Von wegen impfmüde: Ansturm auf den Impfbus in München

München - Eine halbe Stunde bevor der Bus kommen soll, versammeln sich schon die Ersten. Sie wissen zwar nicht, wo genau sie eine Schlange bilden sollen, also bilden sie einfach Häufchen. Auf dem Platz vor den Pasing Arcaden wartet auch das Team aus Ärztinnen, Ärzten und Impfhelfern verschiedener Pflegeberufe auf ihren Einsatz.
Als der rot-weiß-gelbe Impfbus von der Aicher Ambulanz um die Kurve biegt, stehen ihm fast 90 Wartende gegenüber. Der Bus hat sich um 30 Minuten verspätet, Anfahrt und Tanken hätten länger gedauert, entschuldigt sich der Fahrer. Die Stimmung in der Schlange ist erwartungsvoll. Und ungeduldig.
Mütter mit Babys sind da, aber auch Männer mit Dosenbier in der Hose
Aber klagen Politik und Behörden nicht über die grassierende "Impfmüdigkeit"? Die Bilder der leeren Gänge in den Impfzentren hat jeder vor Augen. Davon ist Donnerstagfrüh in Pasing nichts zu sehen. Den leitenden Arzt wundert der Ansturm nicht: "Der Bus wurde bisher allgemein sehr gut angenommen, auch als wir auf dem Marienplatz und am Geschwister-Scholl-Platz standen", sagt Christian Westercamp.
Er fährt sich durch die grau-blonden Locken und koordiniert weiter den Aufbau. Wer einen Vormittag vor dem Impfbus verbringt, sieht schnell die Vorzüge der mobilen Impfeinheit, die nicht allein in der Wohnortnähe begründet sind.
Bahnhofsvorplatz: 500 Menschen pro Tag können geimpft werden
Auf dem Bahnhofsvorplatz muss es jetzt schnell gehen, manche Impfmotivierten warten schon 60 Minuten in der Sonne. Es gibt Geraune "Boah, wann geht's denn jetzt los?" Die Helfer laufen eilig in den Bus, kommen mit Pavillons, Stehtischen, Bierbänken, Laptops und Druckern wieder heraus. Auch sie wollen starten. "Wenn es gut läuft, könnten wir hier heute bis zu 500 Menschen impfen", sagt Westerkamp.
Welche Impfstoffe gibt es?
Immer wieder bleiben Passanten stehen, fragen den Notarzt, welchen Impfstoff er dabei habe: "Wir haben Biontech, Moderna und Johnson und Johnson." Stück für Stück entsteht die mobile Impfstraße mit Beratungsstand, einer Anmeldung, dem Check-In, den Impfplätzen im Bus und den Warte-Bierbänken.
Veronika Hobelsberger (38) ist eine der Ersten. Im Kinderwagen schiebt sie ihr neun Monate altes Baby vor sich. Ihre Mutter ist zum Aufpassen mitgekommen. "Ne, Angst habe ich keine." Aber sie wolle in zwei Wochen mit der Familie nach Italien fahren. Um ihren kleinen Sohn zu schützen, sei es ihr wichtig, bis dahin die zweite Impfung zu haben. "Ich bin echt erleichtert, wie unkompliziert das hier geht", sagt Hobelsberger. Ohne Voranmeldung, nur mit Ausweis und Impfpass.

Dann wird sie schon in den Bus gewunken und setzt sich auf einen Kunststoffsitz. Arzt Christian Westerkamp hält die Spritze in der Hand, desinfiziert ihren linken Arm, und setzt die Nadel an. Veronika Hobelsberger zieht die Augenbrauen zusammen. Aber es ist schnell vorbei. Pflaster drauf, 15 Minuten Wartezeit.
Mittlerweile sitzen oder stehen an allen Stationen der Impfstraße Leute. Die Schlange reicht trotzdem noch bis zu den Pasing Arcaden - und seitlich daran vorbei. Am ersten Tag kommt das Angebot des Gesundheitsreferats wirklich sehr gut an. Da stehen Frauen mit Buggys oder Baby im Tragetuch. Männer mit gepolsterten Arbeitshosen und Bierdose in der Hosentasche. Junge Erwachsene, Studenten und Büroangestellte.
"Im September zum Hausarzt? Lieber gleich hier impfen"
Auffällig ist, dass auch viele ältere Frauen und Männer anstehen oder auf den Stühlen sitzen, die das Team der Pasing Arcaden zusammen mit Wasserflaschen in der Schlange verteilt hat. Sollten die Älteren nicht längst geimpft sein?

Eine 66-Jährige aus Laim wollte sich zuerst nur beim Hausarzt impfen lassen. Aber erst habe sie lange keinen Termin bekommen, sagt die Frau mit schulterlangem weißem Haar. Dann habe ihre Hausärztin zwei Wochen Urlaub angekündigt. Für sie kommt der Weg von Laim bis zum Impfzentrum in der Messestadt nicht in Frage, wegen der Schmerzen in den Beinen.
Passanten kommen spontan zum Impfen an den Bus
Kurz darauf läuft noch eine Frau mit kurzem weißen Haar hastig auf den Beratungsstand zu. Sie hat für einen Moment ihr Friseurgeschäft verlassen. "Kann man sich bei euch heute impfen lassen, einfach spontan?" - "Ja", sagt ein Krankenpfleger in weißer Berufskleidung. "Sie müssen sich nur hinten in der Schlange anstellen." - "Na, des dauert mir zu lang", sagt die Friseurin. Aber sie nimmt sich das Anmeldeformular zum Ausfüllen mit und will am Nachmittag wieder kommen. Bisher habe sie es nie rechtzeitig aus ihrem Geschäft geschafft, um zum Impfen zu gehen. Nach den finanziellen Verlusten in der Pandemie ist sie jetzt umso mehr auf ihre Kunden angewiesen.
Anfahrt zum Impfzentrum beschwerlich – und teuer
Langsam versteht man den Kontrast: Zum einen Leere in den Impfzentren, andererseits lange Schlangen beim Impfmobil. Ältere und kranke Menschen und Leute mit wenig Geld sind froh, dass sie nicht den Weg nach Riem antreten müssen, keine 6,80 Euro für die Fahrt hin und zurück ausgeben müssen. Und die Hausärzte? Einige, die in der Schlange stehen, haben dort noch keinen Termin bekommen.
"Meiner wäre im September", sagt Tanja Laurin, "Aber als ich erfahren habe, dass man sich hier noch am gleichen Tag impfen kann, bin ich lieber hierher", sagt die 54-Jährige, die schon eine halbe Stunde vorm offiziellen Start da war. Sie wird nun einen Monat früher immunisiert.

Aber der Impfbus zerstreut nicht nur zeitliche oder physische, sondern auch digitale Barrieren: Unter den Wartenden ist ein Mann, der zwar einen Termin hatte, aber als er am Impfzentrum ankam, wieder weggeschickt wurde - die Registrierung hatte nicht funktioniert.
Ja, und auch in diesen Zeiten gibt es Menschen, die schlicht analog leben wollen und das Internet meiden oder nicht nutzen können.
Impfen ohne Impfpass: Hausarzt trägt's nach
Kurz vor 12 Uhr steht ein Mann vor einem der Impfhelfer. Jan Wendt ist gerannt, deshalb fehlt ihm erst noch die Luft. Der 41-Jährige will wissen: "Kann man sich auch ohne Impfpass impfen lassen?" Zu seinem Erstaunen lautet die Antwort: "Ja, sie können das dann vom Hausarzt nachtragen lassen", sagt der Impfhelfer.

Wendt läuft an der Warteschlange vorbei. Vor nicht mal einer Stunde hat ihm eine Freundin beim Kaffeetrinken vom Impfbus erzählt. Vor ein paar Wochen war er noch skeptisch gewesen, "wegen langfristiger Nebenwirkungen". Aber nun, da Tests bald kostenpflichtig sind und Freizeitangebote nur noch für Geimpfte gelten könnten, ist er eingeknickt.
Wendt ist damit einer, den der Impfbus aufgesammelt hat. Noch so ein Vorteil: Die vielen Passanten, die das Pasinger Drehkreuz an diesem Donnerstag nutzten, erfahren alle von der Impfaktion.