Unterföhring: Mann schießt am S-Bahnhof um sich - Polizistin verletzt

Bei dem Schusswechsel in Unterföhring werden vier Menschen verletzt. Die Polizistin schwebt in Lebensgefahr.
von  Jasmin Menrad
Der 37-jährige Täter wurde mittlerweile gefasst. Die Polizei hat das Gebiet um den S-Bahnhof großräumig abgesperrt.
Der 37-jährige Täter wurde mittlerweile gefasst. Die Polizei hat das Gebiet um den S-Bahnhof großräumig abgesperrt. © Daniel von Loeper

München/Unterföhring - Es war eine Routinesituation, wie sie Polizisten mehrmals täglich erleben, die plötzlich eskalierte. Jetzt kämpft eine Polizistin (26) um ihr Leben, drei Menschen sind schwer verletzt.

Mehr als 200 Menschen werden Zeugen der unfassbaren Bluttat am Unterföhringer Bahnhof. Am Dienstag gegen 8.35 Uhr gehen mehrere Anrufe bei der Polizei ein, weil ein Mann in der S-Bahn Richtung München einen weiteren Reisenden körperlich angegriffen hat. Als die Männer aussteigen, wartet bereits eine Polizeikommissarin (26) mit einem Hauptmeister (30) am Bahnhof.

Als die Beamten der PI 26 aus Ismaning die Personalien aufnehmen, versucht der Angreifer plötzlich, den Polizisten vor eine einfahrende S8 Richtung Flughafen zu stoßen. "Es kam zu einer Rangelei, bei der der Mann dem Polizisten dessen Dienstwaffe entwenden konnte", sagt Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins.

Aus dem Nichts treffen Passanten die Schüsse

Gegen 8.40 Uhr fallen mehrere Schüsse auf dem Bahnsteig. Ein Schuss trifft die Polizistin in den Kopf. Ein Schuss trifft einen Rumänen, ein weiterer Schuss einen Deutschen. Beide Männer sind Passanten, die aus dem Nichts in den Arm beziehungsweise ins Bein geschossen werden. "Nach derzeitigem Ermittlungsstand gehen wir davon aus, dass die Schüsse von dem Mann abgegeben wurden, der dem Polizisten die Dienstwaffe entwendet hat", sagt da Gloria Martins.

Ein weiterer Schuss – vermutlich abgefeuert von der Polizistin – trifft den Täter am Gesäß. "Es ist noch zu früh, um sagen zu können, wer wann wie geschossen hat", sagt der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä. Der schwer verletzte Täter war am Abend noch nicht vernehmungsfähig.

Ein Zeuge erzählt, dass sich die Passagiere während des Schusswechsels in der S-Bahn in Todesangst auf den Boden gelegt und an den Händen gehalten haben. Der Täter schoss das Magazin leer.

Nach AZ-Informationen handelt es sich beim Täter um den 37-jährigen Alexander B. aus Oberbayern. Als er 2014 wegen geringer Menge Cannabis bei der Polizei aktenkundig wurde, gab er als Beruf Elektriker an. Wegen Geringfügigkeit wurde dieses Verfahren eingestellt.

Einen Wohnsitz in Deutschland hat der 37-Jährige derzeit nicht. "Was nicht bedeutet, dass er obdachlos sein muss. Er ist derzeit nur nicht bei den deutschen Behörden gemeldet", sagt da Gloria Martins. Vernommen werden konnte der Mann am Dienstag nicht, weil er operiert wurde. Er ist zwar schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt.

Über Stunden liegt die Polizistin im OP

Währenddessen kämpft die Polizistin um ihr Leben. Die Operation dauert mehrere Stunden. Ob und wie sie überleben wird, ist nicht gewiss. "Unsere Gedanken und gute Wünsche sind bei unserer Kollegin. Wir hoffen, beten und bangen für sie", sagt der Polizeipräsident. Am Abend ist ihr Zustand weiterhin kritisch, Entwarnung gibt es nicht.

Der Täter flieht nach den Schüssen Richtung Süden zum Gebäude der nahen Allianz. Zwei Bundespolizisten, die während des Schusswechsels hinzukommen, verfolgen den Mann. "Er war verletzt und nicht sehr mobil", sagt da Gloria Martins. Als die Bundespolizisten ihn stellen, lässt er sich ohne Gegenwehr festnehmen.

200 Einsatzkräfte, darunter auch das SEK, rücken an, sperren den Bahnhof Unterföhring ab und bringen über 200 Fahrgäste aus der S-Bahn in eine sogenannte Zeugensammelstelle. "Dort werden sie psychologisch betreut und später auch befragt. Wir leisten hier akribische Kleinstarbeit", sagt da Gloria Martins und verweist auf die Arbeit der Spurensicherung, die bis zum späten Nachmittag andauerte.

Wie der Mann die zweifach gesicherte Waffe aus dem gesicherten Holster nehmen und abfeuern konnte, ist Gegenstand der Ermittlung des Landeskriminalamtes. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes – wenn die lebensgefährlich verletzte Polizistin überlebt.


Wegen der steigenden Gewalt will die Bundesregierung die Gesetze ändern. Quelle: imago

Spucken, schlagen, pöbeln: Gewalt gegen bayerische Polizeibeamte nimmt zu. Das belegen Zahlen des Staatsministeriums. Denen zufolge wurden im Jahr 2015 insgesamt 14 928 Polizisten und Rettungskräfte in Bayern angegriffen, Im Jahr zuvor waren es noch 14.531 Fälle.

Bei den Übergriffen handelt es sich bei rund 41 Prozent um Beleidigungen, 30 Prozent waren Körperverletzungen und 19 Prozent Widerstände gegen Vollzugsbeamte. Besonders erschreckend: In der Statistik tauchen auch acht versuchte Tötungsdelikte auf.

Bundesweit wurden im Jahr 2015 insgesamt 64.371 Polizeibeamte im Dienst Opfer einer Straftat – über 5.300 mehr als noch im Jahr 2013.

Zahlen für das Jahr 2016 liegen noch nicht vor, das Innenministerium rechnet aber mit einem weiteren Anstieg der Gewalt. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich Mitte Oktober vergangenen Jahres: In Georgensgmünd (Landkreis Roth) schoss ein Anhänger der Reichsbürger-Bewegung auf Polizisten. Dabei tötete er einen 32-jährigen Beamten und verletzte einen weiteren.

Wegen der zunehmenden Gewalt beschloss die Bundesregierung Anfang des Jahres einen Gesetzesentwurf, der die Einsatzkräfte künftig besser schützen soll. Darin vorgesehen ist eine Mindeststrafe von drei Monaten für Angriffe auf Polizisten. Bisher konnten derartige Taten auch mit Geldstrafen geahndet werden.

Die Gesetzesnovellierung sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, findet auch die Polizeigewerkschaft. "Aber es gibt noch immer viel zu tun. Jeder verletzte Kollege ist einer zu viel", so Sven Hüber, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft in der Bundespolizei.


So ist die Dienstwaffe im Holster gesichert. Quelle: dpa

Wie können Waffen besser gesichert werden? Diese Frage stellt sich nach tragischen Vorfällen, wie dem in Unterföhring. Einzelne Hersteller arbeiten bereits an sogenannten „Smart Guns“, die im Deutschen auch als Signaturwaffen bezeichnet werden.

Dabei handelt es sich um Schusswaffen, die nur von einer autorisierten Person abgefeuert werden können. Sichergestellt wird das zum Beispiel mit einem Fingerabdruck-Scanner oder einer speziellen Uhr am Handgelenk des Besitzers. Nur, wenn die Waffe Funkkontakt zu der Uhr herstellen kann, löst sie aus. Der Haken der Signaturwaffen: Serienreif und somit auch für die Polizei attraktiv sind sie derzeit noch nicht.

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