Verseuchte Umwelt: „Es betrifft Waldprodukte: Pilze und Wild“
Die Expertin Christina Hacker erklärt, wo die Region München besonders betroffen ist – und gibt Tipps.
AZ-Interview mit Christina Hacker: Die Expertin arbeitet fürs Umweltinstitut München e.V., das unmittelbar nach der Tschernobyl-Katastrophe gegründet worden ist.
AZ: Frau Hacker, gibt es stark verstrahlte Lebensmittel in Bayern?
CHRISTINA HACKER: Leider ja, und zwar betrifft es Waldprodukte wie Pilze und Wild. Diesjährige Spitzenwerte unserer Untersuchungen wiesen Maronenröhrlinge aus der Dingolfinger Gegend mit einem Cäsium-137-Gehalt von 1700 Becquerel pro Kilo Frischmasse auf – oder Semmelstoppelpilze aus dem Raum Fürstenfeldbruck mit 1350. Der Grenzwert von Handelsware liegt bei 600 Becquerel pro Kilo.
Welche Lebensmittel sind besonders betroffen?
Vor allem Waldprodukte, die aus vom Tschernobyl-Fallout belasteten Regionen stammen. Denn im unbearbeiteten Waldboden verbleibt der größte Teil des radioaktiven Cäsiums in der mehrere Zentimeter dicken Schicht der sauren Humusauflage und kann so gut von Pflanzen und Pilzen aufgenommen werden. Anders sieht es auf unseren Feldern aus.
Warum?
Der hohe Gehalt an Ton und Mineralstoffen in unseren Ackerböden führt zu einer zunehmenden Bindung des radioaktiven Cäsiums an Tonmineralien. Es ist so für Pflanzen nicht verfügbar und kann nicht in unsere Nahrung gelangen. Salat oder Kartoffeln vom Feld, aber auch Obst können bedenkenlos auf den Tisch.
Welche Regionen in Bayern haben besonders viel Radioaktivität abbekommen?
In der Umgebung Münchens sind im Westen die Region Fürstenfeldbruck, Mammendorf, im Süden die Starnberger Gegend, der Perlacher Forst oder Forstenrieder Park und im Osten der Holzkirchner- oder Ebersberger Forst zum Teil noch erheblich kontaminiert. Richtung Freising nimmt die Belastung ab. Stark belastet sind auch Teile Niederbayerns und der bayerische Wald oder ein Gebiet im Allgäu von Memmingen über Augsburg, die Garmischer Gegend und das Berchtesgadener Land.
Welche Pilze könnten besonders belastet sein?
Maronenröhrlinge und Semmelstoppelpilze gelten als ausgesprochene Cäsiumsammler, während Arten wie der Schirmling Cäsium nur in geringen Mengen aufnehmen. Pfifferlinge und Steinpilze nehmen eine mittlere Position ein. Wer auf der sicheren Seite sein will, hält sich an Zuchtpilze wie Champignons, Egerlinge oder Austernpilze.
Wie sieht’s mit Pilzen aus osteuropäischen Ländern aus?
Auch dort ist die Situation sehr unterschiedlich. Der Westen Weißrusslands ist beispielsweise weniger belastet als der Bayerische Wald. Der Osten Weißrusslands dagegen erheblich.
Wildschweine können erheblich radioaktiv belastet sein. Rehe oder Hasen auch?
Nein. Rehe und Hasen äsen gern auf Lichtungen, wo Cäsium aufgrund anderer Bodenchemie besser gebunden ist. Wildschweine dagegen wühlen in der Humusauflage des Waldbodens nach Nahrung, wo sich das Cäsium gut hält.
Wie steht’s um Waldbeeren?
Heidelbeeren und Preiselbeeren können Cäsium sehr gut aufnehmen. Die Walderdbeere dagegen kaum. Unverdächtig ist auch Holunder oder Brombeeren.
Wie lange sind die Tschernobyl-Folgen noch spürbar?
Cäsium-137 hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Das heißt: In 30 Jahren ist erst die Hälfte des ursprünglichen Potenzials verschwunden. Man kann von etwa zehn Halbwertzeiten ausgehen, also mindestens noch 250 bis 300 Jahre. Interview:
Natalie Dertinger
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