Völlig überlastet: Notstand in den Notaufnahmen
Grippewelle, Darmerkrankungen, Personalmangel: Teilweise stündlich melden Kliniken in der Rettungsleitstelle, man könne keine Notfallpatienten mehr aufnehmen. Nur noch bedrohliche Fälle werden sofort behandelt.
Die Leute sind grippebleich, krümmen sich unterm Norovirus, warten mit verrenkten Armen, gebrochenen Knochen, Kreislaufzusammenbrüchen: Seit Tagen wissen die Ärzte in den Notaufnahmen der Münchner Kliniken kaum noch, wohin mit den Patienten, berichtet der BR. Viele Menschen warten Stunden auf einen Arzt, manche liegen – weil die Zimmer voll sind – in ihren Betten auf dem Gang.
Und die Rettungsdienstler vom Roten Kreuz oder den Maltesern stehen vor der Frage: Wohin bloß mit den Notfällen?
Nichts geht mehr
Beinahe stündlich meldet eins der rund 40 Krankenhäuser im Raum München bei der Rettungsleitstelle (die die Krankenwageneinsätze koordiniert): Nix geht mehr, wir sind voll!
Am Donnerstagabend ist das System vollends an seine Grenzen gestoßen: Gegen 21 Uhr hatten sich zeitgleich alle Kliniken abgemeldet – darunter die städtischen Krankenhäuser Bogenhausen, Harlaching und Schwabing sowie die Kliniken Rechts der Isar (TU) und Großhadern (LMU). „Knapp eine Stunde lang waren die Versorgungsmöglichkeiten in München fast erschöpft“, berichtet Roland Dollmeier, der Geschäftsführer des Rettungszweckverbands, auf AZ-Anfrage. Nur noch lebensbedrohliche Fälle wie Infarkte, Schlaganfälle, Atemnot oder Unfall-Schwerstverletzte (davon gibt’s in München im Schnitt stündlich zwei) wurden im Stadtgebiet eingeliefert.
Für alle anderen Notfall-Patienten hieß es: Raus ins Umland – sie wurden einfach in Klinken in Fürstenfeldbruck oder Erding gefahren.
Jetzt ist KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle, der auch Vorsitzender des Rettungszweckverbands ist, der Kragen geplatzt: In einem Brief an alle Münchner Krankenhäuser fordert er die Klinikchefs auf, dafür zu sorgen, dass die Lage sich schleunigst entschärft. Einfach dürfte das nicht werden.
490 Notarzt-Fahrten täglich
30 bis 60 Rettungswagen sind täglich im Raum München unterwegs und fahren dabei rund 490 Patienten in die nächste Notaufnahme. „Da sind die noch nicht mitgerechnet, die zu Fuß oder mit dem Taxi direkt in die Klinik kommen“, sagt Roland Dollmeier (allein in der Notaufnahme am Klinikum Großhadern werden im Jahr 40 000 Menschen behandelt).
Jeder zehnte Fall, das sind knapp 50 am Tag, ist so bedrohlich, dass sofort ein Arzt verfügbar sein muss. Ist der Andrang groß, gelte das aber nicht für einen Patienten, die sich etwa bei einem Sturz am Abend einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hat. „Er wird erst am nächsten Tag operiert“, sagt Dollmeier. „Bis dahin bekommt er Schmerzmittel – und muss warten.“
Warum diese Engpässe?
Gerade im Winter, zumal abends und am Wochenende, wenn die Hausarztpraxis zu ist, rufen besonders viele Münchner die Notfallnummer 112.
Aktuell macht die Grippe den Münchnern zu schaffen, auch eine Darmgrippe breitet sich aus – auch unterm Notfall- und Pflegepersonal. „Dann kommen mehr Patienten auf weniger Mitarbeiter im Krankenhaus. Da kann es in Belastungs-Spitzen temporär schon zu Überbelegungen in der Notfallversorgung kommen“, sagt der Sprecher des Städtischen Klinikums München, Raphael Dieke.
Ohnehin seien die Rahmenbedingungen fürs Notfall- und Pflegepersonal problematisch: „Wegen der niedrigen Bezahlung und den oft schwierigen Arbeitsbedingungen haben wir Schwierigkeiten, viele offene Stellen zu besetzen.“ Dennoch: „Wir haben keine Situation, in der wir echte Notfallpatienten ablehnen würden.“
Alle anderen, so appelliert Roland Dollmeier, sollten sich, statt den Rettungsdienst zu rufen, an eine der sechs Münchner Bereitschaftspraxen wenden.
Für Anfang März ist nun ein runder Tisch geplant – mit Vertretern aller größeren Münchner Kliniken, des Instituts für Notfallmedizin, des Rettungszweckverbands und des Innenministeriums. Dabei soll’s unter anderem um die Bewertung der aktuellen Grippewelle gehen. Und: die Fähigkeit der Münchner Kliniken, auf Spitzenbelastungen zu reagieren.