Viruslast in Münchens Abwasser ist hoch: Was Experten zur ansteigenden Kurve sagen

Das Gesundheitsreferat spricht mit Blick auf die aktuellen Corona-Infektionszahlen "von einer hohen nicht näher bezifferbaren Dunkelziffer". Die Hintergründe, der Rat der Mediziner.
von  Guido Verstegen
"Aktuell liegt die Viruslast einiger Standorte auf einem Höchststand im Vergleich zu den Infektionswellen im März oder Oktober 2023", teilt das bayerische Überwachungsnetzwerk mit. (Archivbild)
"Aktuell liegt die Viruslast einiger Standorte auf einem Höchststand im Vergleich zu den Infektionswellen im März oder Oktober 2023", teilt das bayerische Überwachungsnetzwerk mit. (Archivbild) © Stephanie Pilick/dpa

München - Weil sich inzwischen deutlich weniger Menschen auf Covid-19 testen lassen als noch zu Hochzeiten der Pandemie, konzentrieren sich viele Experten bei der Beurteilung des Infektionsgeschehens auf die aus dem Abwassermonitoring gewonnenen Daten. Die AZ wollte wissen, wie kritisch die Situation in München ist – jetzt, wo gefühlt jeder um einen herum niest und hustet.

Viruslast im Abwasser: Ansteigende Kurve auch in München 

Was die SARS-CoV-2-Trends im Abwasser von München betrifft, geht die Kurve bei den Infektionsdaten des Verbundprojekts Bay-VOC aktuell deutlich nach oben, die Konzentration des Coronavirus im Abwasser vieler überwachter bayerischer Kommunen steigt an.

Viruslast im Abwasser: Das sollten Sie wissen

Die Online-Darstellung des Abwassermonitorings wurde von Bay-VOC initiiert, dem bayerischen Netzwerk zur Beobachtung und Erfassung besorgniserregender Virusvarianten ("Variants of Concern", VOC), das mit Beschluss des Ministerrats im Februar 2021 ins Leben gerufen worden war und seither eine wichtige Rolle in der Überwachung der Corona-Pandemie spielt.

Eine Mitarbeiterin mischt in einem Labor isolierte RNA aus Abwasserproben mit PCR-Reagenzien für die spezifische Detektion von SARS-CoV-2. (Archivbild)
Eine Mitarbeiterin mischt in einem Labor isolierte RNA aus Abwasserproben mit PCR-Reagenzien für die spezifische Detektion von SARS-CoV-2. (Archivbild) © Daniel Reinhardt/dpa

"Aktuell liegt die Viruslast einiger Standorte auf einem Höchststand im Vergleich zu den Infektionswellen im März oder Oktober 2023", teilte das Überwachungsnetzwerk mit. In München wird die Kurve als "ansteigend" gekennzeichnet (Stand der letzten Messung: 14. Dezember). "Durch die derzeit geringe Anzahl an gemeldeten Corona-Testergebnissen" liefere die Untersuchung des Abwassers einen guten Indikator des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung.

Abwassermonitoring bildet Trend der Infektionsdynamik von SARS-CoV-2 ab

"Das Abwassermonitoring misst die Viruslast im Abwasser. Diese ist abhängig von einer Vielzahl von Parametern, zum Beispiel Tag und Uhrzeit der Probenahme, Anzahl und Stärke der Regenfälle, Ort der Abnahme usw. Zudem kann sich die ausgeschiedene Virusmenge pro infizierte Person beispielsweise zwischen verschiedenen Virusvarianten unterscheiden", teilte eine Sprecher des Gesundheitsreferats der Stadt auf AZ-Anfrage mit.

Daher ermögliche das Abwassermonitoring zwar keine Rückschlüsse auf die absolute Zahl Erkrankter, auf die allgemeine Krankheitslast oder die Belastung des Gesundheitssystems, "jedoch ermöglicht das Abwassermonitoring, unabhängig von individuellen Einflüssen wie zum Beispiel Teststrategien oder Testverhalten der Bevölkerung, einen Trend der Infektionsdynamik von SARS-CoV-2 abzubilden".

Gesundheitsreferat: "Abwassermonitoring wichtiger Mosaikstein für epidemiologische Lagebewertung"

Im Abwasser tummeln sich momentan viele Bruchstücke von Corona-Viren. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) lässt das Rückschlüsse auf zahlreiche aktuelle Covid-Infektionen zu. Denn in der Kanalisation gibt es für die Erreger nun einmal kein Entrinnen; hier können die Viren nachgewiesen werden, die die Corona-Erkrankten im Kot oder Urin ausgeschieden haben.

Vor diesem Hintergrund sei das Abwassermonitoring ein wichtiger Mosaikstein für die epidemiologische Lagebewertung, wie das Gesundheitsreferat betont. Entscheidend sei die "Zusammenschau mit anderen relevanten Indikatoren" – auch Faktoren wie die Entwicklung der Meldezahlen und die Beobachtung des Krankheitsgeschehens spielen also eine Rolle.

Dr. Wolfgang Guggemos: "Covid-19 hat sich in die  Behandlung anderer infektiöser Krankheitserreger eingereiht"

Das Gesundheitsreferat geht "von einer hohen nicht näher bezifferbaren Dunkelziffer aus", was die aktuellen Corona-Infektionszahlen anbelangt. 

Dr. Wolfgang Guggemos ist leitender Oberarzt der Infektiologie in der München Klinik Schwabing.
Dr. Wolfgang Guggemos ist leitender Oberarzt der Infektiologie in der München Klinik Schwabing. © München Klinik

"Hier in unserer spezialisierten Infektiologie hat sich Covid-19 mittlerweile in die  Behandlung anderer infektiöser Krankheitserreger eingereiht – wir  haben viel Erfahrung mit der Krankheit gesammelt, und die Menschen erkranken heute seltener so schwer, dass sie eine  stationäre Versorgung benötigen", wird Dr. Wolfgang Guggemos, Leitender Oberarzt der Infektiologie der München Klinik Schwabing, in einer Mitteilung zitiert.

Mediziner rät: Langfristige Folgen einer Sars-CoV-2-Infektion weiterhin nicht unterschätzen

"In der München Klinik versorgen wir aktuell 93 Patienten im Zusammenhang mit Covid-19, davon sieben Patienten auf Intensiv- oder Überwachungsstationen. Das ist ein Anstieg im Vergleich zu den Vorwochen mit durchschnittlich 70 Patienten", teilt die Pressestelle auf AZ-Anfrage mit.

Die langfristigen Folgen einer Sars-CoV-2-Infektion solle man weiterhin nicht unterschätzen und sich in der Virensaison bestmöglich vor einer Ansteckung schützen, rät Wolfgang Guggemos: "Die saisonale Covid-19-Auffrischimpfung sollte insbesondere für Menschen mit Risikofaktoren genauso zur Winter-Routine gehören, wie die Influenza-Impfung."

Auch die Maske können in bestimmten Situationen, wie im  beengten Nahverkehr oder im Krankenhaus, weiterhin ein guter Begleiter sein: "Ein Blick in die Münchner U-Bahnen zeigt, dass immer mehr Menschen die bewährten Schutzmaßnahmen verinnerlicht haben und bei  steigendem Infektionsgeschehen weiter oder wieder anwenden. Das ist eine gute Nachricht."

Prof. Dr. Christoph Spinner: "Risikogruppen durch Impfungen schützen"

Die Maske sei ein gezieltes und wirksames Instrument zur Vermeidung von Atemwegsinfektionen, müsse dafür aber konsequent getragen werden, findet Prof. Dr. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar. "Im Allgemeinen und auf Dauer lassen sich Atemwegsinfektionen nicht vollständig vermeiden, weshalb ich eher dafür werbe, Risikogruppen durch Impfungen zu schützen und mit Erkältungssymptomen die Öffentlichkeit zu meiden – oder wenigstens eine Maske für die ersten fünf Tage nach Symptombeginn zu tragen", sagte er der AZ.

Nach Ansicht des Gesundheitsreferats ist eine generelle, allgemeine Empfehlung, Masken zu tragen, derzeit nicht indiziert, "eine Wiedereinführung der allgemeinen Maskenpflicht wird daher auch nicht angeraten". 

Atemwegsinfektionen in München: SARS-CoV-2 derzeit der häufigste Erreger

Aufgrund einer inzwischen deutlich höheren Immunität in der Bevölkerung nach Impfung und Infektion bestehe bei Covid-19 zwischen der Inzidenz und schweren Krankheitsverläufen kaum noch ein Zusammenhang, gibt Christoph Spinner zu bedenken. Somit seine die Fälle schwerer Atemwegsinfektionen im Klinikum und auf den Intensivstationen "auf einem niedrigen Niveau".

Spinner: "Typischerweise werden in den Herbst- und Wintermonaten mehr Atemwegsinfektionen beobachtet – das gilt damit auch für Infektionen mit SARS-CoV-2." Nachdem im Herbst vor allem Rhinoviren Hauptverursacher aller viralen Atemwegsinfektionen gewesen seien, sei SARS-CoV-2 derzeit der häufigste Erreger.

"Die Situation ist aus Sicht des Gesundheitsreferats derzeit nicht dramatisch"

Aus Sicht des Gesundheitsreferats bestehe "durch Impfungen und in den letzten Jahren durchgemachte Infektionen" eine ausreichend stabile Immunitätslage in der Allgemein-Bevölkerung, so dass die allermeisten Patienten ambulant behandelt werden können. "Die Situation ist insofern aus Sicht des Gesundheitsreferats derzeit nicht dramatisch."

Die Hochphasen der Infektions-Wellen spielen sich vor allem im Bereich der Kindermedizin ab, sagt Wolfgang Guggemos: "Viele Kinder, darunter auch Säuglinge, mussten auch in der aktuellen Welle schon intensivmedizinisch behandelt werden. Es treten gehäuft Infektionen mit RSV und mit anderen Atemwegsviren auf."

RSV steht als Abkürzung für das menschliche Respiratorische-Synzytial-Virus. Das Virus ist verantwortlich für die meisten Fälle von akuter Bronchitis bei Säuglingen und kleinen Kindern. Das Risiko, in der Klinik aufgrund eines schweren Verlaufs behandelt werden zu müssen, sei vor allem bei Neugeborenen mit RSV hoch, zudem bei Älteren mit Influenza, Covid-19 und RSV, erklärt Christoph Spinner.

Seit diesem Jahr zwei neue Impfmöglichkeiten gegen RSV

In Bezug auf RSV sei zu beachten, dass dieses erst im Juli 2023 in den Katalog der nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheitserreger aufgenommen wurde, schränkt das Gesundheitsreferat ein. Vergleichszahlen aus den Vorjahren stünden deshalb nicht zur Verfügung: "Eine Nachfrage in zwei großen Münchner Kinderkliniken ergab jedoch, dass im Münchner Raum keine auffällige Zunahme der Fallzahlen zu verzeichnen ist."

Seit diesem Jahr gibt es  laut Prof. Marcus Krüger, Chefarzt der Kinderintensivstationen in der München Klinik Schwabing und Harlaching, zwei neue Impfmöglichkeiten gegen RSV. "Das ist umso wichtiger, da es keine spezielle Therapie gegen das Virus gibt. Ältere Menschen können sich mit der neuen aktiven Impfung effektiv schützen." Für die Kindermedizin sei das wichtig, weil dann die Großelterngeneration als Infektionsquelle für Säuglinge wegfalle. "Der gleiche Impfstoff wurde in Europa im 
Sommer für Schwangere zugelassen."

Mediziner Spinner: "Es gibt keine besonderen neuen Verläufe"

Erfahrungsgemäß erreichten die respiratorischen Erkrankungen auch bei Kindern ihren Höhepunkt im ersten Quartal eines jeden Jahres. Schwere Corona-Verläufe "stellen unserer Kenntnis nach glücklicherweise eine seltene Ausnahme dar", so das Gesundheitsreferat, die Belastung der Intensivstationen hierdurch sei derzeit vergleichsweise gering. 

"Der Verlauf der aktuellen Covid-19-Erkrankungen ist mit dem vom Vorjahr vergleichbar, als Omikron dominierte. Es gibt keine besonderen neuen Verläufe. Gefährdet sind vor allem Menschen über 60, explizit über 70- bis 80-Jährige, weshalb sich auch jetzt noch eine Booster-Impfung gegen Covid-19 lohnt. Am besten gleich zusammen mit einer Influenza-Impfung", stellt Christoph Spinner dazu fest.

Netzwerk "AG Influenza": Zuverlässige Hochrechnung der Gesamt-Infektionslage

Die Beantwortung der Frage, wie belastbar aktuelle Corona-Infektionszahlen angesichts der Tatsache sind, dass die Testpflicht weggefallen ist und positiv Getestete das weder bei den Ämtern noch beim Arbeitgeber melden, spielt für Spinner eine untergeordnete Rolle.

Prof. Dr. Christoph Spinner, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie am Klinikum rechts der Isar.
Prof. Dr. Christoph Spinner, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie am Klinikum rechts der Isar. © argum / Falk Heller

Die wichtigere Frage sei doch, welchen Zweck die Epidemiologie habe, sagt der Oberarzt vom Klinikum rechts der Isar. "Also was soll genau und warum gemessen werden? Es gibt in Deutschland seit vielen Jahren ein sehr erfolgreiches Sentinel-Netzwerk 'AG Influenza' am RKI. Hier werden in Stichproben Anzahl und Ursache von Atemwegsinfektionen in Gesundheitseinrichtungen erfasst, und es wird eine sehr zuverlässige Hochrechnung der Gesamt-Infektionslage erstellt."

Aus diesen Schlussfolgerungen ergebe sich "ein sehr gutes Bild der tatsächlichen Lage". Weil die Inzidenz und die Schwere der Verläufe im Fall von Covid-19 kaum mehr zusammenhingen, sei die wichtigste Konsequenz: "Risikogruppen sollten saisonal ihre Impfungen gegen Covid-19 und Influenza auffrischen lassen. Das reduziert die Infektionswahrscheinlichkeit und schützt wirksam vor schwerer Erkrankung – und damit auch davor, in einem Krankenhaus behandelt werden zu müssen."

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