Theodor von Hallberg zu Broich - Ein Abenteurer und Einsiedler

Ein lebenslustiger Exzentriker war es, der einst Hallbergmoos gegründet und im Schloss Fußberg gelebt hat. Eine Spurensuche.
von  Karl Stankiewitz
Theodor von Hallberg zu Broich, der Gründer von Hallbergmoos, auf einem Stahlstich von Ferdinand Freiherr von Lütgendorff-Leinburg (1785-1858).
Theodor von Hallberg zu Broich, der Gründer von Hallbergmoos, auf einem Stahlstich von Ferdinand Freiherr von Lütgendorff-Leinburg (1785-1858). © Wikipedia

Von der Reismühle aus, um deren Bedeutung für Karl den Großen es im ersten Teil dieser Würm-Serie ging, sind es knapp drei Kilometer flussabwärts bis dahin, wo die Würm ein nicht weniger wundersames Ensemble umschlingt: Schloss Fußberg, eine ehemalige Wasserburg mit achteckigem Turm, die sich ein Wittelsbacher Ministerialer namens Fuoz am Fuß des Karlsbergs eingerichtet hatte.

Auf einer Tafel vor einem barocken Zierbrunnen sind frühere Besitzer vermerkt: der kai-serliche Hofrichter Ludwig von Teck, die Herren von Preysing und andere Adelige, die wohltätigen Münchner Patrizierfamilien Part, Pütrich, Ligsalz, Dichtl und Weiler, das Kloster Andechs, der jüdische "Hofbanquier" Josef von Hirsch, der Bildhauer Ludwig Schwanthaler, der Gautinger Papierproduzent Dr. Julius Haerlin, der auch ein Sozialwerk stiftete; anstelle der Fabrik steht heute die vorbildliche Schlossparksiedlung.

Autor des "Deutschen Kochbuch für Leckermäuler"

Mittendrin erscheint auf der Tafel der "Eremit von Gauting", nichts weiter. Der interessiert mich. Seiner Lebensgeschichte will ich nachspüren, zumal ich schon nach Münchner Originalen geforscht habe. Der Zugang war nicht so schwer. Immerhin hat der mysteriöse Schlossherr bis kurz vor seinem Tod am 17. April 1862 nicht weniger als 18 Schriften hinterlassen, vom "Deutschen Kochbuch für Leckermäuler" bis zum "Kurier von Niederbayern".

Das Bayerische Haupstaatsarchiv hat alles seinem Kriegsarchiv einverleibt. Daraus und aus einer Biografie des mit dem Spaßvogel Loriot verwandten Autors Werner von Bülow wird klar, dass der Mann alles andere war als ein weltabgewandter Einsiedler. Er war ein hochgebildeter, aber auch höchst skurriler Globetrotter und Abenteurer, wie es hierzulande wenige gab. Ein bayerischer Münchhausen, Eulenspiegel und Casanova.

Er studiert Medizin, wird aber nur "Doktor der Narrheit"

200 Jahre sind vergangen, als in der Gautinger Gegend ein hagerer Mensch auftauchte, der von der Bärenmütze bis zu den zinnoberroten Stiefeln recht komisch kostümiert war. Orden aus aller Herren Länder und ein langer weißer Bart hingen über dem pelzverbrämten Rock. Die Bauern amüsierten sich über den "Eremiten".

1819 hatte Bayerns erster König, Max I. Joseph, dem Sohn eines Hofkammerrats, großherzig Asyl gewährt; gegen diesen lagen nämlich mehrere Haftbefehle vor, einer wegen Schmähung des preußischen Königs. Er hieß Karl Theodor Maria Hubert Isidor Freiherr von Hallberg zu Broich: Geboren wurde er in der Nacht zum 8. September 1768 im Herzogtum Jülich, das damals zum wittelsbachischen "Kurpfalzbayern" gehörte.

Aus dem Gymnasium in Köln, wo er als Raufbold bekannt war, riss er aus, um die Welt als Schiffsjunge und Soldat zu erkunden. Während der Militärzeit studierte er Medizin, mal da und mal dort, promovierte aber nur zum "Doktor der Narrheit" auf dem Kölner Karneval.

Nach dem Tod des Vaters, der ihm noch ein Offizierspatent verschaffte, feierte der junge Freiherr von Hallberg auf dem heimischen Schloss rauschende Feste, meist schäbig gekleidet, die Löcher mit Siegellack verklebt. Bald griff er wieder zum Wanderstab, "der nun den Prügelstock meines Vaters abgelöst hatte". 1794 fuhr der 25-Jährige mit einem Frachter gar ins ferne Amerika.

"Alles, was französisch ist, soll der Teufel holen"

Auf der Rückreise stürzte er sich kopfüber in persönliche und politische Abenteuer. In Spanien umgarnte er eine reiche Witwe. In Petersburg besuchte er den Zaren, in Wien Kaiser Franz II., in Kairo den Vizekönig.

Alle Welt wollte der rheinische Bayer gegen Napoleon aufrütteln. Parole: "Alles, was französisch ist, soll der Teufel holen." Im Reiseprogramm standen außerdem: Skandinavien, die Türkei, Syrien, Zypern, Griechenland, Sizilien und Tunis. Da und dort warb er für eine Volksbewaffnung.

Wieder mal daheim, heiratete Hallberg endlich eine flämische Baronin. Das häusliche Glück währte nicht lange. Eines Morgens im Jahr 1808 holten ihn die französischen Besatzer aus dem Bett. Er soll eine Räuberbande gegen Beamte rekrutiert haben. In 36-tägigem Fußmarsch schleppte man ihn nach Paris, wo er nach acht Monaten Haft durch Fürsprache der Kaiserin Josephine freikam.

Weitere sechs Monate verbüßte er im Tower von London, weil ihn die Engländer als Sohn Napoleons verdächtigt und auf einem Schiff gekapert hatten.

Von hier aus bewandert, zeichnet und beschreibt er Oberbayern

Wieder frei, bewaffnete Hallberg im Auftrag des Freiherrn von Stein rheinische Bauern für die Befreiung Europas vom Napoleonischen Joch. Mit russischen Truppen marschierte er nach Paris und wurde nach der Eroberung zum "General Polizey Dírektor" der alliierten Truppen ernannt.

Mit seiner zweiten Frau reiste er dann nach Schweden, wo er einen Staatsstreich inszenierte, um König zu werden. Er wurde ausgewiesen. "Der reisende Teufel" hieß eines seiner ersten Bücher.
Als Flüchtling landete der Unruhegeist im neuen bayerischen Königreich, am Fußberg bei Gauting, wo eine neue Karriere begann. Hier gefiel es ihm: "Fußberg liegt in dem anmutigen Tale, das durch den Ausfluss des Würmsees bewässert wird nahe der Reismühle, dem vermutlichen Geburtsort meines verehrten Freundes, des deutschen Kaisers Karl des Großen."

Von hier aus bewanderte, beschrieb, zeichnete er Oberbayern (damals Isarkreis) und mehrmals Italien (wo ihm Papst Pius VII. einen Orden verlieh).

Ein Schiffbruch hielt ihn nicht von weiteren Reisen ab: In Jerusalem wurde er zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen, in Persien vom Schah dekoriert; der Kaukasus und Indien waren die letzten Stationen.

Aufruf zur Massenauswanderung nach Amerika

Eine Armenierin wurde seine nächste Gattin, sie starb kurz nach der Hochzeit. So begann der wundersame Mann - Goethe gleichend - noch im Alter von 85 Jahren ein Liebesabenteuer mit einer 18-jährigen Freisinger Bürgertochter.

Bei alledem blieb dem eigenartigen "Einsiedler" noch Zeit, im "Schwarzen Adler" zu München politische Pamphlete zu verfassen.

Etwa einen "Aufruf an das deutsche Volk zur Lage an der Rheingrenze"; auch die anonyme Münchner Schrift "Über die Unzufriedenheit der Völker und Mittel, derselben abzuhelfen" wird ihm zugeschrieben.

Schließlich rief er zur Massenauswanderung nach Amerika auf, fand aber keine Teilnehmer.

Die gewiss großartigste Idee des Gautinger Globetrotters war die Trockenlegung weiter Flächen im Erdinger Moos, die er 1824 dem bayerischen König vorschlug. Um damit zu beginnen, kaufte er dort über 1000 Tagwerk und das Jagdschlösschen Birkeneck der Freisinger Fürstbischöfe, das er zinnoberrot möblierte und mit Landkarten, Festungsplänen, Karikaturen und dergleichen tapezierte.

Nahebei gründete er, der zuvor schon "Armenkolonien" angedacht hatte, ein Dorf mit Wirtshaus, Schule, Kirche, Pfarrhof: das heutige Hallbergmoos.

Schloss Fußberg ist heute Sitz einer Unternehmensberatung

Schloss Fußberg übernahm sein Sohn Hermann Siegburg, eine Serie von Besitzern folgte. Die Großgemeinde Gauting hat die längst heruntergekommene Bürgervilla mit klassizistischer Fassade und den im Englischen Stil angelegten Garten gründlich und mit Rücksicht auf die historische Überlieferung renoviert.

Anfang 2000 wurde das von alten Bäumen umrahmte Hauptgebäude an eine Agentur für Unternehmensberatung und Kommunikation vermietet, die hier fast alle 60 Mitarbeiter konzentriert hat.

Das Unternehmen betreibt auch Krisenmanagement und aktuelle Krisenprävention. ("Unser Fokus in der Coronavirus-Zeit liegt auf der optimalen Unterstützung von Unternehmen in dieser anspruchsvollen Phase"). Zu den Kunden gehörte der Autozulieferer Webasto im benachbarten Stockdorf, wo im Januar 2020 die ersten Corona-Fälle in Deutschland gemeldet wurden.

Allgemein zugänglich ist das Eremiten-Schloss nicht. Wohl aber das Salettl nebenan, wo der Italiener Gennaro ein fabelhaftes Ristorante betreibt, und natürlich auch der wunderschöne Park, der mit kleinen Sehenswürdigkeiten entlang des Rundwegs ausgestattet ist.

Ganz in der Nähe, am Steg zur Schlossstraße, kann ein riesengroßes Wasserrad bewundert werden. Es hat zwar einst die Papierfabrik betrieben, soll aber an all die vielen Mühlen erinnern, die ihre Leistung aus der Würm bezogen und das Tal so malerisch gemacht hatten.


Quellen (u. a.): Wolfgang Vogt-Vilseck, Die Reismühlsage, 1982; Werner Bülow, Der Eremit von Gauting, 1991. Otto Guggenbichler. Der Eremit von Gauting. Unbekanntes Bayern. 1956.

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