Studentinnen wegen besonders schwerem Diebstahl angeklagt

München/Olching - An einem Sommerabend, gegen halb elf, radeln Caro (27) und Franzi (25) zum Edeka-Markt in Olching. Als sie wieder aufbrechen, haben sie viel Gemüse und Obst, aber auch Schokolade und Olivenöl in ihren Taschen, erzählen die beiden Studentinnen der AZ. "An dem Tag waren auch viele Milchprodukte dabei, also Fruchtjoghurt und Käse", sagen sie.
"An dem Tag" lässt zumindest den Rückschluss zu, dass die beiden nicht zum ersten Mal Lebensmittel aus dem Müll gerettet haben – gestohlen, nach Auffassung der Justiz: Zwei Polizisten entdecken Caro und Franzi. "Für sie war das eine eindeutige Situation und sie haben uns aufgefordert, die Lebensmittel aus den Taschen in die Mülltonnen von Edeka zu werfen", erzählen sie der AZ.
"Sie haben uns sehr ausgiebig kontrolliert und nach Waffen durchsucht", sagen sie, wie Schwerverbrecher seien sie sich vorgekommen, "obwohl wir ja nichts beschädigt und niemandem Schaden zugefügt haben". Mit dem Filialleiter des Edeka-Marktes wollten sie reden, doch das wurde wohl von seinen Vorgesetzten unterbunden.
Studentinnen sollten 1.200 Euro zahlen
Die beiden Frauen werden von der Staatsanwaltschaft des "besonders schweren Fall des Diebstahls" beschuldigt – unter anderem, weil der Wert der Lebensmittel mit 100 Euro eingestuft wurde, "was natürlich absurd ist, weil sie ja unverkäuflich waren und im Müll lagen", sagen sie.
Die Studentinnen legen Einspruch ein. Zwei Wochen später gibt es wieder Post, ein Gerichtstermin wird genannt. Doch die Verhandlung wird dreimal verschoben. Am Mittwoch ist es endlich so weit, um 14 Uhr beginnt der Prozess vor dem Gericht in Fürstenfeldbruck. Die ursprüngliche Strafe lag bei 1.200 Euro, die sie jeweils zahlen sollten, "ganz schön viel dafür, dass die Sachen in den Müll geworfen wurden, derer wir beschuldigt werden, sie gestohlen zu haben".
Anders als in Österreich oder der Schweiz gilt Abfall hierzulande bis zur Abholung durch die Müllabfuhr immer noch als Eigentum des Wegwerfenden – nicht als herrenlose Sache. Caro und Franzi nennen sich "die Olchis". Unter dem Namen betreiben die beiden einen Blog. Die "Olchis" sind Kinderbuch-Fabelwesen, die auf einer Müllkippe leben – ein Pseudonym mit Augenzwinkern.
Caro und Franzi haben erfolgreiche Petition gestartet
Was die beiden Olchingerinnen getan haben, hat einen eigenen Namen: Containern. Es bedeutet, Lebensmittel aus dem Müll zu holen, die eigentlich noch gar nicht verdorben sind. Damit wollen sie zeigen, was in Deutschland ihrer Meinung nach falsch läuft: Dass zu viele brauchbare Lebensmittel im Abfall landen und man sogar dann noch bestraft wird, wenn man Essbares rettet.
Auf ihrer Homepage haben sie eine Petition gestartet. Ihr Ziel: eine Gesetzesänderung. Über 80.000 Menschen haben bereits dafür unterschrieben, dass Containern kein Verbrechen mehr ist und Supermärkte verpflichtet werden, unverkäufliche Lebensmittel weiterzugeben, "zum Beispiel an Tafeln", sagen Caro und Franzi. (Hier geht's zur Petition)
Gesetzgebung in Frankreich und Tschechien als Vorbild
Sie prangern die Gesetzgebung in Deutschland an, die nicht vorsieht, dass diese Lebensmittel abgegeben oder weiterverarbeitet werden müssen. In Tschechien hingegen müssen große Supermarkt-Ketten seit diesem Jahr unverkäufliche Lebensmittel an Hilfsorganisationen abgeben, bei Zuwiderhandlung droht eine Geldstrafe. Auch in Frankreich gilt schon seit 2015 ein Gesetz, nach dem Großhändler Lebensmittel nicht mehr vernichten oder wegwerfen dürfen. Sie müssen die Ware spenden, als Tiernahrung weitergeben oder zumindest für landwirtschaftlichen Kompost. Mit weniger als einem Freispruch wollen sich die 25- und die 27-Jährige am Mittwoch im Prozess nicht zufriedengeben, "dass wir in Berufung gehen, schließen wir nicht aus".
Containern solle strafffrei werden und es brauche "dringend Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung", teilte gestern der rechtspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, Toni Schuberl, mit. Der Zuspruch, den die beiden Frauen bekommen, bestärkt sie. "Erst letztens habe ich in der S-Bahn telefoniert und da hat man wohl rausgehört, dass wir das sind. Da kam ein älterer Herr zu mir her und meinte, er findet das gut", erzählt Caro. "Lebensmittelverschwendung ist ein Thema, das viele Menschen bewegt, nicht nur bestimmte Gruppen."
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Am Mittwoch findet ab 12 Uhr auf dem Platz vor der Stadtsparkasse in Fürstenfeldbruck eine Kundgebung zum Thema statt.
So viel Essen landet im Müll:
Laut Zahlen der Welthungerhilfe landen pro Kopf und Jahr in Deutschland 82 Kilo Lebensmittel im Abfall – elf Millionen Tonnen insgesamt sind das jedes Jahr. Zum Vergleich: Als hungerleidend gelten 815 Millionen Menschen auf der Welt. Die Vereinten Nationen haben das Ziel formuliert, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren.
Tipps zur Vermeidung von Müll:
Tafeln versorgen Bedürftige mit Lebensmitteln. Nicht nur Bäckereien und Supermärkte, auch Privatpersonen können Essen spenden. Weitere Informationen dazu gibt es, etwa für die Münchner Tafel, per E-Mail unter info@muenchner-tafel.de oder unter der Telefonnummer 0173/5686834.
Foodsharing, auf Deutsch Essenteilen, bedeutet, das man Waren anderen zur Verfügung stellt. Unter foodsharing.de kann man eintragen, wenn man etwas abzugeben hat.
Weiterverarbeiten ist natürlich das beste Rezept. Dazu eignen sich diverse Küchenreste. Tipps dazu stellen Köche hier vor.