Vom Tante-Emma-Laden zum Hotspot: So lebt und liebt man am St.-Anna-Platz

München - Hier ist es fast zu schön, um wahr zu sein. Allein über das Haus, in dem Martina Koula wohnt, könnte man einen Roman schreiben. Wir treffen sie in ihrem "Wohnzimmer", dem Lokal "La Stanza", das der Italiener Lorenzo Canato vor über 20 Jahren unten in dem Jahrhundertwende-Haus in der St.-Anna-Straße 13 eröffnet hat.

St.-Anna-Platz in München: Einer der schönsten Sommerorte der Stadt
Er und Koula kennen sich gut. Während er ihr einen Kaffee serviert, erzählt sie der AZ ihre Geschichte, die ganz eng mit dem St.-Anna-Platz verwoben ist.
Seit 25 Jahren wohnt Koula in dem Haus. Sie war viele Jahre Werbetexterin, kommt aber aus einer Schneider-Familie und hatte schon immer ein Faible für Stoffe.
In ihrem früheren Job hetzte sie mit dem Radl von einem Termin zum nächsten und irgendwann fing sie an, sich die passende Kleidung dafür selbst zu schneidern.

Elegante, Business-taugliche Röcke und Kleider aus hochwertigen Jersey-Stoffen, vorne und hinten mit Taschen versehen. Die eignen sich sogar zum Radlfahren und die Taschen sind auch sehr nützlich.
Nachbarn, Freundinnen, Kolleginnen: Alle machten ihr Komplimente dafür. Als vor sieben Jahren der klitzekleine Laden neben "ihrem Wohnzimmer" frei wurde, wagte sie den Neuanfang und eröffnete ihr Geschäft Lakoula. Dort gibt es seitdem "Komplimente zum Anziehen", wie an der Schaufensterscheibe steht.
Beliebter Drehort für Serien in München: AZ-Besuch am St.-Anna-Platz
Nun verbringt sie fast ihre ganze Zeit am St.-Anna-Platz, berät ihre Kundinnen, tauscht sich mit den Betreibern der anderen Geschäfte aus und weiß nicht nur viel über die Geschichte ihres eigenen Hauses, sondern auch, was sich sonst so tut im Umkreis.

Alleine in ihrem Laden waren schon die unterschiedlichsten Geschäfte. Ein Reisebüro war hier mal und ein Wäscheladen, Radl wurden verkauft und Turnschuhe. Pumuckl-Fans erinnern sich bestimmt noch an die Folge mit dem rätselhaften Hund.
Da bellt der unsichtbare Kobold im Keller unter dem heutigen Lakoula und blamiert den Meister Eder wieder einmal vor allen anderen. Die laufen aus allen Richtungen an dem Gitter am Boden zusammen und wollen das nicht-existente Tier retten.

Überhaupt wurde hier viel gedreht. Die Jeansboutique, die der Tscharlie (Günther Maria Halmer) aus den Münchner Geschichten mit seiner Susi (Michaela May) eröffnet hat, war direkt ums Eck. Auch heute sind ständig Filmteams am St.-Anna-Platz.
Koula startet ihren Tag gerne mit einem Bad im nahe gelegenen Eisbach. "Und oft, wenn ich früh morgens ungeschminkt rausgehe, werde ich vom Licht irgendwelcher Filmteams geblendet", erzählt sie der AZ.
Lion Feuchtwanger und ein Tante-Emma-Laden: Vielfältige Geschichten vom St.-Anna-Platz
Auch das echte Leben hat hier viele Geschichten geschrieben. Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger verbrachte von 1889 bis 1900 seine Kindheit am St.-Anna-Platz. Gegenüber von Koulas Wohnhaus führte Maria Gandl vor vielen Jahren einen klassischen Tante-Emma-Laden.
"Hier gab es alles von Kartoffeln über Schuhcreme bis Gemüse", erzählt Alexander Lutz. Er ist im Viertel aufgewachsen und hat dort selbst als Bub Bonbons und Lakritzschnecken gekauft.

Vom Tante-Emma-Laden zum beliebten Restaurant: Das Gandl am St.-Anna-Platz
1995 gab Maria Gandl das Geschäft auf. "Ich wollte nicht, dass hier eine Bank oder ein Schlecker reinkommt", sagt Lutz. Ganz spontan entschloss er sich damals, den Laden weiterzuführen. Zusätzlich zum Tante-Emma-Geschäft etablierte er einen Restaurant-Betrieb.
Irgendwann nahm das Restaurant überhand und seitdem gibt's im Verkauf hauptsächlich Wein und Tee. Besonders beliebt sind hier die Spaghetti aus dem Parmesanlaib.
Auch Lutz liebt den St.-Anna-Platz: "Das ist wie ein Städtchen innerhalb der Stadt." Die Arkaden am Beginn der St.-Anna-Straße wirken in der Tat wie ein kleines Stadttor.
Etwas bodenständiger geht's direkt gegenüber im Salotto zu oder in der Bäckerei Höflinger. Ein paar Meter weiter herrscht reger Betrieb in der Patisserie Dukatz.
"Die Rosinenschnecken dort sind ein Traum", schwärmt Koula. Wir gehen ein Stück die St.-Anna-Straße entlang, halten ein Schwätzchen mit Roland vom Friseurladen Adler, kommen an der kleinen Konditorei Oraia vorbei, am Optiker Kitschenberg und werfen einen Blick in die Kleine Markthalle.
Gastro, Feinkost und viele kleine Geschäfte am St.-Anna-Platz
Bis vor zwei Jahren existierte hier "Blumen Wildgruber". Dann musste die Inhaberin, die 2011 den Laden von der Familie Wildgruber übernommen hatte, das Geschäft schließen. Danach eröffnete dort ein Gemüsegeschäft und vor kurzem hat sich das Betreiberpaar Emily und Robert mit einer Mischung aus Gastro und Feinkostgeschäft selbstständig gemacht.
Die beiden haben den Laden liebevoll eingerichtet. "Ich bestelle dort gerne eine Quiche oder Ofenkartoffel", sagt Koula.
Etwas abgeschnitten durch die große Baustelle ein paar Meter weiter ist das Weingeschäft "Mein Wein" von Mirka Otta und Antonino Denami. Auch sie bieten ihren Gästen einen Mittagstisch und kleine Snacks an. Gegenüber ist das St.-Anna-Gymnasium. Sobald die Ferien vorbei sind, geht der Trubel im Schulhof wieder los.

Barockes Juwel: Ruhe in der Klosterkirche St. Anna
Wenn Martina Koula Ruhe sucht, setzt sie sich in die Klosterkirche St. Anna. Sie steht etwas im Schatten der großen St.-Anna-Kirche, ist aber ein barockes Juwel. Was viele nicht mehr wissen: 1737 wurde sie als ursprüngliche Pfarrkirche im Lehel errichtet. Mit der Innenausstattung waren keine Geringeren als die Brüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam beauftragt.
Es ist die Mischung aus Kultur, Geschichten, aber auch köstlichen Gerichten, die den besonderen Reiz dieses Sommerorts ausmacht.
Pardon! In einer früheren Version dieses Beitrags hatten wir in Bezug auf "Blumen Wildgruber" geschrieben, dass sich die Familie Wildgruber die Miete nicht mehr leisten konnte. Diese Darstellung war falsch. Wir haben diese korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.