Viktualienmarkt: Wieviel Markt darf's denn sein?
München - Ein Sprecher des Kommunalreferats nennt es eine „Operation am offenen Herzen.“ Der Viktualienmarkt, weltberühmtes Wahrzeichen im Zentrum der Stadt, soll von Grund auf saniert werden. Alles neu? An einem Fleck, der von seiner Tradition lebt? Wie geht das? Darüber wird zurzeit heftig diskutiert - auf der einen Seite ist die Stadt, die ein immobilienwirtschaftliches Expertengutachten des Tüv Rheinland über Mängel und Chancen des Marktes hat anfertigen lassen, auf der anderen Seite sind die Marktfrauen, die um den Charme des Viktualienmarktes fürchten, um die Vielfalt und schließlich auch um ihre alten Rechte.
Seit 1807 gibt es den Markt, König Max Joseph hatte ihn vom Marienplatz aus Platzgründen verlegen lassen in das Gebiet zwischen Heilig-geistkirche und Frauenstraße. Seit 1870 gibt es feste Stände, seit 1890 hat der Viktualienmarkt seine heutige Größe. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Überlegungen, dort Hochhäuser zu bauen, doch die Stadt entschied sich für den Wiederaufbau.
Heute sind dort 135 Händler, auf einer Fläche von 22.000 Quadratmetern stehen 119 feste Buden. Die Besucherzahlen sind enorm, geht doch nahezu jeder Tourist, der das Stadtzentrum besichtigt, auch über den Markt – das sind rund 5,6 Millionen Menschen im Jahr. Er ist aber auch für die Münchner ein beliebter Ort, dort wird vom Shoppen in der Fußgängerzone pausiert. Für 90 Prozent der Menschen, die in der Umgebung wohnen, ist der Markt laut der Tüv-Studie „sehr wichtig“.
Die Mehrheit der Kunden – 60 Prozent – wünschen sich, dass alles so bleibt, wie es ist, doch das wird nicht passieren. Das Gutachten des Immobilien-Spezialisten Tüv Rheinland zeigt erhebliche Mängel: Viele Standl haben kein fließendes Wasser, die Keller sind marode, Buden sind baufällig, es fehlen öffentliche Toiletten. All das war auch bisher kein Geheimnis. Nur: Passiert ist da von Seiten der Stadt nicht viel. Jetzt wird wohl ein Großteil der Buden abgerissen.
Ein Gutachten empfiehlt der Stadt andere Mietverträge
Der Viktualienmarkt gehört wie auch Großmarkthalle, Schlachthof, Pasinger Viktualienmarkt, Elisabethmarkt und Markt am Wiener Platz zu den Markthallen, einem städtischen Unternehmen. Laut dem Gutachten nimmt die Stadt im Jahr eineinhalb Millionen Euro Miete ein.
Zwei Drittel der Standl-Leute habe keine gewerblichen Mietverträge, sondern Jahrzehnte alte öffentlich-rechtliche „Zuweisungen“. So sind die Standlbesitzer von der Stadt nur sehr schwer kündbar. Laut dem Tüv ist in diesen Zuweisungen außerdem nicht ausführlich geregelt, wer für welche Instandhaltungen oder Reparaturen zuständig ist.
Die Budenbesitzer haben ihre Stände oft auf eigene Kosten hergerichtet – es entstand das, was Kritiker „Wildwuchs“ nennen: jeder Stand sieht anders aus, wegen der vielen Markisen und Planen hat sich OB Ude einmal zum Ausspruch vom „Zeltlager am Hindukusch“ hinreißen lassen.
Dass Sanierungen nötig sind, sehen auch die Standlbesitzer. Sie fürchten aber nicht nur Umsatzeinbußen durch eine jahrelangen Baustelle – sondern auch, dass die Stadt den Markt komplett erneuert, zu sehr standardisiert und letztlich für viel Geld „totsaniert“ wird.
Im Gutachten wird eine Umwandlung der Zuweisungen in gewerbliche Mietverträge empfohlen, das würde wohl höhere Mieten bedeuten – und womöglich auch höhere Preise. Auch werden im Gutachten Szenarien mit einem externen Betreiber angerissen. Die Stadt wiegelt ab, man wolle nicht privatisieren.
Die Marktweiber würden da wohl auch all ihre Kraft dagegen setzen – und die ist nicht zu unterschätzen.
Und so sehen Märkte woanders aus:
Der Hauptmarkt in Nürnberg:
In Nürnberg gibt es einen der ältesten Märkte Deutschlands: Seit 750 Jahren bieten Händler hier auf 5000 Quadratmetern ihre Waren an. Zuvor war im Sumpfgebiet an der Pegnitz das Judenviertel der Stadt – mit Zustimmung von Kaiser Karl IV wurden 1349 fast 600 Juden getötet und ihre Häuser abgerissen.
Die offizielle Bezeichnung „Hauptmarkt“ trägt der Platz erst seit 200 Jahren. Anders als der Viktualienmarkt haben die 50 Händler mobile, hölzerne Standl, die mit Tuchbahnen bedeckt sind - natürlich fränkisch rot-weiß gestreift. Werktags von 7 bis 20 Uhr kann man hier einkaufen – vor allem Obst und Gemüse aus dem nahen Knoblauchsland. Auch dem Hauptmarkt und dem angrenzenden Obstmarkt steht eine Generalsanierung bevor: Anfang 2012 soll unter anderem der Bodenbelag für geschätzte 6 Millionen Euro erneuert und das Areal verschönert werden. Das könnte drei Jahre dauern – in Etappen versteht sich. Denn hier findet auch der weltbekannte Christkindlesmarkt und zwei Mal im Jahr der größte Flohmarkt Europas, der Trempelmarkt, statt.
La Boqueria in Barcelona:
Vielleicht der König unter den Märkten ist die „Boqueria“ oder Mercat St. Josep in Barcelona. Direkt an der Rambla, einer Haupt-Touristenstraße steht eine 2500 Quadratmeter große Stahlkonstruktion, die 277 Marktstände beherbergt. Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Schinken und Meeresfrüchte, Gewürze und Getränke, Bars und Cafés: es gibt nichts, das man nicht fände im Herz und Bauch der katalonischen Metropole. Sogar eine Kochschule für Kinder ist im Markt.
Neben der unglaublichen Vielfalt ist es die liebevolle und ästhetische Präsentation der Waren, die jährlich Millionen Touristen in die Boqueria locken. Von Montags bis samstags ab sechs Uhr in der Früh bis spätestens 20 Uhr sind die Stände geöffnet. Die Händler haben sich in einer Generalversammlung organisiert, die einen eigenen Sprecherrat wählt. Die Anfänge des Markts gehen auf das 13. Jahrhundert zurück. Die Halle gibt es erst seit 1914. Im Jahr 2005 wurde die Boqueria ausgerechnet in den USA als „bester Markt der Welt“ ausgezeichnet.
Der Fischmarkt in Hamburg
Seit 1703 wird auf dem Hamburger Fischmarkt „so ziemlich alles gehandelt, was nicht niet -und nagelfest ist“, wie die Stadtwerbung schreibt. Startschuss für die Geschichte einer der größten Hamburger Touristenattraktionen war der Erlass des dänischen Königs, dass die Fischer ihren Fang auch sonntags vor dem Kirchgang verkaufen durften. Später am Tag wäre es zu warm für die verderbliche Waren gewesen. Seitdem läuten auf dem Fischmarkt und um die historische Auktionshalle von 1894 sonntags immer die Glocken, seitdem sind die Öffnungszeiten von 5.30 bis 9.30 Uhr am Sonntag beschränkt. Im Krieg stark zerstört, sollte die Auktionshalle eigentlich abgerissen werden, eine Bürgerinitiative rettete das Baudenkmal.
Wegen der Öffnungszeiten ist der Fischmarkt weniger eine Einkaufsmeile als vielmehr Attraktion für Frühaufsteher oder letzte Station für Nachtschwärmer. In der Halle für 3500 Menschen finden auch Jazz-Konzerte statt, die Markt-Schreier („Aale-Dieter“) sind eher eine Touristenshow.
Der Naschmarkt in Wien
Sprichwörtlich auf Holz gebaut ist der Wiener Naschmarkt. Über dem Flüsschen Wien bauten die Wiener 1916 ein hölzernes Gewölbe, und darauf nach und nach 170 Verkaufsstände. Rund 60.000 Besucher pro Woche werden gezählt, macht knapp drei Millionen im Jahr. Die Verkaufstände sind extrem begehrt. Sechsstellige Summen werden als Ablöse bezahlt. Die Stadt Wien hat die Vergabe von „Superedifikate“ kürzlich eingestellt. Damit erwarb der Händler das Gebäude, nicht aber den Grund.
Jetzt wird nur noch verpachtet, vor allem das lukrative Untervermieten soll damit gestoppt werden. Die Infrastruktur des Marktes, in dem Geschäfte zwischen sechs und 19.30 Uhr geöffnet sind, und dessen letzte Gastronomiebetriebe um Mitternacht schließen, wird derzeit Schritt für Schritt renoviert. „Die Leitungen sind noch von 1916“, sagt Angelika Herberger von der IG Naschmarkt. 14,4 Millionen Euro sind für die Erneuerung des sensiblen Unterbaus vorgesehen, zum 100. Jubiläum 2016 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
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