Von Workload bis Killer-Party

Ausschlafen war gestern: Drei Studenten über Klischees, Druck und überfüllte Hörsäle
Sage und (ein)schreibe 85859 Studenten gibt es derzeit in München. Zum Semesterauftakt haben wir drei von ihnen zum Gespräch in die AZ gebeten: Sarah Melbinger (20, Theaterwissenschaft), Johannes Jonic (22, Soziale Arbeit) und Luzia Killius (22, Soziologie), die auch stellvertretende Vorsitzende im Konvent der Fachschaften ist. Ziel: herauszufinden, was echtes Studentenleben ausmacht.
AZ: 11 Uhr – Klischees zufolge müssten Sie alle noch im Bett liegen...
LUZIA KILLIUS: Dahinter steckt ja das Vorurteil, dass alle Studenten faul sind. Das glaube ich nicht. Studenten arbeiten viel nebenbei, sind sozial engagiert und haben dann noch die Universität.
JOHANNES JONIC: Ich studiere Soziale Arbeit, da ist man geradezu prädestiniert für Vorurteile. Wir tragen ja angeblich alle Birkenstocksandalen und lange Haare. Wenn ich Maschinenbau studieren würde, würde man reimen: Karohemd und Samenstau...
KILLIUS: Es gibt sehr viele fachbezogene Klischees.
Den BWL-Typ zum Beispiel, mit hochgestelltem Polohemdkragen und Segelschuhen.
JONIC: Ich bin ja gegen Pauschalisierungen. Aber den gibt’s wirklich. (lacht)
SARAH MELBINGER: Ich glaube, dass sich Studenten diese Vorurteile eher untereinander zuschieben, als dass sie von außen kommen.
KILLIUS: Eines stimmt aber tatsächlich: dass Studenten viel Alkohol trinken.
MELBINGER: Das hat eher etwas mit dem Alter zu tun.
KILLIUS: Auch. Aber mir ist aufgefallen, dass wir von den Kneipen um die Uni herum explizit angesprochen werden. Das ist auch bei den Partys so. „Ersti-Killer-Cocktail“ – wenn ich das schon höre.
Beruhigungsmittel oder Koffeintabletten vor der Prüfung
Wie ist es denn mit anderen Drogen? „Am Morgen ein Joint und der Tag ist dein Freund“?
JONIC: Fehlanzeige. Die meisten Drogen, die konsumiert werden, sind Beruhigungsmittel und Koffeintabletten.
Ist der Druck so groß?
JONIC: Ja.
Wieso? Nur noch vier Tage Freizeit in der Woche?
JONIC: Von wegen! Bei uns wurde ein „Workload“ – mein Lieblingswort – von 38 Stunden ausgehandelt. Für Vorlesungen, Vor- und Nachbereitung. Dazu noch die Arbeit. Ich komme auf ingesamt 45 bis 50 Stunden pro Woche.
MELBINGER: Gerade durch die Studiengebühren ist man gezwungen, nebenher viel zu jobben. Die Wohnung, das Essen – alles will finanziert sein. So viel Freizeit, wie es auf dem Papier den Eindruck macht, bleibt da nicht.
Viele zerbrochene Träume
Gibt es deshalb immer mehr Studienabbrecher?
KILLIUS: Die Gründe sind vielfältig. Aber finanzielle Belastung spielt sicher eine Rolle.
JONIC: Wer kein Organisationstalent besitzt, kann nach zwei Semestern nervlich völlig am Ende sein.
MELBINGER: Gerade bei Theaterwissenschaft gibt es auch viele zerbrochene Träume; von Studenten, die eigentlich eigentlich lieber Schauspieler oder Regisseur geworden wären, die an der Filmhochschule nicht genommen wurden. Dann studieren sie Theaterwissenschaft und sind überrascht, dass es doch eine eher trockene Wissenschaft ist.
Es haben also viele eine falsche Vorstellungen vom Studium?
KILLIUS: Ja, die gibt’s auch bei uns. Man studiert Soziologie, will die Welt verändern – und landet in der Marktforschung.
Professor Dr. phil. rer. soc. heißt dann einfach Franz
Wie ist das Verhältnis zu den Professoren und Dozenten?
MELBINGER: Gut, gerade die, die jung nachkommen, bringen frischen Wind hinein, machen Aktionen mit den Studenten – oder gehen einfach mal mit uns ins Theater.
JONIC: Wie an den Schulen gibt es derzeit diesen demografischen Cut, zwischen den Alten, die gehen und dem neuen Schwung, der kommt. Bei uns werden viele Professoren geduzt. Der Professor Dr. phil. rer. soc. heißt dann einfach Franz. Lässig.
KILLIUS: Bei den Soziologen ist das Verhältnis relativ persönlich. Aber in Germanistik und BWL – keine Chance.
Wie überfüllt sind die Hörsäle und Seminare wirklich?
MELBINGER: Schlimm. In Germanistik zum Beispiel reichen die Schlangen bei der Anmeldung vom Hauptgebäude am Geschwister-Scholl-Platz bis in die Amalienstraße.
JONIC: Bei uns funktioniert alles online. Auf einer ewig langen Liste kann man Prioritäten setzen – und am Schluss bekommt man die sechste Wahl. Dann kann man erstmal den kompletten Stundenplan ummodeln, weil sich irgendwas überschneidet. Mit anderen Seminaren, mit dem Job, dem Praktikum. Man bekommt nie, was man will.
Kopierer kaputt, Cafeteria outgesourct - trotz Studiengebühren
Was muss sich ändern?
KILLIUS: Die Uni braucht mehr Geld vom Staat, mehr Professoren, mehr Dozenten.
Durch Studiengebühren?
JONIC: Wir haben seit zweieinhalb Jahren Studiengebühren. Von einer Verbesserung der Lehre habe ich nichts gesehen. Bei uns sind alle Kopierer kaputt, die Cafeteria ist outgesourct an irgendeine Fast-Food-Kette, der Kaffee kostet mehr als am Hauptbahnhof, ist aber von Vodafone gesponsort, und das uralte Haus fällt fast auseinander.
Die Studenten können doch über das Geld mitbestimmen.
KILLIUS: Nein.
Das wird nach außen hin aber so kommuniziert.
KILLIUS: In der Verteilungskommission sitzen auch ein paar Studenten drin, da wird auch immer über Anträge abgestimmt. Das ist aber nur ein Beratungsgremium. Die Hochschulleitung entscheidet.
MELBINGER: Aber dafür gibt es jetzt nicht mehr diesen Japanologie-Studenten im 23. Semester, der einfach irgendwas machen will oder nur seine Versicherung billiger kriegen.
JONIC: Solche Typen gibt’s doch in der Realität kaum.
MELBINGER: Naja, die gab es schon. Aber es hätte natürlich andere Wege gegeben, um so etwas zu stoppen.
Großes Puppentheater da oben
KILLIUS: Außerdem steckt in der ganzen Argumentation ein logischer Fehler. Durch die Studiengebühren muss man nebenher mehr arbeiten, kann weniger Stunden belegen. Das verzögert das Studium doch gerade!
Wie politisch sind die Studenten 40 Jahre nach 1968?
KILLIUS: Die meisten glauben, sie können ohnehin nichts verändern, sehen nur ein großes Puppentheater da oben. Politikverdrossenheit eben, wie man so sagt.
MELBINGER: Das Höchste der Gefühle ist, überhaupt zur Wahl zur gehen.
JONIC: Ich bin in der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend engagiert, in der Gewerkschaft, in außerparlamentarischen Protestbewegungen.
Treffen Sie dort nicht auf viele Studenten?
JONIC: Der Witz ist, dass man da nicht in seiner Eigenschaft als Student präsent ist. Diese Perspektive ist aus den sozialen Kämpfen komplett herausgefallen. Das könnte vielleicht ein Gewinn sein.
Zu guter Letzt: Ihr Rat an die frischen Erstsemester?
JONIC: Sucht euch Studiengänge, die noch ein Diplom bieten und kein abgespeckter Bachelor geworden sind.
KILLIUS: Wählt ein Fach, das euch wirklich interessiert. Nicht so auf den Arbeitsmarkt schielen – der ist sprunghaft.
MELBINGER: Ältere Studenten anquatschen und sich Tipps geben lassen!
Moderation: Timo Lokoschat