Vor 50 Jahren in der AZ: Warum ein Mädchen im Olympia-Männerdorf wohnte
"Nur Silke darf ins Männerdorf", ist ein Artikel der AZ vom 24. August 1972 überschrieben. Die Geschichte dazu: Der Münchner Hochspringer Ingomar Sieghart hat einen offiziellen Passierschein für seine dreijährige Tochter Silke bekommen. Sie übernachtet mit Papa im Zimmer 24 des deutschen Männerquartiers.
Ingomar Sieghart: Die wochenlange Trennung vom Kind hätte "seine Nerven zu sehr strapaziert"
Der Grund für die Ausnahmeregelung: Sieghart braucht "den Kontakt zu seinem Kind zur psychologischen Vorbereitung auf seinen olympischen Wettkampf".
Der Ingenieur für Feinwerktechnik hat nach seiner Scheidung das Sorgerecht für Silke zugesprochen bekommen. "Sie gab ihm die Kraft, als er mit seinen Nerven am Ende war, nochmal neu zu beginnen", heißt es in der AZ. Wochenlange Trennung vom Kind? Hätte "seine Nerven zu sehr strapaziert". Die AZ findet es super: "Ein schöner Beweis, daß die Dorfgewaltigen trotz aller Beschränkungen im Interesse der Athleten auch menschlich denken."
Sex während der Spiele? "Wir leben hier nicht im Kloster"
Erst am Freitag vor dem Beginn der Spiele ziehen die deutschen Amateur-Boxer ins Dorf ein. "Das ist zu spät", sagt ein polnischer "Box-Professor" der AZ. "Die Boxer müssen sich rechtzeitig an die Unruhe im Dorf gewöhnen, um dann trotz des Lärms schlafen zu können, wenn ihre Kämpfe bevorstehen."
"Sex oder nicht Sex", schreibt die AZ, das sei die Frage, die dem deutschen Chef de Mission, Professor Dr. Josef Nöcker, am häufigsten gestellt werde. Seine Antwort: "Da gibt es überhaupt keine Beschränkungen unsererseits. Wir leben hier nicht im Kloster, viele Sportler wohnen bis zu ihren Kämpfen zu Hause - das ist der echte Heimvorteil."
Und: Er sei der Meinung, dass "strengste Enthaltsamkeit für einen Hochleistungssportler nicht erforderlich ist". Er wolle, so Nöcker, "keinen Athleten gängeln, der hier startet".
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