Warum in Grafing ein echter König lebt
Grafing - Bei der Grafinger Leonhardifahrt erscheint der König von Togo ganz nach bayerischem Brauchtum: in Lederhosen und Trachtenhut. "Aus Respekt vor den Einheimischen", sagt der 51-jährige Jules Samlan, der als König des togolesischen Stammes Ewe/Mina über 40.000 Untertanen regiert. "Die akzeptieren auch, dass meine Frau und ich meist in togolesischer Kleidung herumlaufen", erklärt er. "Da ist es für uns selbstverständlich, auf traditionellen bayerischen Festen in Tracht zu kommen." Jules Samlan spricht ruhig und bedacht. Macht währenddessen viele Pausen.
Der König von Togo "residiert" in Grafing
Die AZ empfängt er in keinem "Palast", sondern bescheiden in einer Erdgeschosswohnung in Grafing. Umso edler sein Gewand: Er trägt ein festliches togolesisches Königskleid, "für besondere Anlässe", wie er sagt. Dazu gold-glänzende Sandalen – speziell für ihn angefertigt – und eine weiß-schwarze Krone aus Perlen.
Seine kreative Ader, Jules Samlan hat in Togo einst Kunst studiert, ist schon im Flur nicht zu übersehen. In warmen Gelb-, Braun- und Orangetönen hängt dort ein Porträt, eines seiner vielen Werke. Es zeigt einen Mann, der so ausgelassen lacht, dass er dabei den Kopf in den Nacken geworfen hat.
Als Jules Samlan nach Bayern fliehen musste – dazu später mehr – war er noch Prinz. Der Mann auf dem Gemälde ist sein Vater Hounkpati Samlan, der ehemalige König von Togo.
40.000 Untertanen werden von Grafing aus regiert
Dass er irgendwann Thronfolger werden würde, hat Jules Samlan in Bayern lange Zeit geheimgehalten. "Ich war quasi ein Prinz inkognito", sagt er lachend. Auch als seine Frau Manuela Samlan ihn kennenlernte, das war 1998, wusste sie zunächst nicht die ganze Wahrheit über ihre neue Liebe, die plötzlich in ihr Leben kam.
"Eigentlich wollte ich gar keinen Mann mehr", sagt Manuela Samlan (64). Doch dann kam es anders. Sie war bei einer Freundin eingeladen, die ebenfalls einen togolesischen Partner hat. Jules Samlan war auch da. Als sie die Wohnung betrat, stand er dort am Herd und kochte Fufu, einen festen Kartoffelbrei mit Erdnusssoße. Er drehte sich zu ihr um, grinste und sagte: "Ich bin der Jules." Und Manuela Samlan war sofort klar, dass die beiden zusammengehörten.
Doch wer er wirklich war, erfuhr sie erst elf Jahre später. Kurz vor dem Tod seines Vaters, erzählte Jules ihr, dass er in seinem Land ein Prinz ist und schon bald König sein würde.
Tagsüber Arbeiter, abends dann König
"Auch heute noch führe ich zwei verschiedene Leben", sagt Jules Samlan. Tagsüber hat es wenig mit dem Königsein zu tun. Da arbeitet er für die Hermannsdorfer Landwerkstätten. "Wenn Menschen aus meinem Stamm meinen Mann oder mich in der S-Bahn erkennen, knien sie sich auf den Boden, legen Gesicht und Unterarme auf den Boden. Bis wir ihnen das Zeichen geben, wieder aufzustehen", erzählt Manuela Samlan. Das tun sie meistens sehr schnell. Denn Manuela fügt bescheiden hinzu: "In Togo das normalste der Welt. In München ist uns das peinlich."
Über seine Untertanen herrscht Jules Samlan meist nachts. Virtuell kümmert er sich um die Angelegenheiten der Ewe/Mina. Dann geht es um Grenzfragen, Hochzeiten und Taufen und andere Fragen und Entscheidungen, die seinen Stamm betreffen. Jules Samlan regelt die per Telefon oder auch immer häufiger über Whatsapp.
Der König von Togo darf das Land nicht betreten
Denn während seine Frau Manuela, die beiden haben 2012 geheiratet, einmal im Jahr nach Togo reist, darf ihr Mann noch heute das Land nicht betreten. Er steht auf einer schwarzen Liste, weil er einst regierungskritische Kunst veröffentlicht hat. Mit ihr hatte er sich auch gegen den damaligen Präsidenten Étienne Gnassingbé Eyadéma gestellt, der damals versucht hatte, die Macht der Stammeskönige einzuschränken.
Jules Samlan saß deswegen drei Jahre im Gefängnis. Er konnte mit Hilfe eines Wächters fliehen – und lebt seitdem im Exil in Bayern. "Solange in Togo Diktatur herrscht, kann er nicht in sein Land zurück", sagt Manuela Samlan.
König von Togo im bayerischen Exil
Für die Menschen in ihrem Stamm haben Jules und Manuela Samlan einen Verein gegründet – Le Courage Du Togo. In Containern verschicken sie einmal im Jahr Hilfsgüter aus Deutschland. Es geht um Medikamente und Verbandsmaterial, alte Brillen, Kleidung und Schulranzen. Letztere helfen gleich doppelt: Zum einen halten sie Schulmaterial in der Regenzeit trocken, zum anderen reflektieren die Ranzen, wenn die Kinder auf den unbeleuchteten Schulwegen unterwegs sind.
Jules Samlan, evangelisch aufgewachsen und im christlichen Glauben verwurzelt, sagt: "Bei uns ist es üblich, dass Könige nicht nur nehmen, sondern auch geben." Um Geld und Spenden für den Verein zu sammeln, sind die beiden viel auf Märkten unterwegs, verkaufen etwa Tassen, die Jules Samlan kunstvoll bemalt hat.
Geben, das will Jules Samlan nicht nur in Togo, sondern auch in seiner neuen Heimat bei München wo es nur geht. Vor ein paar Wochen feuerte er mit seinen Trommeln und afrikanischen Glocken am Marienplatz Läufer an. Eigentlich wäre er einer von ihnen gewesen – Jules Samlan läuft selbst zweimal im Jahr Marathon. Doch dieses Jahr musste er wegen einer Knie-OP aussetzen: "Trommeln verwandelt negative Energie in positive. Und die wollte ich den Läufern schenken."
Berlinerin als akzeptierte Stammeskönigin
Über die togolesische Kultur musste Manuela Samlan als gebürtige Berlinerin viel lernen, bevor sie die Königin von Togo wurde. Heute ist sie als Stammeskönigin vollkommen akzeptiert. "In Togo werde ich als Schwarze und nicht als Weiße gesehen."
Einer von vielen wichtigen Grundsätzen in der togolesischen Kultur ist ein Sprichwort: "Gehe mit jedem Menschen gut um, denn du weißt nie, wer vor dir steht." Manuela Samlan erklärt: "Die wichtigen Menschen sind in Togo nicht immer die, die viel besitzen." Einmal hat sie gesehen, wie ein Mann in teurem Business-Anzug einen Bettler um Rat gefragt hat. Sie erklärt: "Ist ja irgendwie logisch. Der Bettler sieht und beobachtet den ganzen Tag. Weiß also viel."
Andere Male wollen Togolesen, auch die mit wenig Geld, ihr als Königin Geschenke machen. Dann geben sie ihr Gemüse, oder auch mal ein Huhn mit. "Den Menschen zu erklären, dass ich dieses Huhn nicht von Togo mit nach Grafing nehmen kann, ist schwierig", sagt sie. "Denn wenn ich das Geschenk als Königin nicht annehme, würden die Menschen ihr Gesicht verlieren", erklärt sie. Also nimmt sie es an – und schenkt es einer bedürftigen Familie oder einer Schule weiter.
Ein bisschen Togo ist überall in der Wohnung von Jules und Manuela Samlan zu finden. Da sind kleine Altare mit Schutzgöttern – etwa im Flur und im Garten. Da ist der uralte Kater, den die Samlans, nachdem sie ihn adoptiert haben, umgetauft haben – von Wasti auf Baba. Übersetzt heißt das "weiser Vater".

Viel Ähnlichkeiten zwischen bayerischer und togolesischer Kultur
Da ist ein togolesisches Schutzschild aus wertvollen Kauri-Schnecken, wie nur Medizinmänner oder Könige sie besitzen. Und da sind die vielen königlichen Gewänder der Samlans, die neben Dirndl und Lederhosen hängen, als sei es das Normalste der Welt.
"Die bayerische Kultur hat gar nicht mal so wenig mit der togolesischen Kultur zu tun", sagt Manuela Samlan. Sie nennt ein Beispiel: "Den Maibaum etwa, den gibt es in Togo auch." Doch was in Bayern fehlt, ist Jules große Familie. Wenn man ihn darauf – und vor allem auf seinen verstorbenen Vater – anspricht, schaut Jules Samlan traurig nach unten. Noch nicht einmal für seine Beerdigung durfte er einreisen in das Land, in dem er König des größten Stammes ist.
Bereut er es, dass er damals die Bilder ausgestellt hat, deren Abbildungen die Regierung kritisieren? Jules Samlan wird nachdenklich, blickt auf ein anderes seiner Gemälde, auf dem zahlreiche Menschen glücklich und ausgelassen in Richtung gold-orangene Sonne tanzen. "Es musste passieren", sagt er leise. "Man muss für die Freiheit kämpfen."
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