensa. Er bekommt nicht mal Geld, um die Tafel abzubauen. „Hauptschulen fallen immer hinten runter.“
Zuwenig Ganztagesschulen in Bayern
So gibt es in Bayern deutlich weniger Ganztagsklassen als nötig wären. „Schulleiter haben mir gesagt, dass sie den Antrag nicht stellen, weil die Lehrerstunden für ein sinnvolles Konzept nicht ausreichen“, sagt Isabell Zacharias, Vorsitzende des bayerischen Elternverbandes.
Ein Problem, das Bayerns Ganztags-Pionier Auer gut kennt. „Wir hatten einen Choreografen, der gewöhnlich 40 Euro in der Stunde bekommt. Nach ein paar Monaten erfuhr er, dass er bei uns acht Euro brutto bekommt.“ Auer stellt das Ganztagskonzept in der heutigen Form in Frage: Wie soll er sein Budget sinnvoll einsetzen, wenn er nicht weiß, wie viel Honorar seine Kräfte erhalten? Was passiert mit dem Geld, das nicht verbraucht wird? Fragen, die er in einem Brief an das Schulamt stellte. Im November 2006. Bis heute wartet er auf eine Antwort.
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