Urteil der Woche: Falsche Dachdecker machen reiche Beute

Urteil am Amtsgericht München: Als Dachdecker-Duo getarnt verwickeln zwei Männer in zwei Fällen ältere Frauen in Gespräche über angeblich notwendige Reparaturen und nutzen deren Gutmütigkeit schamlos aus.  
von  AZ
An zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Oktober 2018 hatte sich der 55-Jährige gemeinsam mit seinem 25-jährigen Komplizen als Handwerker ausgegeben.
An zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Oktober 2018 hatte sich der 55-Jährige gemeinsam mit seinem 25-jährigen Komplizen als Handwerker ausgegeben. © Patrick Pleul/dpa

Urteil am Amtsgericht München: Als Dachdecker-Duo getarnt verwickeln zwei Männer in zwei Fällen ältere Frauen in Gespräche über angeblich notwendige Reparaturen und nutzen deren Gutmütigkeit schamlos aus.

München - Der Angeklagte zeigte Reue: "Ich wollte den Schmuck verkaufen. Mir tut das auch sehr leid, dass wir der alten Dame Schaden zugefügt haben. Wir möchten uns bei ihr entschuldigen. Es tut mir sehr leid. Wir fahren in der Gegend herum und schauen uns die Häuser an und dann haben wir uns eins ausgesucht. Es war reiner Zufall, dass es ältere Leute sind."

Was war passiert? Gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Oktober 2018 hatte sich der 55-Jährige gemeinsam mit seinem 25-jährigen Komplizen als Handwerker ausgegeben und machten in Ingolstadt bzw. in München-Forstenried reiche Beute. Als Dachdecker-Duo getarnt verwickelten sie dabei zwei ältere Damen in Gespräche über angeblich notwendige Reparaturen und nutzten deren Gutmütigkeit gnadenlos aus.

Schmuck entwendet, Vorauszahlung erschlichen

Im ersten Fall in Ingolstadt bat der Angeklagte eine alleinstehende 78-Jährige Geschädigte, zur Gartentür herauszukommen: Es werde zu Lärmbelästigungen durch Arbeiten am Dach in der Nachbarschaft kommen; außerdem könne er auch einen Schaden am Dach ihres Hauses erkennen. Unterdessen war sein "Kollege" bereits im Haus verschwunden, um den angeblichen Schaden im Dachgeschoss in Augenschein zu nehmen. Die Frau - durch eine Knieverletzung gehandicapt - folgte ihm und wurde sofort auf einen nassen Fleck am Boden hingewiesen. Der müsse zweifellos von einer undichten Stelle am Dach herrühren. Der Mann bat sie um Putzutensilien.

Auf dem Weg in den Keller begegnete die 78-Jährige dem ersten Mann, der Werkzeug, Mörtel und Eimer mit sich führte. Er hielt sie auf, besprach mit ihr ausführlich den Schaden und machte ihr ein Reparatur-Angebot über 1.000 Euro. In der Zwischenzeit entwendete der Komplize aus einer Schmuckschatulle im Schlafzimmer des Obergeschosses Schmuck im Wert von etwa 3.000 Euro, anschließend nahmen die beiden 600 Euro Vorschuss für die anstehende Reparatur entgegen.

Schmuck in Wert von 5.000 Euro gestohlen

Im zweiten Fall in München-Forstenried verschaffte sich der Angeklagte mit dem Komplizen bei einer 86-jährigen Frau Zugang zum ersten Stock des Hauses: Es könne in der nächsten Zeit etwas lauter werden, weil am Nachbarhaus Reparaturarbeiten am Dach vorgenommen würden und dafür auch etwas an ihrem Dach befestigt werden müsse.

Diesmal nahm der Komplize aus dem Schlafzimmer Eheringe, Armbänder, Ketten und Uhren im Wert von etwa 5.000 Euro mit. Als die Geschädigte Verdacht schöpfte und über Notruf die Polizei alarmierte, waren die beiden auch schon in ihrem Auto auf und davon.

"Ich mache jetzt die Türe nicht mehr auf", sagte die 86-Jährige vor Gericht. Sie habe bereits einmal den Enkeltrickbetrug gehabt und auch schon einen falschen Polizisten am Telefon. Weil es ihr "komisch vorkam", habe sie diesmal gleich die Polizei gerufen: "Ich bin mit dem Nachbarn befreundet, und ich habe gedacht, dass er mir ja bestimmt was gesagt hätte."

Geständnis spricht für den Angeklagten

Die Vorsitzende Richterin wertete in der schriftlichen Urteilsbegründung zu Gunsten des Angeklagten "das voll umfassende, glaubhafte Geständnis. Darüber hinaus war zu Gunsten des Angeklagten (...) zu werten, dass dieser sich im Rahmen der Hauptverhandlung bei der Geschädigten (...) entschuldigt hat sowie mit der formlosen Einziehung des sichergestellten Schmucks einverstanden war."

Der Angeklagte verwies vor Gericht auf seine lange Leidensgeschichte: "Ich habe früher mal Drogen genommen und dann hatte ich eine große Herz-OP. Danach habe ich wieder angefangen. Ich habe Diabetes, bin von der Herz-OP sehr mitgenommen. Ich muss elf Tabletten fürs Herz und fürs Blut nehmen. Ich habe schon 25 Jahre Diabetes, muss spritzen. Meine Augen sind angegriffen. Ein Auge ist kaputt. Vielleicht habe ich eine Chance, nach Hause in Haft zu kommen. Bevor ich verhaftet wurde, habe ich Kokain genommen und dafür hätte ich auch das Geld gebraucht."

Verurteilter seit der Jugend straffällig

Der Angeklagte habe sich aufgrund seines Gesundheitszustandes "als sehr haftempfindlich" gezeigt, so die Richterin. Und es sei nicht auszuschließen, dass er die Tat "unter einem gewissen Suchtdruck nach Kokain" begangen habe. "Zu Lasten des Angeklagten (...) war jedoch zu sehen, dass dieser bereits seit dem Jugendalter in erheblichem Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten ist."

Es sei zudem "ein nicht unerheblicher Schaden entstanden", und "darüber hinaus wurde hier insbesondere das Vertrauen (...) der beiden Geschädigten, die sich beide im deutlich fortgeschrittenen Alter befinden, ausgenutzt."

Am 15. April 2019 verurteilte das zuständige Schöffengericht am Amtsgericht München den 55-jährigen ledigen arbeitslosen Braunschweiger wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Sein Komplize und Schwiegersohn wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.

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