Unterwegs mit dem Kältebus in München: So bekommen Obdachlose im Winter Hilfe
München/Nürnberg - Hastig schiebt Flori sich den Löffel in den Mund. Nach Tagen und Nächten bei Minusgraden endlich eine warme Mahlzeit. Heute gibt es Kartoffelpüree mit Gemüse-Fleisch-Eintopf. Seine Hände wärmt der Obdachlose an dem heißen Tee, den er mit dem Essen von einem ehrenamtlichen Helfer des Vereins Kältebus München bekommen hat. "Ich weiß nicht, was ich ohne solche Angebote machen würde." Flori lebt auf der Straße. Gerade in der kalten Winterzeit zehrt das am ganzen Körper. Er ist kein Einzelfall - doch es gibt viele Möglichkeiten zur Abhilfe. Zumindest in der Theorie.
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In Deutschland müssen die Gemeinden alle Menschen ordnungsrechtlich - wie es im Behördendeutsch heißt - unterbringen, wie Jörn Scheuermann von der Koordinationsstelle Wohnungslosenhilfe Südbayern erklärt. "Ich kenne keine Gemeinde in Bayern, die ihrer ordnungsrechtlichen Verantwortung nicht bewusst ist, auch wenn es immer wieder in Einzelfällen Ausnahmen gibt. Hier muss zwischen den Beteiligten dann vermittelt werden." Ballungszentren wie München schienen wegen des Nahverkehrs, verschiedenen Hilfsangeboten und der Anonymität auf Menschen in prekären Lebenssituationen Sogwirkung zu entfalten. "Aber das Phänomen tritt auch in kleinen Gemeinden auf."
Allein in München leben nach Angaben der Stadt bis zu 600 Obdachlose. Hinzu kommen rund 9.000 wohnungslose Menschen. Die Zahlen steigen seit Jahren, die Dunkelziffer ist nach Einschätzung von Experten hoch. Deutschlandweit waren im vergangenen Jahr laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rund 860.000 Menschen bundesweit ohne Wohnung, darunter gut die Hälfte Flüchtlinge.
Münchner Kälteschutzprogramm: Obdachlose kommen in der Bayernkaserne unter
Viele Betroffene stammen aus anderen EU-Staaten. "Die Menschen kommen hierher, um Arbeit zu finden, haben aber keine Wohnperspektive. Dafür sind die Mieten zu teuer", sagt Anton Auer, Bereichsleiter des Evangelischen Hilfswerks München, der das Kälteschutzprogramm der Landeshauptstadt in der Bayernkaserne betreut.
Rund 400 Menschen finden dort derzeit täglich zwischen 17 und 9 Uhr ein Dach über dem Kopf zum Schlafen. Damit ist knapp die Hälfte der Betten belegt. Rund 50 Prozent seien Rumänen und Bulgaren, an dritter Stelle kommen Auers Angaben zufolge Deutsche mit etwa 11 Prozent. In den vergangenen Wintern hat Auers Team je um die 3.000 Menschen betreut. Am Heiligen Abend will der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in der Kältestube vorbeischauen.
Jeder, der kein Obdach hat, kann in der Bayernkaserne unterkommen - unabhängig davon, ob er Anspruch auf Sozialleistungen hat. Er muss sich an die Hausordnung halten, bekommt einen Einweisungsschein für jeweils sieben Tage, ein Bett, eine Einmaldecke, ein Laken, und ein paar Blatt Klopapier. Essen wird hier nicht verteilt. "Es ist ein reiner Kälteschutz vor Schäden und Erfrierungen", sagt Auer.
Anders beim Kältebus: Er fährt abends zu bekannten Aufenthaltsplätzen von Obdachlosen. Die ehrenamtlichen Helfer verteilen gespendete Lebensmittel und selten auch Schlafsäcke. Gründer Berthold Troitsch hatte vor drei Jahren in der Zeitung davon erfahren, dass die Organisation aufhören sollte - und gründete daraufhin den Verein neu.
Anton Auer sieht den Kältebus kritisch: "Damit unterstütze ich das Leben auf Platte." Besser wäre es aus seiner Sicht, den Leuten zu einer Wohnung zu verhelfen. Er räumt aber auch ein, dass manche draußen bleiben wollten, meist Menschen mit psychischen Problemen. "Die halten es bei uns in den Mehrbettzimmern nicht aus."
Viele Obdachlose wollen trotzdem auf der Straße schlafen
Wohnungslosenhilfe-Koordinator Scheuermann sagt: "Manche Menschen entscheiden sich trotz der Unterbringungspflicht der Gemeinden freiwillig für das Schlafen auf der Straße. Andere, in Anbetracht der Gefahrensituation für Leib und Leben glücklicherweise die überwiegende Mehrzahl obdachloser Menschen, nehmen das Angebot an." So machten Angebote wie ein Kältenbus Sinn - es gehe darum, Menschen auf der Straße beim nackten Überleben zu unterstützen.
Auch andere Städte haben Kälteschutzprogramme - beispielsweise Nürnberg. Dort war vor einigen Tagen ein Mann aus Versehen in einen Müllwagen gekippt und verletzt worden. Der Obdachlose hatte einen etwas wärmeren Schlafplatz in einem Altpapiercontainer gesucht. "Wenn sich jemand in einen Container legt, macht er das nicht, weil wir ihn nicht unterbringen konnten", betonte damals ein Vertreter des Amts für Existenzsicherung und soziale Integration der Stadt.
In Nürnberg seien rund 900 Menschen, die nach dem Sozialgesetzbuch Anspruch auf Grundsicherung haben, in Pensionen untergebracht. Zudem gebe es im Winter 150 Plätze in Notschlafstellen, meist gut belegt.
Doch es bleibt kompliziert: Für Beratungsangebote ist Scheuermann zufolge der örtliche Sozialhilfeträger zuständig. Während in kreisfreien Städten beide Verantwortungsbereiche - Unterbringung und Beratung - in einer Hand sind, verantworten in den Landkreisen die Landratsämter die Beratung, nicht die Gemeinden selbst. Manche Kreise beauftragten freie Träger wie die Arbeiterwohlfahrt, die in Unterkünfte gehen und Menschen unterstützen. Andernorts müssen Betroffene selbst Beratungsangebote finden und aufsuchen. "Das ist eine große Hürde für manche, die sie nicht einfach überwinden."
Darüber hinaus gebe es in machen Landkreisen auch Uneinigkeit darüber, ob das Landratsamt oder die Gemeinden für die Beratung zuständig sind. "Für die Organisation von Hilfe und Unterstützung für betroffene Menschen ist eine solche Unklarheit selten hilfreich."
Und er macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die Bayernkaserne etwa öffnet von November bis Ende April. "Aber auch im Sommer gibt es genug Gefahren, wenn man draußen schläft", sagt Scheuermann. Menschen können ausgeraubt oder vergewaltigt werden. Er stellt daher fest: "Es macht Sinn darüber nachzudenken und zu prüfen, ob und wie Programme wie der Kälteschutz ganzjährig angeboten werden können."
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