Unwetter in München vor 30 Jahren: Münchner Sturm-Geschichten

Tausende Bäume entwurzelt, kein Strom: Die AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz erinnert sich an die Katastrophe in München vor genau 30 Jahren und an andere verheerende Unwetter.
von  Karl Stankiewitz
Nach dem Sturm: Ansturm auf die Schadensstelle der Kfz-Versicherung.
Nach dem Sturm: Ansturm auf die Schadensstelle der Kfz-Versicherung. © Heinz Gebhart

München – Über Westeuropa bildet sich eine Kaltfront mit etwas Hagel und viel Wind, der das Dach eines Einkaufszentrums in Paris zum Einsturz bringt.

In der Nacht zum 24. Juli 1988 hat das Tief den Südwesten Deutschlands erreicht. Sturmböen, Hagel und Blitzschlag richten Schäden in Millionenhöhe an. In den Nachmittagsstunden entwickeln sich obendrein am Alpennordrand mächtige Gewitterzellen, die sich durch einströmende feuchte Warmluft aus dem Starnberger Fünf-Seen-Land rasch erhitzen. Und im Großraum München hat sich die Stadtluft stark aufgeheizt.

Hagel? Vom Sommerhimmel fallen Eisklumpen so groß wie Taubeneier

Das ist die passend explosive Mischung für eine Wetterkatastrophe, ähnlich dem Hagelsturm vom 12. Juli 1984. Vier Jahre danach fallen aber keine taubeneiergroße Eisklumpen vom Sommerhimmel, vielmehr entwickelt sich ein Orkan wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Mit einer Geschwindigkeit von 140 Kilometern in der Stunde rast der Teufelswind über Dächer, Türme und Wipfel hinweg, Orkanstärke gilt ja offiziell erst ab 117 Kilometern pro Stunde.

Nach dem Sturm: Ansturm auf die Schadensstelle der Kfz-Versicherung.
Nach dem Sturm: Ansturm auf die Schadensstelle der Kfz-Versicherung. © Heinz Gebhart

Das Naturspektakel dauert zwar örtlich nur ein paar Sekunden, reicht aber mancherorts aus, um auch kräftigste Bäume zu Tausenden, etwa im Englischen Garten, abzubrechen oder zu entwurzeln. Manche stürzen krachend auf Fahrzeuge und Stromleitungen. Blitze mischen sich ins Inferno. Straßenverkehr und Stromversorgung brechen zusammen. Auch 50 bis 60 Meter hohe Strommasten werden in etwa 15 Meter Höhe umgeknickt. Eine niedergerissene Freilandleitung ist nicht einmal versichert. Sogar vor dem neuen Gebäude des Deutschen Wetterdienstes bietet sich ein Bild der Verwüstung.

Was den Münchnern besonders schlimm erscheint: Die meisten Biergärten vermitteln mit ihrem Gewirr von abgerissenen Ästen und zerschmettertem Geschirr, umgestürzten Tischen und Stühlen das Gegenteil von Gemütlichkeit. Und noch schlimmer: Auf der Theresienwiese sind etliche der Aufbauten für das Oktoberfest dem Orkan zum Opfer gefallen.

1990 legt Sturm "Wiebke" nach

Am 19. Dezember treibt ein Sturmtief von der Nordsee schon wieder einen Orkan mit bis zu 150 Stundenkilometern über München hinweg. Hunderte Male rückt die Feuerwehr aus, um Baugerüste zu sichern und umgestürzte Bäume und Bauzäune zu beseitigen, Blechdächer abzudichten. Wieder gibt es Zerstörungen auf einem festlichen Platz, dem Christkindlmarkt.

Die nächste Katastrophe folgt bereits am 26. Februar 1990, abermals auf einem Höhepunkt des Volksvergnügens, am Faschingsdienstag.

Dieses Mal bringt der große Sturm – die Meteorologen nennen ihn "Wiebke“ – vereinzelt Schnee- und Graupelschauer mit in die Stadt. Bald werden schwere und schwerste Schäden gemeldet. Betroffen sind alle Parks und sogar die Friedhöfe, wo 200 Grabsteine unter Bäumen begraben sind.

Rasche Hilfe tut not. Die Berufsfeuerwehr muss alle greifbaren Männer aus den Faschingsferien zurückrufen, um gefährdete Objekte zu sichern. Sie kommt an diesem Tag auf 1.200 Einsätze, so viele wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Böen drücken gegen Schaufenster, so dass es dauernd Alarm läutet in den Dienststellen der Polizei, die am Nachmittag schon 200 Sturmeinsätze hat.

In Bahnhofsnähe flattert ein großes Stück Blech gefährlich vom fünften Stock. Der 44-jährige Feuerwehrmann Johann Daxer klettert hinauf, er fasst die Platte, und da wird er vom Dach gefegt. Zum Glück ist er angeseilt. Auch die Kuppelhülle des Justizpalastes muss befestigt werden. Einige Leute stürzen beim Versuch, ihre Antennen zu retten, vom Dach. Dutzende werden verletzt. Ein Kind kommt bei einem der etwa 150 Verkehrsunfälle ums Leben.

Das Rückgrat der bayerischen Stromversorgung bricht

Das Zerstörungswerk erreicht seinen Höhepunkt, als bei Erding sechs 60 Meter hohe Hochspannungsmasten aus Stahl wie Streichhölzer brechen. Über die 400.000-Volt-Leitung fließt Strom vom Norden nach Bayern. Das "Rückgrat unserer Stromversorgung“, so Ministerpräsident Strauß, sei gebrochen. Gleich wird an den Bau einer neuen, weniger windgefährdeten Starkstromleitung gedacht.

Und noch einmal, in der Nacht zum Donnerstag, kommt eine weitere Welle des furchtbaren Windes. "Vivian“ und "Wiebke“ erreichen im Februar 1990 wieder Spitzengeschwindigkeiten von 150 km/h, können in der nächtlichen Stadt aber nicht allzu große Schäden anrichten. Im Vorland sind jedoch am Morgen fast alle Straßen und viele Bahnstrecken durch Bäume und Äste blockiert. Bis in den Sommer hinein, so wird befürchtet, werden die Aufräumarbeiten andauern.

Katastrophenforscher fragen sich, ob wieder eine regelrechte Sturm-Serie begonnen habe. Dergleichen gab es schon im 15. Jahrhundert. Am 7. Juli 1488 wurden 200 Häuser zerstört. Zwischen Oktober 1488 und Mitte Januar 1489 verzeichnet die Stadtchronik nicht weniger als 65 Sturmwarnungen durch extra dafür bestimmte Wächter und Schergen. Begleitet waren diese Stürme oft von Kälte, starkem Schneefall, Blitz und Bränden – und nicht selten von der Pest.

Die Münchner Rückversicherung, die bei der Katastrophen-Forschung weltweit in Führung liegt, will im Jahr 2005 nach dem Hurrikan im Süden der USA nicht mehr ausschließen, dass auch Europa von schweren Wirbelstürmen erreicht werden könnte – wegen der beschleunigten Erderwärmung.

Tatsächlich zieht am 18. Januar 2007 der Orkan "Kyrill“ eine Spur der Verwüstung über den Kontinent. Genau ein Jahr später rast das Sturmtief "Friederike“ auch über Bayern. Bäume werden entwurzelt, sie erschlagen einen Mann und beeinträchtigen den S-Bahn-Verkehr. Und im Januar 2015 richten "Elon“ und "Felix“ in ganz Europa schlimme Verwüstungen an; vielerorts legen sie den Bahnverkehr lahm, auch in Deutschland gibt es Tote und Verletzte.

Verglichen freilich mit den meisten Tornados, Taifuns und anderen Großwinden im nördlichen Amerika und in Asien erlebte Deutschland bisher eher kleine Katastrophen dieser Art. Die aber kommen oft ohne jede Warnung. Denn noch können die Sturmexperten des Deutschen Wetterdienstes bestimmte Starkstürme "kaum vorhersagen“.


Dieser Beitrag basiert u. a. auf dem Buch "Schwarze Tage“

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