Paar wartet über ein Jahr: Einblick in ein Münchner Behördenchaos
München – Völlig frustriert und sauer waren Gunnar Altendorf und seine Frau Saowaluck nach diesem ewig langen Hin und Her mit der Münchner Ausländerbehörde – die seit letztem Jahr Servicestelle für Zuwanderung und Einbürgerung (SZE) heißt. Darum haben sie sich mit ihren Erlebnissen an die AZ gewendet.
Eigentlich war alles da für Saowaluck, die Frau von Gunnar Altendorf. Alle Dokumente, alle rechtlichen Voraussetzungen. Sie stammt aus Thailand, seit 2021 lebt sie mit ihrem Ehemann in München. Sie hat einen Job und möchte statt einer Aufenthalts- eine dauerhafte Niederlassungsbewilligung – und eigentlich möchte sich auch gerne einbürgern lassen.
Altendorf ist selbst Beamter
Die Probleme aber beginnen im Januar 2024, also vor mehr als einem Jahr, mit dem Antrag für eine Niederlassungsbewilligung bei der SZE des Kreisverwaltungsreferats (KVR). Von Anfang an war dem Ehepaar klar – Gunnar Altendorf ist selber Beamter und weiß darum auch, wie Bürokratie funktioniert –, dass sie sich frühzeitig um neue Aufenthaltstitel bemühen müssen.
Dass daraus aber so eine Odyssee werden würde, wegen der Saowaluck auch ihren Job verliert und ihr Bankkonto mehrfach gesperrt wird, damit haben die beiden nicht gerechnet. "Es war wie ein Kampf gegen Windmühlen", erzählt Gunnar Altendorf. "Wir haben die Behörde immer wieder angeschrieben, angerufen, wir hingen in Warte-Hotlines."
Übergangsdokument im PDF-Format
Antworten zum aktuellen Stand gab es keine. "Wenn meine Frau angerufen hat, haben sie einfach aufgelegt oder es kam gar keine Antwort", sagt Gunnar Altendorf.
Statt dem dringend benötigten Dokument erhalten Antragsteller in München eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, ein Übergangsdokument. Das gibt es auch sofort als PDF-Datei zum Herunterladen – und sollte "für ihren Gültigkeitszeitraum die gleiche Wirkung wie der Aufenthaltstitel" haben, so KVR-Sprecherin Beate Winterer auf AZ-Anfrage.
Arbeitgeber und Bank akzeptieren Bescheinigung nicht
In der Realität sieht das aber offenbar oft anders aus, das mussten auch die Altendorfs erfahren. Weder der Arbeitgeber noch die Bank haben die Fiktionsbescheinigung akzeptiert. Und: Auch außer Landes darf man damit nicht. "Das tägliche Leben war nicht weiter möglich", sagt Gunnar Altendorf im Gespräch mit der AZ.
Nach etwas mehr als einem Jahr erfolglosen Versuchens, ihre Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, entschieden sich die Altendorfs, eine Rechtsanwältin einzuschalten. Andelka Husnjak hat ihr Büro einen Steinwurf weg vom KVR, hat selber schon in der Ausländerbehörde gearbeitet und viele Jahre Erfahrung in Ausländerrecht – sie hat von den Altendorfs die Erlaubnis bekommen, mit der AZ über ihren Fall zu sprechen.
Suchen Hilfe bei der Anwältin: "vom hochqualifizierten Wissenschaftler bis zum Bauarbeiter"
"Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen in solchen existenziellen Unsicherheiten gelassen werden, obwohl sie ihren Mitwirkungspflichten vollständig und fristgerecht nachgekommen sind", sagt Husnjak dazu. Quasi täglich kämen verzweifelte Menschen zu ihr, die nicht mehr weiter wissen, "vom hochqualifizierten Wissenschaftler bis zum Bauarbeiter", sagt Husnjak.
"Die psychische Belastung durch monatelange Unsicherheit, gepaart mit bürokratischer Intransparenz, ist enorm", sagt sie.
Immerhin schafft es dann die Rechtsanwältin, dass sich die Angelegenheit für die Altendorfs sehr schnell löst: Innerhalb von zehn Tagen erhält Saowaluck Altendorf ihren Aufenthaltstitel. Allerdings nicht über ihre Anwältin, wie es eigentlich sein sollte, sondern direkt vom SZE.

Das sogenannte Umgehungsverbot wurde offenbar missachtet von der Servicestelle für Zuwanderung und Einbürgerung. Es sei zwar nicht möglich, konkret dazu Stellung zu nehmen, weil das KVR den Einzelfall nicht kenne.
Aber: "Die Mitarbeitenden der SZE werden regelmäßig dafür sensibilisiert, dass im Falle einer bestehenden anwaltlichen Vertretung die Kommunikation ausschließlich über Rechtsanwält*innen zu erfolgen hat", so KVR-Sprecherin Beate Winterer.
Mitte März erhält Altendorf die Karte
In einer Entschuldigungsemail der Rechtsvertretung der SZE an die Anwältin heißt es, man habe "im betreffenden Sachgebiet nochmal auf die Vorgehensweise und die ordnungsgemäße Kommunikation mit Rechtsanwälten hingewiesen". Dennoch: die Altendorfs staunten nicht schlecht, als die lang ersehnte Plastikkarte, die Niederlassungsbewilligung, Mitte März dann plötzlich da war. Das Ausstelldatum auf der Karte: 24. April 2024.
Lag die Karte etwa fast ein Jahr in der Behörde in der Schublade? Das ist nicht genau nachvollziehbar, das KVR sagt aber: Die SZE veranlasse nach finaler Prüfung die Bestellung des Aufenthaltstitels bei der Bundesdruckerei. "Dies nimmt einige Wochen in Anspruch, sodass das Ausstellungsdatum nie dem Ausgabedatum entspricht, so wie etwa bei der Passbestellung auch", so KVR-Sprecherin Beate Winterer.
1200 Euro Anwaltskosten für das Paar
Für die Altendorfs ist die stressige Zeit mit dem Erhalt der Plastikkarte zwar Mitte März vorbei. Aber es blieb die Wut: "Wenn man sieht, dass andere Leute mit Schmiergeld weiterkommen, während wir es auf ehrlichem Weg versuchen", sagt Gunnar Altendorf. "Erst recht, wenn ich vom KVR eine billige Ausrede bekomme und ich als dumm dargestellt werde, wenn ich mir einen Rechtsanwalt hole." 1200 Euro habe sie das gekostet.
Auch ein Arbeitskollege von Gunnar Altendorf, der zufällig beim Gespräch mit der AZ vorbeiläuft, pflichtet bei. Er habe genau das Gleiche erlebt, bei ihm habe es immerhin nur ein halbes Jahr gedauert.

Was sich am Beispiel von Saowaluck und Gunnar Altendorf ganz extrem zeigt, scheint ein grundsätzliches, strukturelles Problem zu sein. "Es handelt sich längst nicht mehr um Einzelfälle – es ist zur alltäglichen Realität geworden", sagt die Rechtsanwältin Andelka Husnjak. "Es gibt zu wenig Personal, viele neue Mitarbeitende werden unzureichend eingearbeitet, und es werden immer mehr fachfremde Kräfte eingesetzt, die keine tiefgehende Kenntnis des Aufenthaltsrechts haben", kritisiert die Expertin.
Was dann bei den Antragstellern ankommt: Ein Servicetelefon, bei dem "wird regelmäßig einfach aufgelegt", sagt Husnjak. "Grundlegende administrative Abläufe funktionieren nicht, Anträge verschwinden, Unterlagen werden nicht bearbeitet, Aufenthaltstitel liegen in der Behörde und werden nicht verschickt."
Offizielles Dokument – mit Kaffeeflecken
Sie hatte sogar schon einen Fall, bei dem ein offizielles Dokument aus der Behörde mit Kaffeeflecken darauf ausgehändigt worden ist. Der Fall sei dem KVR bekannt, bestätigt die Sprecherin Beate Winterer. "Die auffällige Form der Flecken lässt aber darauf schließen, dass diese nicht in der zentralen Dokumentenausgabe entstanden sind", so Winterer.
Man sei mit der anwaltschaftlichen Vertretung im Austausch dazu. Aber das ist nur ein kleines, wenn auch vielsagendes Beispiel.
Es weist darauf hin, was strukturell im Argen liegt in der Behörde. Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: 429 Stellen sind in der SZE aktuell besetzt, ganze 88 nicht. "Die meisten sind direkt oder indirekt mit der Erteilung von Aufenthaltstiteln befasst", erklärt KVR-Sprecherin Winterer.
Pro Monat etwa 6000 Aufenthaltstitel
Seit 2020 ist die Zahl der zugewanderten Personen, die einen Aufenthaltstitel benötigen, laut KVR um 23 Prozent gestiegen. Aktuell seien es 282.000 Menschen. Pro Monat sind es laut KVR durchschnittlich 6000 Aufenthaltstitel, die beantragt und ausgehändigt werden.
Das bedeutet einiges an Mehrarbeit für die Angestellten der SZE, und der städtische Spardruck hat direkte Auswirkungen auf die Behörde: "Die aktuelle Haushaltslage, verbunden mit dem städtischen Einstellungsstopp, macht es erforderlich, dass alle Mitarbeitenden mehr Anträge bearbeiten und die Bearbeitungszeiten sich verlängern."
"Diese Menschen tragen unser Land mit"
Die Leidtragenden sind dann Menschen wie Saowaluck Altendorf und ihr Mann. Oder wie ihre Anwältin Andelka Husnjak es ausdrückt: Wenn all diese Menschen auch nur einen Tag streiken würden, würde sichtbar, wie sehr unsere Gesellschaft auf sie angewiesen ist. "Diese Menschen tragen unser Land mit – und verdienen eine Verwaltung, die ihnen mit Respekt, Professionalität und Effizienz begegnet."
ÖDP mit Anfrage im Stadtrat: "Betroffene brauchen endlich Verlässlichkeit"
Am Dienstag (22.4.) reagiert die Fraktion der ÖDP/München Liste im Stadtrat auf die AZ-Berichterstattung über die Missstände mit einer Anfrage. „Durch Bürokratie und Personalmangel gerät das Leben von Menschen ins Wanken, die alles tun, um in München Fuß fassen zu dürfen“, so die Kritik von ÖDP-Stadträtin Sonja Haider. „Die Betroffenen brauchen endlich Verlässlichkeit.“
Die ÖDP/ML will nun von der Stadt genauer wissen, wie die Situation in der Servicestelle für Zuwanderung und Einbürgerung aussieht und fragt auch, welche Maßnahmen die Stadt ergreifen wird. Die ÖDP fragt, ob zum Beispiel eine zentrale Beschwerdestelle eingeführt wird oder ob die Möglichkeit geschaffen wird, den Fortschritt der Antragsbearbeitung digital nachzuverfolgen.
Auch für die Mitarbeiter der Behörde hat die ÖDP Forderungen: „Sie leisten unter hohem Druck enorm viel und verdienen endlich bessere Arbeitsbedingungen, gezielte Schulungen und personelle Entlastungen“, so Sonja Haider in einer Mitteilung.
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