Umstrittene WM in Katar: Münchner Wirte im Zwiespalt
München - Volle Biergärten, Zehntausende vor den Leinwänden im Olympiastadion oder auf der Theresienwiese – schon die ungewohnte Winterjahreszeit hat von Anfang an unwahrscheinlich gemacht, dass es zu den gewohnten Münchner WM-Bildern kommt.
Riesengroßes Rudelschauen ist tatsächlich gar keins angekündigt in der Stadt – zumindest bisher. Die kalte Jahreszeit, die Vorwürfe der Korruption gegen die Fifa und Ausbeutung der Arbeiter vor Ort in Katar haben auch einige ganz normale Münchner Wirte schon im Vorfeld zu der Entscheidung veranlasst, in ihren Lokalen keine Fußball-WM-Spiele zu zeigen.
Im Park Café gibt es heuer keine Fußball-WM
"Die ganze Sache ist an Schwachsinn nicht zu überbieten", sagt Christian Lehner zur AZ, "am dritten Advent sollte Glühwein im Vordergrund stehen und nicht Sierra madre! Soll ich etwa eine Deutschlandfahne über den Christbaum hängen?". Der Wirt des Park Cafés hat eigentlich immer Fußball übertragen, und zwar gerne, wie er beteuert. "Aber das lebt vom schönen Wetter. So viel Glühwein kann ich gar nicht ausschenken, dass die Leute nicht erfrieren."
Im Außenbereich des Park Cafés steht eine Eisstockbahn. Da hat er gar keinen Platz für Fußball-Fans. "Der FC Bayern hat einen tollen Sponsor mit Katar Airways", sagt Lehner mit sarkastischen Unterton, "aber ich habe keinen Sponsor. Ich muss für mich rechnen – und morgens in den Spiegel schauen und sagen können: passt scho."
Eine solch harte Linie können sich nicht alle leisten. Das Sax im Glockenbachviertel ist eine klassische Fußballkneipe – ohne Eisstockbahn. "Wir leben von und mit dem Fußball", sagt Betreiber Friedl Bulach ganz klar. "Wir müssen unsere Miete bezahlen und unsere Mitarbeiter müssen das auch."

Das Sax zeigt alle Spiele – wenn auch zu ungewohnter Tageszeit
Die Fixkosten des Lokals schnellen gerade in die Höhe. Im Januar rechnet Bulach mit einer dreifachen Gasrechnung, noch dazu macht ihm eine Mieterhöhung zu schaffen. "Natürlich ist es eine Katastrophe, was in Katar passiert. Aber ich habe auch eine soziale Verantwortung meinen Mitarbeitern gegenüber", so Bulach. Und deshalb können sich Fußballfans im Sax wie gewohnt alle WM-Spiele anschauen. "Die Spielzeiten sind zwar nicht ideal, aber wir zeigen die Spiele trotzdem."
Auch das "Stadion an der Schleißheimer Straße" lebt vom Fußball. Dort hat man sich ebenfalls entschieden, alle WM-Spiele zu zeigen. Die beiden Betreiber Holger Britzius und Michael Michel Jachan haben sich die Entscheidung aber nicht leicht gemacht.
"Der Hauptgrund ist, und da sind wir komplett ehrlich, wir können es uns nicht leisten, einen Monat dichtzumachen", sagten die beiden kürzlich in einem AZ-Interview. Die beiden seien aber durchaus im Zwiespalt gewesen. Darum ist ihnen eine kritische Beleuchtung wichtig. Die Zustände in Katar bezeichnen sie als absurd. In den letzten Tagen hat es im Stadion einige Veranstaltungen zum Thema Fußball im Nahen Osten gegeben.
Fußball auf Leinwand – und daneben eine Amnesty-Ausstellung
Auch das Backstage entzieht sich der Diskussion nicht. Unter der Überschrift "Hinschauen ist besser als Wegschauen", erklären die Betreiber auf Facebook, warum sie die WM nicht einfach boykottieren, wie sie es ursprünglich vorgehabt hätten.

Zum einen, weil das Backstage seit über 30 Jahren Fußball zeige und zum anderen, weil die kritische Auseinandersetzung von gesellschaftlichen Themen den Betreibern grundsätzlich ein Anliegen sei. "Für uns stellt sich die Frage, welche Vorgehensweise nützt dem Verhindern von Großereignissen in Ländern mit problematischer Menschenrechtslage, dem widerlichen und korrupten Vorgehen und Handeln von Sportverbänden (FIFA, IOC und Co.) sowie vor allem den Betroffenen und Opfern letztendlich am meisten?" heißt es auf der Internet-Plattform.
Deshalb zeige man eingeschränkt WM-Spiele – unter speziellen Bedingungen: Die Bühne werde auch genutzt, um auf die Probleme und Widerlichkeiten hinzuweisen. Bei den Übertragungen gibt es unter anderem eine Fotoausstellung von Amnesty International, kritische Dokumentationen, Info- und Diskussionsveranstaltungen.
Zweitens werden 20 Prozent von jedem Augustiner-Bier sowie über eine Spendenbox für Opferverbände und -organisationen gesammelt.
Georg Lemke: "Die aktuellen Berichte sind einfach im Hinterkopf"
Auch viele Innenstadtwirte haben Bauchschmerzen beim Gedanken an die Winter-WM. Für sie wird es auf einen Kompromiss hinauslaufen, wie etwa im Augustiner Klosterwirt von Gregor Lemke. Mehrere Aspekte gilt es zu bedenken, wie er der AZ erklärt.
Erstens das erwähnte jahreszeitliche Problem: "Kurze Hose und Trikot gehen nicht. Und in Parka und Moon Boots kommt keine Fußballstimmung auf." Zweitens passe Katar seinem moralischen Empfinden nach einfach nicht als Ausrichter eines Events, bei dem Frieden und Freude im Vordergrund stehen sollen. "Die aktuellen Berichte schwingen im Hinterkopf einfach immer mit", so Lemke.
Drittens stehen jetzt zahlreiche Weihnachtsfeiern an. Die Menschen wollen sich einfach nur gemütlich treffen. Fußball-Übertragungen würden da viele stören. "Wir müssen abwarten, was sich für eine Dynamik entwickelt." Wenn die deutsche Mannschaft gut spielt, werden die Deutschlandspiele in den meisten Innenstadtlokalen gezeigt.
Wie viele Münchner die WM tatsächlich schauen werden, bleibt abzuwarten
"Bei uns haben wir dafür einen Fernseher im Stehbereich in der Schwemme", so Lemke. Aber grundsätzlich bläst auch er ins kritische Horn: "Die Fifa bekleckert sich gerade nicht mit Ruhm. Es ist schon fragwürdig, was die da veranstalten."
Wie es die Münchner Fans halten, wird sich zeigen. Ob sich am Mittwoch um 14 Uhr tatsächlich so viele Menschen in Kneipen wie dem Sax einfinden, um der Nationalelf zuzujubeln – oder doch sehr viele den Boykott-Aufrufen folgen.