Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann: Plattenfirma Universal ist "schockiert" und zieht Konsequenzen

München - Die vier Tour-Konzerte im Olympiastadion sind mit vielen Nebengeräuschen im wahren Sinne über die Bühne gegangen, die schlimmen Vorwürfe gegen Rammstein und Till Lindemann haften nach wie vor fest an der Rockband – erst recht jetzt, wo die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Frontmann aufgenommen hat. Am 17./18. Juni gastiert die Band im schweizerischen Bern und im kommenden Monat wieder in Deutschland, dann in Berlin (15./16./18. Juli).
Rammstein-Auftritt in Trencin: Verkehrsmeldungen wichtiger als Vorwürfe gegen Lindemann
Als bekannt wurde, dass nun gegen Lindemann ermittelt wird, da steckten die Musiker mitten in den Vorbereitungen auf das Konzert im slowakischen Trencin. Wie aus dem Umfeld der Band zu hören ist, werde man die Tour auch angesichts der neuen Entwicklungen wie geplant fortsetzen.
Ermittlungen laufen: Wie reagieren die Veranstalter der Rammstein-Konzerte?
Für Rammstein besteht objektiv betrachtet kein Grund, die Tour abzublasen. Und auch für die örtlichen Veranstalter ist das Ganze selbst angesichts des öffentlichen Drucks ein schwieriges Thema. Denn: Wer absagt, der bezahlt. Es wird für die Organisatoren im Zweifelsfall also richtig teuer.
Wie verschiedene Medien berichten, nahm die Band allein im vergangenen Jahr mit den Ticketverkäufen ihrer Tournee über 250 Millionen Euro ein, das macht dann mehr als fünf Millionen Euro pro Konzert. Aktuell sollen nur fünf weitere Bands weltweit einen höheren Gesamtumsatz erwirtschaften, schreibt "Capital".

Ermittlungen laufen: Wie geht es jetzt weiter für Till Lindemann und Rammstein?
Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Band von den Ermittlungen überrascht wurde, und unter Umständen ist es auch für Till Lindemann eine gute Nachricht, dass sich das Thema nun auf einem anderen Level bewegt: Abseits einer Vielzahl vorwiegend anonymer Opfer, abseits von Emotionen – denn auch wenn das Verfahren erst ganz am Anfang steht, wird jetzt in jede Richtung ermittelt.
Medienanwalt Solmecke: "Ob das Straftaten sind, das muss bewiesen werden"
Medienanwalt Christian Solmecke stellte bei "Stern TV" in Zusammenhang mit dem im Kontext immer wieder genannten Paragrafen 177 Strafgesetzbuch (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) fest, dass die Verantwortlichen "viele Jahre ins Gefängnis kommen", wenn K.o.-Tropfen mit im Spiel waren.
"Auch wenn jemand abgefüllt worden ist oder vielleicht selber sich abgefüllt hat", komme es darauf an, dass man vorher zustimme: "Im Strafrecht ist da die Frage, ob die Betroffenen hier aktiv zugestimmt haben zu allen Handlungen, die da im Raume standen." Die Staatsanwaltschaft werde das alles überprüfen, so Solmecke: "Ob das Straftaten sind, das muss bewiesen werden."
Shelby Lynn zu Lindemann: "Till, wenn du wegen Sex hier bist, dann ist das deine Sache"
Die Irin Shelby Lynn hatte die ganze Sache losgetreten, indem sie ausführlich über ihre persönlichen Erfahrungen rund um das Rammstein-Konzert in Vilnius/Litauen berichtete. Auch danach meldete sie sich weiterhin zu Wort.
Im Gespräch mit dem Rechercheteam von NDR und SZ erzählte die 24-Jährige noch einmal, dass Lindemann ausgerastet sei. Ihre Schilderung mit Blick auf die angebliche Aftershow-Party in einem Extra-Raum: "Till kommt rein. Und ich sage sofort zu ihm: 'Till, wenn du wegen Sex hier bist, dann ist das deine Sache. Ich will das nicht machen. Sex ist für mich etwas ganz Besonderes.' Und er wird sehr wütend, und er schreit mich an und stürmt durch den Vorhang, um zu gehen. Ich habe eine Minute gewartet, damit er weggeht, den Vorhang geöffnet, und er ist immer noch da. Und schreit mich an: 'Nein, du wartest! Du wartest da drin!'"
Shelby Lynn zu Unterlassungserklärung: "Bringt mich vor Gericht. Ich habe keine Angst"
Im Beitrag der ARD-Sendung "Titel, Thesen, Temperamente" betont Shelby Lynn, sie sei "fast hundertprozentig sicher", dass sie Drogen bekommen habe. Zu den Vorwürfen, Lindemann habe Frauen möglicherweise mithilfe von K.o.-Tropfen bzw. Alkohol betäubt, um sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können, ließ Lindemanns Anwaltskanzlei in einem schriftlichen Statement verlauten: "Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr. Wir werden wegen sämtlicher Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten."
Lynn erhielt nach eigener Aussage bereits vor der Presseerklärung eine Unterlassungsaufforderung. Ihre klare Ansage: "Macht mich bankrott. Ist mir egal. Bringt mich vor Gericht. Ich habe keine Angst. Sie haben viel zu verlieren und eine Menge zu verbergen. Ich habe nichts zu verbergen."
So kommentiert das Rammstein-Label Universal Music die Vorwürfe
Die Plattenfirma Universal Music vertreibt bzw. verlegt die Werke der Band und wird die Entwicklungen sicher mit großem Interesse verfolgen, auch wenn die Geschäftsbeziehungen mit der Band nach eigenen Angaben nur "das Recorded Music- und Publishing-Business" umfassen, nicht aber das Live- oder Merchandising-Geschäft.
Nach Bekanntwerden der Ermittlungen nach mehreren Strafanzeigen gegen Sänger Lindemann gab es am Donnerstag dann folgendes offizielles Statement zu einer AZ-Nachfrage: "Die Vorwürfe gegen Till Lindemann haben uns schockiert, und wir haben den größten Respekt vor den Frauen, die sich in diesem Fall so mutig öffentlich geäußert haben. Wir sind davon überzeugt, dass eine vollumfängliche Aufklärung der Anschuldigungen, auch durch die Behörden, unbedingt erforderlich ist und ebenfalls im Interesse der gesamten Band liegen muss. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben wir die Marketing- und Promotion-Aktivitäten für die Recordings der Band bis auf Weiteres ausgesetzt."
Das habe man bei Bekanntwerden der Vorwürfe so beschlossen, also nicht erst am Mittwoch, heißt es aus dem Unternehmen. "Aktuell" seien keine weiteren Konsequenzen geplant.
Universal Music und der Fall Samra: Messen mit zweierlei Maß?
Dass Universal Music in solchen Fällen durchaus auch eine andere Linie fahren kann, zeigte die Plattenfirma im Umgang mit den Vorwürfen gegen den Rapper Samra im Sommer 2021: Die Influencerin Nika Irani hatte damals den Künstler beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben.
"Gegen einen unserer Künstler wurden auf Social Media schwere Anschuldigungen erhoben. Konkret geht es um den Vorwurf der sexuellen Gewalt. Die Vorwürfe erschüttern uns sehr", hieß es damals in einer Instagram-Story.
Und weiter: "Aufgrund der Schwere der Anschuldigungen haben wir uns dazu entschlossen, die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Künstler bis zur Klärung der Vorwürfe ruhen zu lassen." Dieser Schritt diene dem "Schutz aller Beteiligten" und sei "keine Vorverurteilung". Die Anschuldigungen nehme man "sehr ernst" und man behalte sich vor, "in Abhängigkeit von weiteren Erkenntnissen weitreichende Konsequenzen zu ziehen".
Kurz darauf hieß es dann: Universal Music und das gesamte Team verurteilten "jede Form von sexueller Gewalt auf das Schärfste", man solidarisiere sich "jederzeit ausnahmslos mit den Opfern".
Andere Unternehmen zeigten klare Kante: Die Drogeriekette Rossmann nahm die von Rammstein gebrandeten Parfüms "Kokain", "Sex" und "Pussy" zeitnah aus dem Sortiment, die Pokerplattform GGPoker stellte eine zwei Monate zuvor angelaufene Kampagne wieder ein.
Veranstaltungsfirma Riggingwerk beendet Zusammenarbeit mit Rammstein und Lindemann
Am Mittwoch wurde bekannt, dass auch die Veranstaltungsfirma Riggingwerk die Zusammenarbeit mit Rammstein bei deren Konzerten beendet. Das bestätigte Riggingwerk-Geschäftsführer Aeneas Hohenadl der "Welt". Das Unternehmen arbeitete auch als Sub-Partner der Band mit "Rock am Ring" oder "SAP Arena" zusammen. "Wir distanzieren uns als Unternehmen von der Band Rammstein. Ich schließe eine Zusammenarbeit mit Till Lindemann oder der Band Rammstein in Zukunft aus", wird Hohenadl zitiert.
Der Geschäftsführer erklärte zudem, dass der von Shelby Lynn beschriebene Raum unter der Bühne bei Konzerten auch in der Crew als "Suck Box" (also ein Raum, in dem es zu Oralverkehr kommt) bekannt gewesen sei.
Lindemann-Gedicht: "Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst"
Mit dem Aus in der Zusammenarbeit mit dem Verlag Kiepenheuer & Witsch tauchen zudem noch brisante Fragestellungen auf, die bei der Bewertung der Vorwürfe unter Umständen noch eine Rolle spielen dürften.
Das bei dem Verlag vor drei Jahren im Band "100 Gedichte" veröffentlichte Lindemann-Gedicht "Wenn du schläfst" bekommt angesichts der aktuellen Diskussion einen mehr als faden Beigeschmack: Verschwimmen da die Grenzen zwischen Realität und Fiktion? Ist der Protagonist tatsächlich so überhaupt nicht mit dem Autor gleichzusetzen?
Es geht dort unter anderem um eine Vergewaltigung unter Einsatz von K.-o-Tropfen: "Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst", heißt es da. Und später: "Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen."
Selbstverständlich gilt im Fall Rammstein trotz der nun eingeleiteten Ermittlungen noch immer die Unschuldsvermutung. In der Tat gibt es bisher keine Anklage gegen Till Lindemann und seine Bandkollegen – von einer Verurteilung ganz zu schweigen.