Viel Schlaf – nicht immer gesund
In München treffen sich Experten zum Thema Depression. Eine Erkenntnis: Obwohl sich die Betroffenen müde fühlen, hilft Schlafen nicht. Auch bei Gesunden ist viel Ruhe nicht immer gut
MÜNCHENDepressionen sind in Deutschland eine Volkskrankheit. In München läuft zurzeit ein Expertentreff der AGNP, der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie. Dabei geht es unter anderem um den Zusammenhang von Schlaf und Depression und um neueste Erkenntnisse zur Wirkung von Antidepressiva. Die AZ sprach mit dem Psychiatrie-Professor Ulrich Hegerl.
AZ: Herr Professor Hegerl, zurzeit ist Burnout in aller Munde.
ULRICH HEGERL: Das ist eigentlich kein Fachbegriff, sonder so ein Modebegriff. Die prominenten Fälle wie zuletzt Trainer Ralf Rangnick erfüllen alle Diagnosekriterien einer Depression. Sie haben ein Erschöpfungsgefühl, depressive Stimmungen, Schlafstörungen. Der Begriff Burnout ist irreführend, weil er immer suggeriert, eine Überforderung in der Arbeit sei der Auslöser.
Und gibt es das nicht auch häufig?
Natürlich gibt es das. Aber jeder Depressive fühlt sich unendlich erschöpft, auch wenn er vorher keinen Stress hatte. Es gibt sehr viele unterschiedliche Auslöser für Depressionen, das kann eine Beförderung sein, ein Urlaubsantritt, eine Trennung. Wenn es so wäre, dass die Arbeitsbelastung entscheidend wäre, dann müssten ja Menschen im Hochleistungssport oder in einem sehr arbeitsreichem Umfeld häufiger Depressionen haben - das ist aber nicht der Fall. Eine Depression kann jeden treffen.
Wo ist die Grenze zwischen jemanden, der sich ausgelaugt fühlt und jemandem, der eine Depression hat?
Typisch bei wirklich Depressiven ist zum Beispiel ein Schuldgefühl. Ein Depressiver sagt nicht: „Mein Chef lastet mir zu viel Arbeit auf“, er sagt: „Ich bin ein Versager.“ Depressive können kaum mehr Gefühle empfinden, sie fühlen sich wie versteinert. Und wenn ein gestresster oder erschöpfter Mensch bei einem guten Essen einen Abend mit Freunden verbringt, dann kann er sich darüber Freude. Ein Depressiver kann sich darüber nicht Freude.
Ausspannen und Urlaub machen bringt dann wohl auch nichts?
Nein. Bei dem Wort Burnout denken ja viele, Ausspannen hilft. Bei einer Depression ist aber von einem Urlaub unbedingt abzuraten – die Krankheit reist immer mit und wird dann oft noch schlimmer.
Beim Expertentreffen geht es auch um Schlaf und Depression. Was hat man da herausgefunden?
Man kann zeigen, dass zu viel Schlaf die Depression verschlimmern kann und Schlafentzug für viele eine erfolgreiche Therapie ist, zumindest kurzfristig.
Aber man sagt doch, dass Depressive nicht richtig schlafen können.
Das stimmt auch. Depressive haben Schlafstörungen, das heißt, sie schlafen schlecht und unregelmäßig, sie wälzen sich viel hin und her und sie fühlen sich ständig erschöpft. Sie haben alle die Sehnsucht nach einem tiefen, erholsamen Schlaf. Objektiv gesehen hilft mehr Schlaf in der Depression dann aber nicht, oft sogar im Gegenteil.
Was macht der Schlafentzug?
Der gesunde Mensch hat eine bestimmte Wachheits-Regulation. Ist die gestört, zum Beispiel weil wir zu wenig geschlafen haben, reagiert der Körper oft mit einer Kompensation und dreht erst recht auf. Man kennt das bei übermüdeten Kindern, die dann überdreht sind. Oder wenn man eine Nacht durchgemacht hat – der nächste Tag muss stimmungsmäßig nicht unbedingt schlecht sein. Diesen Effekt versuchen wir bei Depressiven zu nutzen.
Wenn ich Schlafstörungen habe, bin ich dann gefährdet, depressiv zu werden?
Das ist nur eines von vielen Anzeichen. Viele Menschen schlafen auch schlecht wegen Stress im Job oder anderen Sorgen. Wenn man das erkennt, sollte man ganz bewusst versuchen, gegenzusteuern, sich zu erholen – das ist aber noch lange keine Depression.
Gilt es auch für gesunde Menschen, dass zu viel Schlaf auch schaden kann?
Ja, auch bei Gesunden ist ganz viel Schlaf nicht immer das Beste. Viele fühlen sich gerade dann ermattet. Ich empfehle, das selbst zu testen: Wie ist die Stimmung, wenn ich mal nur sieben statt neun Stunden schlafe? Das kann jeder zu Hause ausprobieren.
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