Von echten und falschen Nazi-Attentätern
München - Fünf Jahre nach Kriegsende war es höchste Zeit, den Anfängen zu wehren. Am 9. März 1950 demonstrierten Verfolgte des Nazi-Regimes durch das immer noch zerbombte München, an dessen Mauern rechte Parteien auf Plakaten verkündeten: "Geht nach Hause! Deutschland den Deutschen" – natürlich in den Grenzen von 1937.
Dafür warb eine "Deutsche Gemeinschaft" (DG), die der frühere CSU-Abgeordnete August Haußleiter gegründet hatte und als Trabant des zeitweise mitregierenden "Blocks der Vertriebenen" sogar in den Landtag bringen konnte.
"In den nächsten Tagen wird ein Mordanschlag auf Sie verübt"
Ein anderes Plakat fragte: "Wird Deutschland wieder auferstehen?" Es stammte von dem Sudetendeutschen Karl Feitenhansl, der mit seiner Partei "Vaterländische Union" (VU) längst für Wirbel sorgte.
Um Hintergründe über Feitenhansls Aktivitäten zu erfahren, übernahm ich eine (nicht zur Nachahmung empfohlene) Undercover-Rolle: Ich trat in diese Partei ein, als Mitglied Nr. 346, und ließ mich sogar als Delegierter mit vier anderen Parteigenossen zum ersten zentralen Treffen von westdeutschen Neonazis nach Neuwied am Rhein schicken.
Als die Versammlung endete, verabschiedete ich mich sehr schnell mit der Mitteilung, dass ich für den "Spiegel" arbeite. Die geschilderten "Diskussionen" waren der Redaktion dann aber doch keine Veröffentlichung wert. Mein Fazit: "So war die erste Auswahlmannschaft der nationalen Rechten alles andere als eine Nationalliga."
Doch der braune Spuk geisterte weiter durch Bayern. Wie ich dem Magazin melden konnte, bastelte Feitenhansl nun an einer "politisch neutralen Schicksalspartei", die noch etwa zehn ähnliche Bündchen ("so wie beim Alpenverein") verschmelzen sollte. Ziel: "Wir wollen möglichst nur Abgeordnete stellen und aufpassen, dass die Regierung nicht frech wird." Bald wurde Feitenhansl selbst frech. Am 7. Dezember 1951 meldete bei Innenminister Wilhelm Hoegner (SPD) ein angeblicher Hufschmied am Telefon: "In den nächsten Tagen wird ein Mordanschlag auf Sie verübt. Mehrere Regierungsgebäude werden in die Luft gesprengt." Das löste die größte Polizeiaktion in Bayern seit dem Krieg aus. Über 70.000 Personen wurden überprüft.
Als Anrufer wurde der 29-jährige Karl Feitenhansl ermittelt. Der Polizei sagte er, zwei Unbekannte hätten ihn in den Anschlagsplan eingeweiht. Sie hätten eine Nationalregierung bilden wollen. Er hätte den Umsturz leiten sollen, wobei das ganze Bundesgebiet "drangekommen" wäre. Hoegner habe man mit einer Maschinenpistole vom Auto aus erledigen wollen. Da die Kripo nachwies, dass Feitenhansl zur fraglichen Zeit mit trockenen Schuhen heimgekommen war, während es regnete, musste er gestehen. Er wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er eine Straftat vorgetäuscht habe.
In Nürnberg erwuchs ein Möchtegern-Hitler
Noch mehrere Male machte der "Phantom-Attentäter" von sich reden. Als er 1958 zusammen mit Otto Strasser, einem frühen Weggefährten und späten Todfeind Hitlers auf einer Münchner Versammlung der "Soldatenunion" sprechen wollte, demonstrierten Gewerkschafter, sodass es zu einer deftigen Wirtshausschlägerei kam.
Feitenhansl zog nach Nürnberg und schlug sich als Anzeigenwerber für eine linksliberale Zeitung durch. Seine VU ging indes in der zulasten der Flüchtlingspartei BHE erstarkten NPD auf, während Haußleiters DG auf Umwegen 1980 zu den Grünen überging. Von Nürnberg aus spannte spätestens seit 1983 ein weiterer Möchtegern-Hitler ein gemeingefährliches Netz: der Grafiker Karl-Heinz Hoffmann. Seine "Wehrsportgruppe" (WSG) wurde Basislager für abenteuerliche Gestalten und Aktionen. So verübte der 19-jährige Bundeswehrsoldat Dieter E., einer von etwa 600 Hoffmann-Aktivisten, im Mai 1977 einen Sprengstoffanschlag auf einen amerikanischen Propagandasender in München, bei dem er selbst schwer verletzt wurde.
Hoffmann überzeugte den Verfassungsschutzmann Hans Langemann (den CSU-Innenminister Gerold Tandler schließlich als "Ganove oder Spinner" feuern musste) davon, dass er doch nur Sport mit verlöteten Waffen treibe, was nicht strafbar sei. Erst der verfassungstreue Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) erwirkte im Sommer 1980 ein Verbot der Sportfreunde.
An den Übungen der Gruppe hatte auch der Tübinger Student Gundolf Köhler teilgenommen – jener Mann, der 1980 auf der Wiesn zwölf Besucher des Oktoberfestes und sich selbst mit einer Bombe tötete und 211 Menschen teils schwer verletzte. Nach wahrscheinlichen Mittätern fahndet die Staatsanwaltschaft erst wieder seit den unermüdlichen Recherchen des Journalisten Ulrich Chaussy.
Lesen Sie in Folge 5: Busse, der Brutale