"Verliebt in meine Idee": Wie junge Leute mit Behinderung in München Start-ups gründen

München - Der frühere Schüler Yannick Andricek (22) hat es vorgemacht. Natürlich kann man auch dann ein Start-up gründen, wenn man körperlich eingeschränkt ist. Der junge Mann, der mit der Glasknochenkrankheit lebt, hat nach dem Fachabitur an der Münchner Ernst-Barlach-Inklusionsschule der Stiftung Pfennigparade 2021 die Firma "YA-media" gegründet – und bietet nun Videoproduktionen, Schnitt und Imagefilme für Privatleute und Unternehmen an.
Nun schickt sich ein nächster Jahrgang der Inklusions-Fachoberschule an, zu lernen, wie man ein Unternehmen gründet. Gerade laufen dort Workshops des neuen, dreimonatigen Gründerprogramms "Entrepreneurship Inklusiv". 26 Jugendliche und junge Erwachsene aus elften Klassen des Wirtschafts- und Sozialzweigs nehmen in sieben Teams teil. Sie entwickeln Ideen und lernen alles, was Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer wissen müssen. Beraten und gecoacht werden sie von Mentorinnen und Mentoren der Hypo-Vereinsbank, die das Programm unterstützt.
Die App "FreeWheel" soll kaputte U-Bahn-Aufzüge in München anzeigen
Die ersten Gründerideen sind ziemlich spannend. Vier Schülerinnen etwa arbeiten an der App "FreeWheel", die einmal anzeigen soll, wo im ÖPNV überall Aufzüge defekt sind und die berechnet, wie man auf einer barrierefreien Ersatzroute ans Ziel kommt. Jeder, der einen defekten Aufzug entdeckt, soll das auf der App melden können. Gleichzeitig soll die App auch Reparaturteams verständigen. "Ich scheitere mindestens zwei Mal jede Woche an einem kaputten Aufzug", erzählt etwa Feli (19), die im Rollstuhl sitzt, aber viel U- und S-Bahn fährt – nicht nur, um aus Bogenhausen in die Schule nach Schwabing zu kommen, sondern auch, um auszugehen oder Freunde in der Stadt zu treffen.
Sie müsse dann mühselig zur nächsten U-Bahnstation weiterfahren und oberirdisch mit dem Rollstuhl zurück, das bringe ihr oft die komplette Tagesplanung durcheinander. "Ich bin ganz verliebt in meine Idee", sagt Feli, "und ich will diese App unbedingt entwickeln." Die werde schließlich nicht nur von Rollstuhlfahrern gebraucht, sondern auch von Menschen mit Kinderwagen, Fahrrädern, Gehhilfen oder wenn man mal mit sperrigen Einkäufen oder mit einem schweren Koffer unterwegs ist.
Pfennigparade: Münchner Plattform für Talentscouts
Der 19-jährige Milan Bacskai tüftelt mit seiner Gruppe am Projekt "Puzzlepieces", bei dem es um cleveren inklusiven Nachhilfeunterricht geht. Ein anderes Team entwickelt eine digitale Talentschmiede-Plattform, auf der begabte junge Leute etwa ihre Fußballvideos hochladen und Talentscouts auf sich aufmerksam machen können.

Und das Team um Nepo, Nick und Hilla (17 bis 19 Jahre) arbeitet an einem Konzept, das es Jugendlichen in psychischen Ausnahmesituationen etwa über eine Homepage erleichtern soll, in der Stadt einen "Savespace", also einen sicheren Ruheraum, zu finden. Mit psychologischer Betreuung. Wie groß der Bedarf ist, das wissen viele der Schülerinnen und Schüler aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Termine bei Kinder- und Jugendpsychologen sind auch in Notsituationen kaum zu bekommen, die entsprechenden Kliniken sind voll, und Termine privat bezahlen können die wenigsten.

"Mich beeindruckt, wie viel reifer als Gleichaltrige hier viele der jungen Leute sind", sagt ihr ehrenamtlicher Mentor Herbert Hielscher-Uhl, der in seinem normalen Berufsalltag bei der Bank im "Stab Geschäftskunden und Finanzierung" arbeitet. "Während andere Kinder unbeschwert aufwachsen, haben sie, etwa als Rollstuhlfahrer oder mit psychischen Handicaps, schon viele Lebenskrisen gemeistert."
Aus dieser Reife würden faszinierende Ideen wachsen. "Dieses Potenzial als Existenzgründer auf der Straße liegenzulassen, wäre ein Unding", findet er, das können wir uns als Volkswirtschaft gar nicht erlauben." Nun sollen weitere Schulen dem Beispiel folgen und inklusive Gründerworkshops an die Schule holen: Interessenten können sich bei der Stiftung Pfennigparade für eine Teilnahme bewerben (Thomas Heymel, Telefon: 0176/199 00 448).