Unterschenkel und Penis amputiert - Ärztepfusch?

Prozess am Oberlandesgericht: Der 34-jährige Sebastian S. sitzt seit 2009 im Rollstuhl, das linke Bein und der Penis mussten ihm amputiert werden. Er gibt einem Urologen die Schuld dafür - und klagt.
John Schneider |
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Sebastian S. mit seinem Anwalt.
John Schneider Sebastian S. mit seinem Anwalt.

Prozess am Oberlandesgericht: Der 34-jährige Sebastian S. sitzt seit 2009 im Rollstuhl und gibt einem Urologen die Schuld dafür. Der habe bei einer Untersuchung eine Sepsis nicht erkannt.

München Schicksal oder Kunstfehler? Um diese Frage dreht sich der Fall von Sebastian S. (34). Der junge Mann kam am Donnerstag im Rollstuhl in den Gerichtssaal am Oberlandesgericht (OLG) gefahren. Nach seiner Überzeugung, weil ein Urologe im April 2009 eine Sepsis bei ihm nicht erkannt habe. Dem Rosenheimer Lageristen mussten der Penis und der linke Unterschenkel amputiert werden. Sebastian S. verlangt Schadenersatz und Schmerzensgeld. Der Streitwert: 767000 Euro. Allein das geforderte Schmerzensgeld beläuft sich auf eine halbe Million Euro.

Auch für den erfahrenen Arzthaftungs-Richter Thomas Steiner, der dem zuständigen OLG-Senat vorsteht, „eine unglaubliche Leidensgeschichte“. Und die spielte sich so ab: Am 3. April 2009 geht der Lagerist zu seinem Hausarzt. Er leidet an Seitenschmerzen, die sich über Brust und Bauch nach rechts unten zogen. Der Arzt stellt die Diagnose Neuralgie (Nervenschmerz) und verschreibt Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Tatsächlich wird es besser.

Aber am 8. April kommt der Rosenheimer erneut zu seinem Hausarzt. Er hat erhebliche Schmerzen auch am Bauch Richtung Genitalbereich und Beschwerden beim Wasserlassen. Der ratlose Hausarzt überweist ihn an einen Facharzt für Urologie.

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Der Urologe machte am 8. April 2009 neben der klinischen Untersuchung eine Ultraschalluntersuchung und eine Urinuntersuchung von Sebastian S.. Und verordnet ein Antibiotikum. Am nächsten Tag ruft der Kläger erneut in der Praxis des Urologen an. „Sein Zustand hatte sich verschlechtert“, berichtet Anwalt Stephan Rössler. Doch Sebastian S. habe keinen Termin bekommen. Stattdessen geht er zu einem anderen Urologen. Der stellt die Diagnose „Priapismus" (schmerzhafte Dauererektion des Penis ohne sexuelle Erregung) und überweist ihn ins Krankenhaus.

Jetzt wird es dramatisch. Sebastian S. wird gegen 11.30 Uhr aufgenommen, die Ereignisse überstürzen sich: Der Mann erleidet einen septischen Schock und unter anderem eine schwere Gerinnungsstörung, Nierenversagen, eine Penisnekrose sowie eine Nekrose des linken Unterschenkels. Unterschenkel und Penis müssen amputiert werden. Sebastian S. wird drei Tage später in die Uniklinik Regensburg verlegt. Dort wird er drei Wochen ins künstliche Koma versetzt. Der Kläger ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen, zeugungsunfähig, hundertprozentig arbeitsunfähig und ein Pflegefall.

Für den Motorrad-Fan, der so jung aus seinem Arbeitsleben gerissen wurde, auch seelisch eine ungeheure Belastung. „Ich war in psychotherapeutischer Behandlung“, erklärt er im AZ-Gespräch. Die Verhandlung am OLG nagte zusätzlich an seinen Nerven. Zwar hat Sebastian S. seine Mutter zur moralischen Unterstützung dabei, aber der Senatsvorsitzende muss den Prozess einmal für fünf Minuten unterbrechen. Sebastian S. war ob der psychischen Belastung in Tränen ausgebrochen.

Die Diagnose des Beklagten sei falsch gewesen, klagt er. Weder den beginnenden Priapismus, noch die beginnende Sepsis habe der Arzt erkannt. Die schlimmen Folgen hätten vermieden werden können, wenn der Urologe Sebastian S. am 8. April, spätestens aber am Morgen danach ins Krankenhaus eingewiesen hätte. Der Urologe sieht das anders. Sebastian S. hätte am 8.April keinen kranken oder gar schwerkranken Eindruck gemacht. Der Patient habe auch weder von Fieber noch von stärkeren Schmerzen berichtet. Bei der klinischen Untersuchung hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt. Den Priapismus bestreitet er.

Das Landgericht Traunstein vernahm neun Zeugen, holte ein urologisches Fachgutachten ein – und wies die Klage ab. Mangels Behandlungsfehler. Entgegen der Ansicht des Klägers habe es anfangs keine Hinweise auf eine Sepsis gegeben, auch wenn es Zeugen aus dem Umfeld des Klägers gibt, die anderes behaupten.

Das Oberlandesgericht will im Berufungsprozess am 24.Juli bekannt geben, ob ein neues Gutachten gemacht werden muss. Nur in einer Beziehung hat Sebastian S. Glück gehabt. Der 34-Jährige war kurz zuvor noch Vater geworden. Seine Tochter ist jetzt sechs Jahre alt. Auch seinen Mut hat er nicht verloren. Sebastian S. will ein Vorbild für andere sein. Sein Mandant wolle zeigen, dass man sich auch als Behinderter nicht unterkriegen lassen muss, erklärt Anwalt Rössler.

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