Umwelthilfe enthüllt Verweigerung der Politik beim Diesel-Fahrverbot in München: "Bleibt nur der aktive Widerstand"

Seit 2016 empfahl die Verwaltung ein Diesel-Fahrverbot in München. Die Politik stemmte sich mit allen Mitteln dagegen.
von  Jan Krattiger
Ein Schild mit der Aufschrift "Umwelt Zone" und "Diesel (außer Lieferverkehr und Anwohner) erst ab Euro 5/V frei" steht an einer Zufahrt zur Landshuter Allee.
Ein Schild mit der Aufschrift "Umwelt Zone" und "Diesel (außer Lieferverkehr und Anwohner) erst ab Euro 5/V frei" steht an einer Zufahrt zur Landshuter Allee. © Sven Hoppe/dpa

München - Lange hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) für die rund 150.000 Seiten Dokumente streiten müssen, die sie am Mittwoch der Presse in Auszügen vorgestellt hat. Es sind Akten der Regierung von Oberbayern aus den Jahren 2016 bis 2019 zum Ringen um das Diesel-Fahrverbot, respektive um saubere Luft in München.

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. © dpa

"In keiner Stadt in Deutschland kämpfen wir so lange und so intensiv um saubere Luft", sagt der Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch bei der Vorstellung der Dokumente. In 39 Städten werde mittlerweile der Grenzwert eingehalten, nur in einer nicht. "München hat sich noch stärker gewehrt als die Mercedes-Metropole Stuttgart", so Resch.

"Bleibt nur der aktive Widerstand": Wie Beamte für saubere Luft in München kämpften

Was die Umwelthilfe nun anhand dieser Dokumente herausarbeitet, ist ein klares Bild: Seit Jahren versuchen die Mitarbeiter der Fachabteilungen ihren politischen Chefs und Entscheidern klarzumachen, dass ein Diesel-Fahrverbot innerhalb des Mittleren Rings die geeignete Maßnahme wäre, um die Stickstoffdioxid-Werte in der Luft unter den Grenzwert zu drücken. Und sie weisen darauf hin, dass das Verwaltungsgericht genau das auch verlangt. Seit 2016 liegen entsprechende Konzepte vor, wie das umgesetzt werden könnte.

Ein Dokument aus dem Jahr 2016 aus der Verwaltung: Bereits da empfehlen die Experten ein Diesel-Fahrverbot für den Ring.
Ein Dokument aus dem Jahr 2016 aus der Verwaltung: Bereits da empfehlen die Experten ein Diesel-Fahrverbot für den Ring.

Doch die Politik weigert sich grundsätzlich, ein Dieselfahrverbot umzusetzen, nimmt sogar 2017 gerichtlich verordnete Zwangsgelder in Kauf. Im Dezember 2018 findet ein Beamter des Bayerischen Landesamts für Umwelt schließlich sehr klare Worte: Es mute "seltsam an, wenn die Fakten ständig in Frage gestellt werden", die auch in aufwendigen Gerichtsprozessen deutschlandweit in anderen Städten in Entscheiden für Fahrverbote endeten.

Der Beamte gibt sich in der E-Mail sichtlich besorgt um eine möglicherweise drohende Zwangshaft, wenn der Freistaat die gerichtlich angeordneten Maßnahmen nicht umsetzt. Es bleibe aus seiner Sicht "nur der aktive Widerstand".

"Kenne ich sonst nur aus populistischen Staaten": Umwelthilfe-Anwalt kritisiert Regierung scharf

Das ganze sei nicht eine "kleine skandalöse Geschichte", sondern " einzigartig in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik", sagt DUH-Anwalt Remo Klinger. Es sei ein Zeichen, das er sonst nur aus populistischen Staaten kenne: "Wenn die Politik denkt, sie ist dem Recht übergeordnet und nicht andersherum".

Die Rolle der Landeshauptstadt und des Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) wird in den Dokumenten nur gestreift, sie war auch nicht verantwortlich dafür. Trotzdem zeigen vorliegende Akten, laut der Umwelthilfe, dass die Stadtpolitik am gleichen Strang gezogen hat wie der Freistaat: Dass grundsätzlich keine Fahrverbote kommen sollen. Zum Beispiel zeigt ein Schreiben vom Januar 2017, dass die Regierung von Oberbayern und der OB in einem Gespräch im November 2016 die "gemeinsame Rechtsauffassung" festgehalten haben, dass ein Diesel-Fahrverbot rechtlich nicht zulässig sei.

2017: Es herrscht Einigkeit, dass es kein Fahrverbot geben dürfe.
2017: Es herrscht Einigkeit, dass es kein Fahrverbot geben dürfe.

Aus Perspektive der DUH hat sich diese Haltung bis heute durchgezogen, auch wenn 2021 die Verantwortung für die saubere Luft vom Freistaat an die Kommunen ging, hier konkret also an die Landeshauptstadt. Die hat dann alle Maßnahmen überprüft und das Fahrverbot ausgearbeitet. Auch das sieht die DUH kritisch.

"Verfahren mit der Landeshauptstadt München ist eine Farce": Umwelthilfe zum Diesel-Fahrverbot

Es habe erst das "rechtsstaatliche Trauerspiel mit dem Freistaat" gegeben, sagt DUH-Anwalt Klinger. Jetzt trifft sich die Umwelthilfe am Donnerstag mit der Stadt vor Gericht: "Das Verfahren mit der Landeshauptstadt München ist nun die Farce", so Klinger. Man habe sich in einem Kompromiss auf eine stufenweise Einführung des Diesel-Fahrverbots geeinigt – das trat im Februar 2023 in Kraft.

Obwohl die Schadstoffwerte es nicht hergaben, hat sich der Stadtrat mit großer Mehrheit vergangenen September dazu entschieden, die zweite Stufe des Fahrverbots nicht einzuführen. Ob sie doch kommt, entscheidet nun das Gericht.

Der OB möchte sich auf AZ-Anfrage nicht zum Verfahren äußern: "Zu möglichen Maßnahmen werde ich mich erst äußern, wenn das Urteil des Gerichts vorliegt und bewertet ist", so Reiter.

Der Zweite Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) findet zu den DUH-Enthüllungen deutliche Worte: "Jahrelang hat die Staatsregierung bis hinauf zum aktuellen Justizminister behauptet, Diesel-Fahrverbote seien unnötig und rechtswidrig. Die Auswertung der Dokumente zeigt: Das war gelogen", so Dominik Krause. Die Staatsregierung habe so nicht nur "die Gesundheitsgefährdung Zehntausender Münchner billigend in Kauf genommen, sondern vorsätzlich Recht gebrochen und neutrale staatliche Behörden auf Linie gezwungen".

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