US-Erfinder lässt Gelähmte wieder gehen
Das Skelett zum Überziehen: Eythor Bender hat ein Gerät entwickelt, das Rollstuhlfahrern einen Spaziergang ermöglicht. „Es fühlt sich an wie eine dicke Umarmung“, berichtet eine Patientin.
München - Stehen, gehen, anderen auf Augenhöhe begegnen – wie sich das anfühlt, war für Amanda Boxtel nur noch eine vage Erinnerung. Vor 20 Jahren zwang ein Ski-Unfall die Amerikanerin in den Rollstuhl. Seitdem blickt die 43-Jährige mit vier zertrümmerten Wirbeln und zerrissenem Rückenmark nur noch zu anderen hinauf. Sie muss ja.
Jetzt kann die Querschnittsgelähmte wieder gehen. Zumindest für ein paar Stunden. „Ich kann sogar auf andere heruntersehen – wie cool ist das denn!?“
Was Boxtel wieder nach oben bringt, sind Stützen aus Aluminium, Titan und Karbonfaser: Sie hievt sich aus ihrem Rollstuhl auf einen Hocker und schnallt sich das sogenannte Exo-Skelett namens Ekso mit Klettverschlüssen um Taille und Beine. An diesem Gerüst hängen Sensoren und Elektromotoren, die ihre Beine nach vorne wuchten.
Boxtel steuert das Überzieh-Skelett mit den Händen: Drückt sie ihren rechten Arm nach vorne, schiebt Ekso das linke Beine vor – und umgekehrt. Es beugt das Knie, hebt den Oberschenkel nach oben, nach vorne, nach unten: ein Schritt. Dann ein zweiter. Batterie und Motoren surren, Amanda kann wieder laufen.
Die Weltneuheit hat die US-Firma Ekso Bionics jetzt in München vorgestellt. Ihr Chef Eythor Bender kennt sich aus mit solchen Robotern zum Anziehen: Er entwickelte das Exo-Skelett „Hulc“ für die US-Armee, das Soldaten die Kraft gibt, bis zu 100 Kilo mehr zu tragen oder weiter zu laufen, als es mit normaler Kondition möglich wäre. Mit Benders „Cheetah“-Prothese gewann der beinamputierte Sprinter Oscar Pistorius sogar bei den Paralympics 2008.
Ekso soll jetzt Menschen helfen, die durch Wirbelsäulenverletzungen oder Multiple Sklerose nicht mehr laufen können. Das Gerät wird derzeit an 100 Patienten in US- und europäischen Reha-Zentren getestet.
Anfang 2012 kommt die 100 000 Euro teure Techno-Hose auf den Markt. „Wir wollen den Preis noch auf 50 000 bis 60 000 Euro senken, damit auch Versicherungen das Gerät finanzieren können“, sagt Bender. Auch deutsche Kliniken könnten das Gerät haben – „sie müssen nur anrufen.“
Das 20 Kilo schwere Skelett spürt Amanda Boxtel kaum – es stützt sich auf dem Boden auf und trägt sich so größtenteils selbst. „Wenn ich es umschnalle, fühlt es sich an wie eine dicke Umarmung“, sagt sie. Dass sie dann bis zu vier Stunden lang mit anderen auf gleicher Höhe ist und nicht mehr um Hilfe bitten muss, wenn sie etwas aus Oberschränken braucht, helfe ihr psychologisch sehr.
Das Gerät hat auch medizinische Vorteile: Gelähmte haben Kreislaufprobleme, Muskelschwund, Krämpfe, Schwellungen oder Geschwüre vom vielen Sitzen und Liegen, berichtet Anselm Reiners, Chefarzt für Früh-Rehabilitation des Klinikums Bogenhausen der AZ. „Stehen und gehen helfen dagegen“, so der Experte. „Und psychologisch hilft es sowieso. Deshalb ist das eine absolut sinnvolle Sache.“
Völlig frei ist Amanda im Exo-Skelett nicht: Sie hält sich mit Krücken im Gleichgewicht, ein Helfer geht mit, um sie im Notfall zu sichern. 2013 will Ekso Bionics ein Exoskelett für daheim auf den Markt bringen. Außerdem haben auch Firmen aus Japan und Israel ähnliche Geräte entwickelt. Welches Exo-Skelett Menschen wie Amanda Boxtel wieder Höhe schenkt, dürfte ihnen am Ende ja egal sein.