Unterlassene Hilfeleistung: Gericht fällt Urteil nach Todes-Drama in der Isar

München - Dass einer der drei Angeklagten zu Beginn des Prozesses nicht lange rumdruckst, sondern sofort gesteht, dass er nichts getan hat, um seinen Freund und Kollegen aus der reißenden Isar zu retten, tröstet Irmgard D. ein wenig.
Aber es macht ihren Sohn Stefan nicht wieder lebendig. "Er hätte vielleicht auch gerne Kinder gehabt", sagt die 55-Jährige bitter. Und spielt damit darauf an, dass die beiden Männer, die nur zugesehen, aber nicht geholfen haben, als ihr Sohn in die Isar sprang, abtrieb und ertrank, selber Familienväter sind. Dennis G. (33) erklärt seine Tatenlosigkeit damals auch damit, dass er zwei kleine Kinder zu Hause habe.
Milde Geldstrafen für die Angeklagten
Beide Männer kommen am Dienstag wegen unterlassener Hilfeleistung mit Geldstrafen von 45.000 (150 Tagessätze à 30 Euro) beziehungsweise 3.750 Euro (150 Tagessätze à 25 Euro) recht milde davon. Der Staatsanwalt hatte Freiheitsstrafen von sechs bis sieben Monaten gefordert. Der mitangeklagte Vorarbeiter (60) des Gleisbauer-Trupps wird freigesprochen. Ihm war nach Ansicht der Amtsrichterin nicht nachzuweisen, dass er von der Gefahrensituation unmittelbar etwas mitbekommen hat. Irmgard D. macht nach der Urteilsverkündung keinen Hehl daraus, dass sie sich härtere Strafen gewünscht hätte.
So hat sich laut Anklage das Drama am 22. Mai 2015 abgespielt: Stefan D. war zu spät zur Arbeit an der Braunauer Eisenbahnbrücke erschienen. Der Gleisbauer war alkoholisiert. Seine Kollegen bemerkten das, sein Vorarbeiter Zlatko P. schickte ihn nach Hause. Doch Stefan D. ging nicht, sondern soll mit seinem Kollegen Adem I. (39) erneut gewettet haben, dass er in die damals Hochwasser führende Isar springe. Stefan D. soll sich dann die Jacke ausgezogen, Handy und Portemonnaie abgelegt haben.
Kurz darauf hing er außen am Sicherungsnetz der Brücke. Als Adem I. das bemerkte, rief er Dennis G. hinzu. Der kletterte seinem Spezl nach. Stefan D. habe sich dann ins Wasser fallenlassen, berichtet er. Dennis G. ist Leistungsschwimmer gewesen. Doch in diesem Moment habe er an seine Kinder gedacht und sei nicht hinterher gesprungen. Er rief Stefan D. noch nach, dass dieser ans rechte, seichtere Ufer schwimmen soll. Doch das gelang dem 22-Jährigen nicht.
Erst vier Wochen nach dem Unglück gehen die Kollegen zur Polizei
Stattdessen trieb er auf den Sockel in der Mitte der Wittelsbacher Brücke zu. Dann verloren ihn seine Kollegen aus den Augen. Sie seien aber davon ausgegangen, dass Stefan D. dort problemlos aus dem Wasser klettern könne, erklärt Dennis G. vor Gericht. Deshalb hätten sie auch keinen Notruf abgesetzt. Adem I. wurde doch nervös. Er machte sich auf die Suche. Ohne Erfolg. Man sei dann stillschweigend übereingekommen, zu behaupten, Stefan D. sei nach Hause geschickt und danach nicht mehr gesehen worden.
Erst vier Wochen nach dem Sprung in die Isar plagte seine Kollegen das schlechte Gewissen so sehr, dass sie zur Polizei gingen. Dennis G. erzählte, dass sein Spezl in die Isar gestürzt sei. Er und Adem I. gaben danach ihre Jobs als Gleisbauer auf. Zu sehr ist diese Arbeit mit dem schrecklichen Tag im Mai 2015 verbunden.
Zwei Tage später wurde die Leiche von Stefan D. gefunden. Er hatte immer noch seine Arbeitskleidung und einen Stiefel an. Nach der Obduktion gingen die Ermittler von Ertrinken aus.
Irmgard D. aber hat noch einen Wunsch, den ihr nur das Ordnungsamt erfüllen könne, sagt sie. Freunde hatten an der Leichen-Fundstelle in der Nähe der Corneliusbrücke eine Gedenkstätte für Stefan D. mit Blumen, Lichtern und Texten eingerichtet. Die sei aber inzwischen geräumt worden. Stefans Mutter wünscht sich nun die städtische Erlaubnis, an dieser Stelle wieder an ihren ertrunkenen Sohn erinnern zu dürfen.
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