Wolf im Ebersberger Forst: Alle Schäfchen im Trockenen?

Ebersberger Forst - Es sind Bilder, die man so schnell nicht vergisst: Von einem Schaf ist nur noch die Wirbelsäule übrig, bei einem anderen hängen die Eingeweide und ein Fötus aus dem aufgeschlitzten Bauch. Immer wieder sorgen Wolfsrisse für große Aufregung.
Wölfe dürfen nur in Ausnahmefällen getötet werden
Drohen solche Bilder bald auch rund um Ebersberg? Dort wurden dem Landratsamt vor Weihnachten mehrere Sichtungen gemeldet. Bislang sind jedoch noch keine Risse bekannt geworden.
Erst seit 1998 gibt es überhaupt wieder Wölfe in Deutschland, davor waren die Tiere ausgerottet. Sie haben daher einen strengen Schutzstatus von der EU und dürfen grundsätzlich nicht getötet werden – außer in Ausnahmefällen.
Wie kompliziert sich das in der Praxis gestalten kann, zeigte der Fall des Chiemgauer "Problemwolfs" im vergangenen Winter. Dieser hatte mehrere Wochen lang Nutz- und Weidetiere in den Landkreisen Rosenheim, Traunstein und Berchtesgadener Land gerissen, teils ganz nahe an Wohnhäusern. Auf einem Handyvideo war zu sehen, wie das Tier die weihnachtlich dekorierte Hauptstraße im Ort Bergen entlang lief.
Der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch (CSU) stellte bereits nach den ersten Rissen einen Antrag auf Abschuss, in der Fachsprache "Entnahme" genannt. Doch die Anhörung von Experten, ob es sich bei dem Tier um einen "Problemwolf" mit gestörtem Verhalten handelte, dauerte. Zumal sich das Tier, für das Walch den Antrag gestellt hatte, nach der DNA-Analyse als ein anderes herausstellte.
Sage und schreibe knapp zwei Monate später kam die Regierung von Oberbayern zu einer Entscheidung. Das Tier durfte entnommen werden. Nur war GW2425m, wie der "Problemwolf" vom Landesamt für Umwelt (LfU) benannt wurde, zu diesem Zeitpunkt schon längst über alle Berge. Schließlich können die Tiere täglich mehr als 40 Kilometer zurücklegen.
Drei Tage nach der Entscheidung war GW2425m schon tot, jedoch nicht durch einen Abschuss – ein Auto hatte ihn in der Nähe von Brünn in Tschechien erfasst, Hunderte Kilometer vom Chiemgau entfernt. In Ebersberg geht man davon aus, dass der Wolf ebenfalls weitergezogen sei, weil bislang keine weiteren Sichtungen oder Risse gemeldet wurden, wie eine Sprecherin der AZ mitteilte.
Keine Unterstützung für den "Aktionsplan Wolf"
Der viel gerühmte "Aktionsplan Wolf" der Staatsregierung erweist sich in der Praxis aus Sicht vieler Landwirte als lahme Ente. Das kritisiert Stefan Köhler, Umweltpräsident des Bayerischen Bauernverbandes: "Anstatt bei Wolfsanwesenheit schnell im Sinne der Betroffenen und zum Wohl unserer Kulturlandschaft reagieren zu können, sieht der Aktionsplan komplexe Entscheidungsstrukturen vor, die weder eine schnelle Bestätigung eines Wolfes oder schnelle Handlungsoptionen noch Spielraum für die Betroffenen vor Ort ermöglichen."
Kritik kommt jedoch auch vonseiten der Naturschützer. Der Bund Naturschutz, der LBV und der WWF tragen den Aktionsplan Wolf ebenfalls nicht mit. Sie stören sich besonders am "Herdenschutz und den im Vergleich zu den anderen Bundesländern niedrigeren Schwellen für den Abschuss von Wölfen, die Weidetiere gerissen haben oder gefährden".
Während bislang meist einzelne Wölfe durch Bayern ziehen, ist die Sorge vor Ansiedelung von Rudeln bei vielen Landwirten groß. Denn diese haben einen enormen Bedarf an Futter. Zwar breitet sich der Wolf nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz noch eher langsam in Deutschland aus.
Österreich ermöglicht schnellen Abschuss von auffälligen Wölfen
Wie schnell sich das ändern kann, zeigt sich allerdings in Kärnten: Die Wolfsrisse haben sich dort im vergangenen Jahr vervierfacht.
Zugleich leben Wölfe dort inzwischen gefährlicher als in Deutschland: Vor Kurzem wurde im Gailtal eine Wölfin gemäß der Kärntner Wolfsverordnung legal erlegt. Nach dieser dürfen nicht nur "Problemwölfe" in einem Radius von zehn Kilometern erlegt werden, sondern auch "Risikowölfe", die im Nahbereich von Siedlungen und Höfen in Tallagen auftauchen.
Eine ähnliche Regelung will auch der Bayerische Bauernverband erreichen und wandte sich in einem offenen Brief an den Bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber (FW). Denn insbesondere die Almbauern fürchten die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Schließlich seien Berggebiete kaum wolfssicher einzäunbar. "Effektiver Herdenschutz ist in weiten Teilen nicht möglich. Ein solcher Zaun muss im Boden verankert sein und braucht starken Strom", sagt die Rosenheimer Kreisbäuerin Katharina Kern. Auch Herdenschutzhunden steht sie kritisch gegenüber.
Im Sommer hatte ein Fall in Schleching für Furore gesorgt. Dort waren neun Jungkühe über eine Steilwand gestürzt. Die Ursache: vermutlich ein Wolf. Nachgewiesen konnte er nicht werden. Allerdings gibt es Experten zufolge nur wenige Ursachen, die Kühe in eine solche Panik versetzen, dass sie mehrere Zäune durchreißen und sich einen Abhang hinunterstürzen. Ein Gewitter konnte als Grund ausgeschlossen werden. Ein weiteres Problem: Nur wenn zweifelsfrei ein Wolf als Verursacher nachgewiesen werden kann, erhalten Landwirte eine Entschädigung. In der Praxis werden diese Nachweise jedoch schnell verunreinigt, etwa durch Regen oder Aasfresser.
Konfliktpotenzial zwischen Landwirten und Wolfsbeauftragten
Viele Landwirte in Bayern verlieren ihr Vertrauen in staatliche Stellen und Behörden. Oft hört man, dass die Bayerischen Staatsforsten systematisch mögliche Wolfsrisse und Sichtungen auf Wildtierkameras verschweigen sollen.
Dem LfU, dessen Vertreter die Risse aufnehmen, wird oft unterstellt, dabei zu mauscheln. Aus diesem Grund nehmen viele Landwirte im Chiemgau B-Proben, die sie auf eigene Kosten analysieren lassen. Sowohl die Staatsforsten als auch das LfU weisen den Vorwurf der Mauschelei jedoch entschieden zurück.
Im Chiemgau haben sich zahlreiche Bauern in einer WhatsApp-Gruppe organisiert, in der sie Wolfs-Sichtungen teilen. Aber sich auch ihrem Ärger über die Politik und die Verwaltung Luft machen.
Das Verhältnis zwischen den Wolfsbeauftragten und vielen Landwirten ist gelinde gesagt konfliktär. Inzwischen hat das LfU einen Fachmann mit der zentralen Aufnahme von Wolfsrissen für die Region Chiemgau beauftragt, weil die Stimmung im vergangenen Winter so hochgekocht war.
Politisch wird um das Thema Wolf schon seit Jahren gezankt. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht, dass in den Ländern "europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement" ermöglicht werden soll. Denn in der Tat gibt es auch Länder in der EU, die Wölfe regulieren, wenn ihr Bestand eine bestimmte Anzahl erreicht hat. In Finnland, Frankreich und Schweden ist das beispielsweise der Fall.
Allerdings plant die Bundesregierung inzwischen keine Überprüfung und Anpassung des Schutzstatus mehr, wie aus einer Anfrage der AfD-Fraktion hervorgeht. Eine Überprüfung und Anpassung des Schutzstatus in Abhängigkeit von der Populationsentwicklung sei in der FFH-Richtlinie grundsätzlich nicht vorgesehen, schreibt die Bundesregierung bereits in einer früheren Antwort auf eine FDP-Anfrage zu steigenden Wolfszahlen, auf die sie nun verweist. Die FFH-Richtlinie sehe auch für Arten in einem günstigen Erhaltungszustand weiterhin Schutzmaßnahmen vor.
Von der Leyens Pony "Dolly" fiel im Herbst einem Wolf zum Opfer
Handlungsbedarf hingegen sieht man in Brüssel. Das EU-Parlament hat im November in einer Resolution die Europäische Kommission aufgefordert, die EU-Wolfsstrategie neu zu bewerten. Die Parlamentarier zweifeln an, dass der Wolf überhaupt noch vom Aussterben bedroht sei. Zwar ist eine solche Resolution rechtlich nicht bindend für die Kommission. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat bereits angekündigt, dass der aktuelle Schutzstatus überprüft werden soll.
Womöglich hat eine Randnotiz Einfluss auf die Entscheidung gehabt. Denn im September wurde Dolly, das 30 Jahre alte Pony von der Leyens, in Niedersachsen von einem Wolf gerissen. Schon vorher hatte er Schafe und Rinder getötet. Die Region Hannover hatte bereits im März eine Abschussgenehmigung erteilt, die im Herbst erneuert wurde, weil die Entnahme noch nicht gelungen war. Allerdings scheint der Wolf noch zu leben - bislang wurde keine Entnahme gemeldet.