Science-Fiction aus Weßling: Hier baut Lilium Flugtaxis

Im Westen Münchens wird an einem Flugtaxi getüftelt, das den regionalen Nahverkehr ab 2025 revolutionieren könnte. Die AZ war dort und sprach mit dem Gründer und Erfinder.
Hüseyin Ince
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Daniel Wiegand vor seiner Erfindung: ein Flugtaxi mit 36-fachem elektrischem Düsentrieb. Der Prototyp des Lilium Jet im Hintergrund, der wie in einem Fotostudio mit weißen Vorhängen präsentiert wird, kommt der Endversion nahe.
Daniel Wiegand vor seiner Erfindung: ein Flugtaxi mit 36-fachem elektrischem Düsentrieb. Der Prototyp des Lilium Jet im Hintergrund, der wie in einem Fotostudio mit weißen Vorhängen präsentiert wird, kommt der Endversion nahe. © Daniel von Loeper

Weßling - Wenn im Kopf entspannte Leere herrscht, hat die Menschheit bekanntlich schon große Rätsel gelöst, Formeln entdeckt – oder die besten Einfälle sind einfach so durch den Kopf geschossen. Archimedes ist da ein berühmtes historisches Beispiel, mit in etwa folgender Geschichte: Er legte sich in die volle Badewanne. Wasser schwappte über. Da bemerkte er, dass sein Körper exakt so viel Wasser verdrängt, wie er Volumen hat. Eine Formel war geboren.

Daniel Wiegand: Idee entstand beim Schauen von Kampfjets-Videos

Daniel Wiegand, Hauptgründer des Weßlinger Unternehmens Lilium vor den Toren Münchens, hatte vor fast zehn Jahren auch so einen Moment. Er lag zwar nicht in der Badewanne. Doch ganz ohne gedanklichen Druck schaute er sich in seiner Studentenwohnung zufällige Youtube-Videos über Kampfjets an, die mit massivem Getöse senkrecht starteten und landeten. Im Dezember 2013 war das, während Wiegands Auslandsstudium in Glasgow.

"Mein Mitbewohner Sven ermutigte mich entscheidend"

Da war er plötzlich, der Gedanke, die zündende Idee eines angehenden Ingenieurs. Aus dem Nichts. "Das muss doch auch bei kleineren Flugzeugen möglich sein. Und zwar in der zivilen Luftfahrt", überlegte er sich. "Ein Flugtaxi mit Düsenantrieb - rein elektrisch, leise und kostengünstig sollte das auch gehen, dachte ich mir", erzählt Wiegand, als ihn die AZ auf dem Firmengelände von Lilium besucht.

Batterie-Gewicht war vor neun Jahren noch viel höher

Was macht nun ein TU-München-Student mit so einem Einfall? Klar, er fängt an zu rechnen. Und die ersten Gleichungen zeigen Wiegand: müsste funktionieren. "Zwar gerade eben so", erinnert er sich, aber: "Die ersten Berechnungen machte ich mit dem damaligen Stand der Batterietechnologie. Batterien waren 2013 noch wesentlich schwerer", sagt Wiegand.

Das Lilium-Gründerteam (v.l.): Matthias Meiner, Patrick Nathen, Daniel Wiegand und Sebastian Born.
Das Lilium-Gründerteam (v.l.): Matthias Meiner, Patrick Nathen, Daniel Wiegand und Sebastian Born. © Lilium

Das habe sich inzwischen grundlegend geändert. Sie seien heute eben wesentlich leichter. Ein paar Prototypen beginnt Wiegand daraufhin zu basteln, im Kleinformat. Einige dieser Mini-Modelle - die Evolution dieses Fliegers also - sind am heutigen Firmensitz in einem versperrten Sonderraum ausgestellt.

Dennoch ruht Wiegands Idee ein wenig, als sein damaliger niederländischer Mitbewohner Sven auf die Sache aufmerksam wird. Bei einigen Glas Bier erzählt ihm Wiegand davon. Da gibt Sven, der die Idee gut findet, ihm einen entscheidenden Anstoß. "Er sagte, wenn du dran glaubst, dann gründe ein Unternehmen. Und: Wenn du es nicht machst, macht es keiner", erinnert sich Wiegand noch genau.

Danach habe ihn pure Begeisterung getragen, erzählt Wiegand. 2015 war es so weit. Nachdem er drei Mitstreiter gefunden hatte, nämlich Sebastian Born, Patrick Nathen und Matthias Meiner, wurde Lilium gegründet. Auch ein prominenter Investor war schnell an Bord: Frank Thelen, bekannt aus der Fernsehsendung "Die Höhle der Löwen", stieg noch 2015 mit 500 000 Euro ein. Weitere Millionen-Investitionen folgten. Seit Herbst 2021 ist Lilium im US-amerikanischen Nasdaq börsennotiert. Der Kurs ist zwar um etwa 75 Prozent gefallen, doch das macht Wiegand nicht nervös. "Technologieaktien haben generell gelitten. Dennoch haben die Hauptaktionäre ihr Investment in Lilium beibehalten", erklärt er.

Hauptsitz von Lilium bleibt Weßling

In Weßling aber ist und bleibt der Hauptsitz von Lilium. "Man könnte mit so einem Start-up auch ins Silicon Valley gehen, ich wollte aber unbedingt in der Region München bleiben", sagt Wiegand im Lilium-Showroom.

Nein, das hier ist nicht das Silicon Valley, es ist ein Lilium-Hangar an der Claude-Dornier-Straße in Weßling, 30 Kilometer westlich von München.
Nein, das hier ist nicht das Silicon Valley, es ist ein Lilium-Hangar an der Claude-Dornier-Straße in Weßling, 30 Kilometer westlich von München. © Daniel von Loeper

Hier, an der Claude-Dornier-Straße, ist der kleine Flieger ausgestellt. Wie in einem Fotostudio posiert das elektrische Kleinflugzeug mit sechs Passagiersitzen und einem Pilotensitz. Hinter einem Quadrat aus meterhohen, weißen Vorhängen steht das Gerät. Das Ausstellungsstück hat 36-fachen Düsenantrieb. "Wie 36 extrem leistungsstarke Haarföhne, so können Sie sich das vorstellen", sagt Wiegand zwinkernd. Und: "Drei werden noch auf jeder Seite wegkommen", erzählt er. 30-facher Düsenantrieb soll es am Ende sein. Funktionieren soll das Ganze so: Die vier Flügel des Jets sind schwenkbar, in die senkrechte sowie waagrechte Position. Das Flugtaxi hebt ab, wenn die Flügel senkrecht stehen. Der Jet schwebt wie ein Helikopter hoch. Dann schwenken die Flügel in die Waagrechte (wie im Hauptfoto). Der Jet fliegt dann immer schneller horizontal.

"Von München nach Salzburg schafft es der Jet in 35 Minuten"

"Der Flug selbst wird sehr leise sein", verspricht Wiegand. Das Außengeräusch soll in etwa der Lautstärke eines Lastwagens entsprechen. Und beim Start soll der Jet 20 Dezibel leiser sein als ein Helikopter. "So belästigt man akustisch vor allem keine Anwohner", sagt Wiegand.

Von München nach Salzburg, das sei so eine mögliche Lilium-Strecke,
wenn der Jet 2025 in Betrieb gehen soll. In 35 bis 40 Minuten könne man da ankommen, mit einer Fluggeschwindigkeit von 250 bis 280 km/h, in maximal drei Kilometern Höhe. Was die Reise kosten würde? "Vorerst rechnen wir mit 1,20 Euro pro Kilometer pro Person", sagt Wiegand. 130 Kilometer Luftlinie sind das grob geschätzt bis Salzburg. Sprich: 150 bis 160 Euro würde der Flug kosten.

Probesitzen im Lilium Jet: Daniel Wiegand und AZ-Reporter Hüseyin Ince. Extrem leise werde der Flug sein, verspricht Wiegand.
Probesitzen im Lilium Jet: Daniel Wiegand und AZ-Reporter Hüseyin Ince. Extrem leise werde der Flug sein, verspricht Wiegand. © Daniel von Loeper

Kein Preis, den Durchschnittsverdiener mal eben ausgeben. "Gerade zu Beginn zielen wir daher auf Business-Kunden ab", sagt Wiegand. Doch je größer das Geschäft sich in Zukunft ausweite, desto günstiger könne es natürlich irgendwann werden.

Derzeit testet Lilium fast täglich in Spanien, nahe Villacarillo, mit dem aktuellen Prototyp "Phönix". Noch sind es unbemannte, ferngesteuerte Flüge. Doch die Tests verlaufen laut Wiegand vielversprechend.

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300 kWh Kapazität haben die zehn Lithium-Ionen-Akkus des Jets insgesamt. Das ist genug Energie für eine Reichweite von 250 bis 300 Kilometer. In nur 40 Minuten können die Batterien angeblich wieder aufgeladen werden. Insgesamt wird der Jet samt Batterien etwa 2,5 Tonnen wiegen.

Künftig möchte Lilium Batterien und auch Jets in Weßling produzieren. Dafür werden aktuell Hallen gebaut. Das wird spannend. Denn Konkurrenz gibt es auch schon, aus Frankreich (Airbus) sowie China.


In einer früheren Version des Artikels stand, der Börsengang des Unternehmens sei im Herbst 2020 gewesen, nicht 2021. Außerdem  wurde eine Passage zur Lautstärke des Jets präzisiert. 

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29 Kommentare
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  • aufkleber am 15.09.2022 20:26 Uhr / Bewertung:

    nicht schonwieder so ein startup.
    bayrische startups sind irgendwie alle peinlich.
    sono
    fazua
    flugtaxi

  • Klaus-Dieter Umwelt am 14.09.2022 19:09 Uhr / Bewertung:

    Elektrische Hubschrauber sind sicher sinnvoll für Rettungsflüge und andere Noteinsätze.

    Aber als Spaßvehikel sind sie genauso absurd wie private Hubschrauber.
    * Fluglärm:
    Wir haben in Deutschland schon viel zu viel Lärm, in den Städten sowieso.
    Fluglärm ist besonders belastend.
    * Energieverbrauch:
    Selbst wenn der Strom für die Batterien aus erneuerbaren Energien stammt,
    müssen die Ressourcen dafür erst mal bereit gestellt werden.
    Wir brauchen viel zukünftigen Strom aus Erneuerbaren an sinnvollen Stellen, um von Öl, Gas, Kohle und Atomkraft wegzukommen.
    * Belastung des Luftraums für Tiere und Menschen:
    Flugverkehr ist tödlich für Vögel, Insekten etc.
    Wir haben in den Städten keinen Platz für Starts, Landungen und die Fliegerei.

    Alternative:
    *** Von München nach Salzburg und anderswo fährt die Bahn!!! ***
    Dann müssen eben auch Geschäftsleute mal etwas mehr als 35 Minuten Zeit einplanen!

    Der Flugverkehr muss insgesamt reduziert werden!

  • Fluxxus am 14.09.2022 18:22 Uhr / Bewertung:

    Ein konkurrierendes Produkt ist das in Bruchsal von der Firma Volocopter entwickelte Lufttaxi auf Quadrocopter-Basis, angetrieben von 4 elektrisch betriebenen, einzeln steuerbaren Rotoren wie die kleinen Kameradrohnen und das viele erfolgreiche Testflüge hinter sich hat. Bestellungen aus Singapur und Arabien liegen bereits vor.
    Wenn ich hier so einige Kommentare lese, habe ich allerdings nicht den Eindruck, als sei deutsche Ingenieurskunst, technische Kreativität und Innovation hierzulande noch besonders erwünscht.

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