Unterwegs im Münchner Bahnhofsviertel: Das Erdbeben ist allgegenwärtig

Das südliche Münchner Bahnhofsviertel ist seit den 1970er Jahren türkisch geprägt. Das Erdbeben schockiert die Menschen hier. Es herrscht große Betroffenheit. Ein Streifzug.
von  Hüseyin Ince
Yunus Bayrak betreibt ein Reisebüro an der Goethestraße.
Yunus Bayrak betreibt ein Reisebüro an der Goethestraße. © Hüseyin Ince

München - Es ist frostig-kalt am Mittwochnachmittag im Münchner Bahnhofsviertel. Eine nachdenkliche, bedrückende Atmosphäre hat sich breitgemacht. Und das beginnt schon am Taxistand. Dort wartet gerade Taxler Sedat.

Er reiht sich ein hinter etwa 40 Taxis. Angesprochen auf das grauenhafte Erdbeben sagt der 45-Jährige: "Setz dich rein. Ich zeig dir was." Der 45-Jährige spricht gerade mit seinem Bekannten Resit im türkischen Sirnak, einem Bezirk nahe der Erdbebenregion. Resit ist eigentlich Feldkirchner, handelt mit Textilien und sei gerade zufällig dort mit seiner Familie. Wir kommen ins Gespräch per Videochat. "Hier wackelt die Erde bis zu zwei Mal am Tag", sagt er.

"Hier wackelt die Erde bis zu zwei Mal am Tag"

In seinem Viertel in Sirnak sei kein einziges Haus eingestürzt. Deshalb seien sie noch in ihrer Wohnung. Aber: "Immer, wenn es leicht bebt, packen wir unsere Kinder und rennen ins Freie", sagt Resit und richtet die Kamera aus dem Fenster.

Die Hilfsbereitschaft sei riesig. "Eine Baufirma aus Sirnak hat ihren ganzen Maschinenbestand ins Epizentrum geschickt", erzählt er. Und viele Airlines fliegen derzeit umsonst Obdachlose aus der Region, sagt Resit.

Er hofft auf mehr Hilfe aus dem Westen. "Es gibt Tausende eingestürzte Häuser, an denen noch kein einziges Rettungsteam angepackt hat", sagt Resit. Er befürchtet Schlimmstes, was die Opferzahlen angeht. Auch Sedat, der Taxler mit Wurzeln in Izmir, sagt, es werde deutlich mehr Hilfe benötigt.

Hasan Güvendiren stammt aus Bingöl, einem benachbarten Bezirk des Erdbebengebietes. Er ist Geschäftsführer des Restaurants "Antep Sofrasi" an der Goethestraße. Zwei der drei Inhaber stammen aus der Region Antep - einem Epizentrum der Katastrophe.
Hasan Güvendiren stammt aus Bingöl, einem benachbarten Bezirk des Erdbebengebietes. Er ist Geschäftsführer des Restaurants "Antep Sofrasi" an der Goethestraße. Zwei der drei Inhaber stammen aus der Region Antep - einem Epizentrum der Katastrophe. © Hüseyin Ince

Sedat, seit 2004 ein Münchner, fordert, dass die Türkei sich spätestens jetzt ein Beispiel an den Deutschen nehmen sollte. Er zeigt auf sein Taxi. "Es ist hässlich. Aber das Auto funktioniert. Hunderttausende Kilometer weit. So stabil müssten in der Türkei langfristig Häuser gebaut werden."

In der Goethestraße steht auch das extrem beliebte türkische Schnellrestaurant Antep Sofrasi. Geschäftsführer Hasan Güvendiren sieht man den Schock an. Er hat Wurzeln in Bingöl und Elazig, benachbarte Bezirke am Epizentrum rund um Kahra-manmaras und Gaziantep.

Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien: So können Sie helfen

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien forderte bereits über 40.000 Todesopfer, unzählige Menschen sind verletzt, verloren zudem ihr gesamtes Hab und Gut. Wer spenden möchte, kann dies unter anderem beim speziellen Spendenkonto der Stadt München tun:

Überweisungen an die Stadtsparkasse München  |  IBAN DE86 7015 0000 0000 2030 00  |  Verwendungszweck "Erdbebenhilfe"

"Die Türkei ist und bleibt ein Erdbebengebiet"

Das türkische Fernsehen überträgt die Suchaktionen live. "Den ganzen Tag ist das Gerät an und ich hoffe ständig auf Wunder", sagt Güvendiren. Dass wieder eine Person lebend geborgen wird. Seine Tochter habe die Hälfte ihrer Kleidung gespendet. "Wir haben hier im Restaurant eine Spendenbox aufgestellt. Ich werde das Geld über eine türkische Bank ins Erdbebengebiet überweisen", sagt er.

Zwei der drei Inhaber von Antep Sofrasi seien aus Antep. "Einer ist am Tag des Bebens nach München gereist und dann gleich wieder zurück, um mit eigenen Händen nach verschütteten Verwandten zu suchen", erzählt Güvendiren.

An der Goethestraße liegt auch das Reisebüro Kuzey Turistik. Einer der Inhaber, Yunus Bayrak, geboren an der türkischen Schwarzmeerküste, erzählt von einem 35-Jährigen, dem er gerade ein Ticket nach Adana verkauft hat. "Vier seiner Verwandten werden vermisst", hat Bayrak von ihm erfahren.

Die Türkei ist und bleibt ein Erdbebengebiet, sagt Bayrak. "Wir müssen uns besser auf solche Katastrophen vorbereiten", sagt er und fordert stabileres Bauen. "Wir sollten von den Japanern lernen. Dort stürzt auch bei heftigen Beben kein einziges Gebäude ein", sagt Bayrak. Doch das alles sei natürlich auch eine Frage des Geldes.

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