„Unerklärlich, unverantwortlich“: OB Ude im AZ-Interview

Filz-Vorwürfe gegen Rot-Grün: Im AZ-Interview plädiert Münchens Oberbürgermeister Christian Ude für „parteipolitische Enthaltsamkeit“.
von  Abendzeitung
OB Christian Ude im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Georg Thanscheidt (rechts) und Willi Bock.
OB Christian Ude im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Georg Thanscheidt (rechts) und Willi Bock. © Gregor Feindt

MÜNCHEN - Filz-Vorwürfe gegen Rot-Grün: Im AZ-Interview plädiert Münchens Oberbürgermeister Christian Ude für „parteipolitische Enthaltsamkeit“.

Herr Ude, innerhalb einer Woche wurden drei Klinikgeschäftsführer gefeuert, in zwei Kliniken Operationssäle geschlossen und die Gewofag-Chefin entlassen. Ist das Rathaus ein Tollhaus geworden?

Ich habe den Eindruck, dass die Medienresonanz auf einen in der Tat schlimmen Vorgang geradezu hysterisch ist. Das Krisenmanagement war blitzschnell und scharf. Kein Mensch hatte einen schnelleren Vorschlag einbringen können, und es ist keinerlei Rücksichtnahme auf politische Mitgliedschaften genommen worden. Der Vorgang bei der Gewofag liegt Jahre zurück, hat nichts mit der Gewofag zu tun und kam zufällig jetzt in diesen Tagen durch ein Gerichtsurteil auf den Tisch. Der Eindruck, dass die Stadtpolitik aus dem Ruder laufen würde, ist vollkommen unangebracht.

Es geht um die Gesundheit von Patienten, und Sie reden von Hysterie?

Dass der Hygiene-Skandal jede Aufmerksamkeit und Konsequenz erfordert, das ist völlig selbstverständlich. Mit Hysterie meine ich die Versuche, aus schweren Verfehlungen in einem Krankenhaus politische Krisen ableiten zu wollen, die mit dem Sachverhalt nicht zu begründen sind.

Aber der Schaden für die Kliniken und die Politik ist enorm.

Das habe ich sofort erkannt, als ich die erste Mitteilung erhalten habe. Als ich von den Vorfällen erfuhr, hat es keine zwei Stunden gedauert, bis ich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet habe. Das ist wohlgemerkt die schärfste Reaktion, weil man dadurch die Strafverfolgung in Gang setzt. Ich würde gerne wissen, in welcher Stadt auf einen Missstand schneller reagiert wird.

Schnell? Freitags hat der Aufsichtsrat vom Skandal erfahren, am Montag Sie und erst Mittwoch kam das Gesundheitsamt und hat die Operationssäle geschlossen.

Die Aufsichtsbehörde ist mit der größtmöglichen Geschwindigkeit vorgegangen. Der Skandal, den ich überhaupt nicht schönfärben will und dessen rückhaltlose Aufklärung ich fordere, liegt darin, dass sich die Chefärzte im Juli 2009 beschwert haben und dass bis Juli 2010 von der Geschäftsführung nichts Ausreichendes und Befriedigendes geschehen ist.

Es gibt Leute, die etwas wussten, die sind gefeuert. Und es gibt Leute, die etwas hätten wissen müssen - wie der Aufsichtsrat. Die sind noch da.

Es ist wirklich eine absurde Annahme, dass ein Aufsichtsrat für das verantwortlich ist, was ihm nicht zur Kenntnis gelangt. Für das operative Geschäft ist bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Geschäftsführung zuständig. Der Aufsichtsrat kann nur Informationen prüfen, die er erhält oder einholen muss. Er ist nicht fürs operative Geschäft zuständig und nicht für Aufgaben der Aufsichtsbehörde.

Doch der Betriebsratsvorsitzende des Klinikums Neuperlach, wo es am schlimmsten gewesen sein soll, sitzt auch im Aufsichtsrat.

Jetzt sind wir bei einem Einzelmitglied, das Kenntnisse gehabt haben soll. Ich habe die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, damit von einer Strafverfolgungsbehörde ermittelt wird, ob jemand schuldhaft und vielleicht in strafrechtlich relevanter Weise seine Pflichten verletzt hat.

Hier hat doch das Alarmsystem versagt.

Natürlich gibt es hier Versäumnisse, die unerklärlich und unverantwortlich sind. Das beginnt ohne Frage bei der Geschäftsführung, die nachweislich ihrer eigenen Protokolle Kenntnis hatte und keine ausreichenden Schritte unternahm. Den drei Verantwortlichen ist blitzschnell fristlos gekündigt werden.

Neben der strafrechtlichen gibt es auch die politische Verantwortung – und Bürgermeister Hep Monatzeder sitzt auch im Aufsichtsrat...

Dort sind 16 Leute! Sollen die alle zurücktreten? Auch politische Verantwortung setzt voraus, dass man etwas hätte anders machen können und sich eine Fahrlässigkeit oder eine politisch unrichtige Entscheidung anlasten muss. Hep Monatzeder hat einen Werktag vor mir Kenntnis erlangt. Er hat das Gutachten auch erst am Montag erhalten. Und es sind binnen weniger Stunden Konsequenzen gezogen worden. Ich weiß wirklich nicht, wie das Krisenmanagement schneller, objektiver und effizienter hätte sein sollen.

Nochmal: Ist der Aufsichtsrat seiner Aufgabe, der Aufsicht, nicht nachgekommen?

Davon kann überhaupt keine Rede sein. Da könnte ich ja auch sagen, die Presse, die ein Wächteramt in der Demokratie hat, ist ein Jahr lang ihrer Wächteraufgabe nicht nachgekommen, weil keine Zeitung über diesen Missstand berichtet hat. Die einzige Entschuldigung, die die Presse dafür hat, ist, dass sie von keinem Chefarzt, von keinem medizinischen Hilfspersonal, von niemand sonst Informationen bekommen hat. Genauso ist es für den Aufsichtsrat. Wir diskutieren bei der Landesbank doch auch nicht, ob der Aufsichtsrat für jede falsche Kreditentscheidung eines Sachbearbeiters verantwortlich ist. Das ist er natürlich nicht.

Aber die SPD nimmt Ex-Finanzminister Faltlhauser (CSU) dafür trotzdem in die Verantwortung.

Aber natürlich: Weil der Verwaltungsrat die Entscheidung getroffen hat, die zum Milliardenschaden wurde. Selbstverständlich ist ein Kontrollgremium für die eigenen Beschlüsse verantwortlich.

Auf Landesebene fordert die SPD bei CSU-Skandalen Rücktritte. Nun trifft es in München die eigenen Leute. Da sind dann nur die Geschäftsführer schuld und das reicht?

Bei der Klinikum GmbH geht es um ein unverantwortliches Fehlverhalten von Geschäftsführern und wahrscheinlich auch anderen Beschäftigten im operativen Geschäft, von dem der Aufsichtsrat nichts wissen konnte.

Der Vorwurf lautet: Die Ämter wurden politisch besetzt.

Moment. Der Vorsitzende Manfred Greiner war vorher Leiter von zwei Münchner Kliniken und Leiter der AOK, also ein im Gesundheitswesen mit allen Wassern gewaschener Experte mit Managementerfahrung. Er hat leider sechs Jahre später versagt, was niemand vorhersehen konnte. Der ungekündigte Finanzvorstand Franz Hafner hat sich in einem Assessmentverfahren als parteiloser Bewerber durchgesetzt. Bruno Wirnitzer ist als Arbeitsdirektor von der Arbeitnehmerseite vorgeschlagen worden – das will der Gesetzgeber mit Recht so. Reinhard Fuß ist der einzige, wo man die fehlende Klinikerfahrung rügen kann. Aber er ist für Strategie und Planung zuständig gewesen, nicht für klinische Aufgaben. Die kamen erst später dazu – leider.

Sie haben ihn doch 2004 gewählt – obwohl Sie gesagt haben, er müsse noch lernen.

Ja, diese Situation haben wir häufig, dass ein Bewerber nicht alle Anforderungen optimal erfüllt.

Wie bitte? Sie stellen jemanden für 150 000 Euro im Jahr ein, damit er lernen kann?

Es ging in seiner Funktion um Unternehmensplanung und Strategie. Dafür war er qualifiziert. Doch fehlte ihm klinische Erfahrung, die er schnell hätte erwerben können.

Jetzt reden Sie sich Herrn Fuß, sein Versagen und Ihre Rolle dabei schön.

Ich rede ihn nicht schön. Er hat in unverantwortlicher Weise ein Jahr lang versagt und dadurch der Klinik GmbH schweren Schaden zugefügt. Der Imageschaden wird uns noch lange nachhängen. Aber das geschah sechs Jahre nach dem Stadtratsbeschluss, der mit den Stimmen der FDP gefasst wurde. Besonders befremdlich finde ich, dass die CSU von Parteibuchwirtschaft spricht, die in derselben Sitzung ein CSU-Fraktionsmitglied für die Konzernleitung vorgeschlagen hat...

... eine Krankenschwester. Aber genau das ist es doch, was die Leute verdrießt, dass diese Posten nach Parteibuch besetzt werden.

Ein Parteibuch darf kein Vorteil sein, aber auch kein Nachteil und kein K.O.-Kriterium. Ich wünsche mir Menschen, die sich für die Demokratie engagieren, auch in politischen Parteien. Doch eine Parteizugehörigkeit darf zu keinem Berufs- oder Karriereverbot führen. Ich wehre mich dagegen, dass jeder, der einer politischen Partei beigetreten ist, schon deshalb für unfähig gehalten wird. Es darf die Mitgliedschaft die Qualifikation nicht ersetzen, aber die Mitgliedschaft schließt eine Qualifikation auch nicht aus. Ich habe in der Wohnungswirtschaft zwei CSU-Geschäftsführer gehabt, mit denen ich glänzend zusammengearbeitet habe. Und der sozialdemokratische Geschäftsführer der Stadtwerke ist als Energie-Manager des Jahres 2009 eine bundesweit respektierte Unternehmerpersönlichkeit.

Die Stadtwerke kann man einem Sozialdemokraten also anvertrauen. Aber vielleicht sollte Rot-Grün die Finger von den Kliniken lassen?

Die Schlussfolgerung, dass im Bereich der Kliniken die größtmögliche parteipolitische Enthaltsamkeit angesagt ist, die würde ich unterschreiben.

Ein früherer Mitarbeiter des Münchner SPD-Chefs Ulrich Pfaffmanns bekam ohne Ausschreibung den Chefposten beim Blutspendedienst.

Ulrich Pfaffmann hat versichert, mit der Beförderung nichts zu tun gehabt zu haben. Bis jetzt ist doch alles nur finstere Andeutung. Soll etwa in Zukunft nicht nur die Mitgliedschaft in der SPD beruflichen Aufstieg verhindern, sondern auch die Bekanntschaft mit SPD-Politikern?

Moment mal! Bei der Parteibuchdichte im Rathaus würden Sie – wenn’s um die CSU ginge – auch von Filz reden.

Das bayerische Gewohnheitsrecht, wonach man nur mit einem CSU-Parteibuch im öffentlichen Dienst und in öffentlichen Unternehmen Karriere machen kann, gilt in der Tat im Rathaus nicht; hier gibt es auch Aufstiegschancen für Bewerber, die politisch so denken wie die Münchner Bevölkerungsmehrheit.

Wollen Sie sagen: Rot-Grün hat es als einzige langjährige Regierung geschafft, dass sich in 20 Jahren kein Filz bildet?

Es gibt Einzelentscheidungen, die problematisiert werden können und müssen, wenn ein Amtsinhaber versagt. Das sehe ich im Klinikum als gegeben an, und dafür bekommen wir im Moment auch Prügel, und diese Prügel sind nicht von vorneherein und in vollem Umfang ungerechtfertigt.

Sie haben mal gesagt, 15 Jahre Helmut Kohl sind genug – sie sind nun im 18. Jahr OB.

Ich bin nicht Helmut Kohl. Meine erneute Kandidatur war ein Wunsch der SPD und der Bevölkerungsmehrheit. Übrigens werden die 20 Jahre Rot-Grün von der Bevölkerung so bewertet, dass 70 Prozent zufrieden sind. Das angebliche Erfolgsmodell Schwarz-Grün hat in Hamburg gerade erst Schiffbruch erlitten.

Interview: Willi Bock, Georg Thanscheidt

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