S-Bahn-Unglück bei Schäftlarn: Was bisher bekannt ist

Wieder ist es eine eingleisige Strecke: Bei der Kollision zweier S-Bahnzüge in Schäftlarn bei München stirbt ein Fahrgast. Es gibt viele Verletzte, die beiden Lokführer konnten noch nicht befragt werden. Wie konnte es zu diesem Unfall kommen?
von  Leonie Fuchs
Am Tag nach dem Frontalzusammenstoß zweier S-Bahnen in Schäftlarn mit einem Toten und 18 Verletzten laufen am Unfallort weiter Untersuchungen.
Am Tag nach dem Frontalzusammenstoß zweier S-Bahnen in Schäftlarn mit einem Toten und 18 Verletzten laufen am Unfallort weiter Untersuchungen. © Thomas Gaulke

Schäftlarn - Am Tag nach dem schweren S-Bahnunfall südlich von München sind noch viele Fragen ungeklärt. Im Fokus stehen die Ursachenforschung und die Bergung der beiden Bahnen.

Zwei S-Bahnen waren am Montagnachmittag nahe dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn auf einer eingleisigen Strecke kollidiert. Binnen kürzester Zeit lief ein Großeinsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Am Dienstag vor Ort: Benjamin Castro Tellez, Sprecher der Münchner Polizei.
Am Dienstag vor Ort: Benjamin Castro Tellez, Sprecher der Münchner Polizei. © Leonie Fuchs

Fragen und Antworten rund um das Unglück, bei dem nach Polizeiangaben ein 24-jähriger Mann aus Afghanistan ums Leben kam und 18 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Wie konnte es zu dem Unglück kommen?

Wie Polizeisprecher Benjamin Castro Tellez am Dienstag an der Unfallstelle berichtete, leitet die Staatsanwaltschaft I die Ermittlungen zur Unfallursache. Gutachter vom Technischen Hilfswerk (THW) sind vor Ort. Die eigentlichen Bergungsarbeiten sind daher zur Zeit unterbrochen. Castro Tellez: "Heute gibt es mit Sicherheit keine neuen Erkenntnisse in Sachen Unfallursache."

Die Fahrtenschreiber beider Triebwagen seien sichergestellt worden. Zudem seien bereits mehrere Menschen von der Polizei zum Hergang des Unfalls vernommen worden, sagte ein Sprecher am Dienstag. Die Staatsanwaltschaft München I teilte mit: "Die Ermittlungen werden wie immer ergebnisoffen und mit Hochdruck geführt, es ist noch zu früh, weitere Informationen zu geben."

Die Strecke soll im fraglichen Abschnitt mit einem elektronischen Sicherungssystem im Rahmen der Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB) ausgestattet gewesen sein. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Diese Technik ermögliche es, den Zugverkehr zu überwachen und Züge auch automatisch zu bremsen.

Blick auf die ineinander verkeilten S-Bahnen.
Blick auf die ineinander verkeilten S-Bahnen. © Matthias Balk/dpa

"In Ermittlungskreisen verlautete am Dienstagvormittag, das System habe in der Unfallsituation angeschlagen und mindestens einen Zug gebremst", schreibt die "SZ". Die Deutsche Bahn äußerte sich unter Verweis auf die Ermittlungen nicht zu den Angaben. Das Unternehmen war in den vergangenen Jahren immer wieder dafür kritisiert worden, dass vor allem Nebenstrecken nicht mit der neuesten Sicherungstechnik ausgestattet worden waren. Die Frage nach technischen Schwachstellen tauchte dann am Montag ebenfalls auf.

Wie viele Opfer gibt es?

Ein 24-jähriger Passagier kam bei dem Unglück ums Leben. Nach AZ-Informationen wohnte der Mann in Wolfratshausen, war im August 2016 aus Afghanistan geflüchtet und saß am Montag im vorderen Waggon der S7 in Richtung München.

Teile des Führerstandes seien nach dem Aufprall durch den Waggon geschleudert worden und hätten den Mann eingeklemmt, hieß es. Der Mann sei durch Quetschungen gestorben. 18 Menschen wurden am Montag ins Krankenhaus gebracht. Sechs von ihnen sind schwer verletzt, darunter auch die beiden Lokführer, so die Polizei. Sie seien noch nicht vernehmungsfähig. Zudem seien 25 Personen ambulant versorgt worden.

Der S-Bahn-Unfall hatte im LMU-Klinikum Großhadern einen Alarmplan ausgelöst. Das Klinikum sei als überregionales Traumazentrum für den Bereich München-Oberbayern Süd bei diesem sogenannten Massenanfall von Verletzten (kurz: MANV) eingebunden worden, teilte das Klinikum am Dienstag mit.

Binnen kürzester Zeit seien in der Notaufnahme neun Schockraumteams und neun OP-Säle zur Verfügung gestellt worden. Auch zusätzliche Intensivkapazitäten wurden geschaffen, die teilweise gebraucht wurden. Acht der 18 Verletzten von Schäftlarn seien in Großhadern behandelt worden, sagte ein Sprecher.

Wann wird die Strecke wieder für den Bahnverkehr frei gegeben?

Weil die betroffenen Gleise erhöht auf einem Bahndamm liegen, erschwerte dies die Rettungsarbeiten und die Bergung der ineinander verkeilten Züge. Am Mittwoch soll ein spezieller Bergungskran die beiden S-Bahnen aus den Gleisen hieven. Bis in die Nacht hinein waren insgesamt etwa 680 Angehörige von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Technischem Hilfswerk an den Aufräumarbeiten beteiligt. Bislang sichern zwei kleinere Kräne die zum Teil aus den Gleisen gesprungenen Züge.

Weil am Mittwoch auch Ermittler der Münchner Kriminalpolizei vor Ort sein werden und die Unfallstelle inspizieren, wird die Strecke nach AZ-Informationen frühestens am Donnerstag wieder für den Bahnverkehr frei gegeben. Noch ist offenbar nicht ganz klar, wie die beschädigten S-Bahnen abtransportiert werden sollen.

Das Live-Bild einer Drohne vom Technischen Hilfswerk (THW).
Das Live-Bild einer Drohne vom Technischen Hilfswerk (THW). © Matthias Balk/dpa

Die Bahnstrecke der Linie S7 ist ebenso wie die nahe gelegene Bundesstraße 11 seit dem Unfall gesperrt. Die Polizei rät, die B11 weiträumig zu umfahren. Es besteht ein Schienenersatzverkehr: Den Angaben nach ist der Streckenabschnitt der Linie S7 zwischen Höllriegelskreuth und Wolfratshausen bis auf Weiteres gesperrt.

Die S-Bahnen der Linie S7 in Richtung Wolfratshausen verkehren bis Großhesselohe Isartalbahnhof und wenden dort vorzeitig. Zwischen Wolfratshausen und Großhesselohe Isartalbahnhof fahren Busse, und zwar ohne Halt in Icking. Zwischen Icking und Wolfratshausen wiederum besteht ein Pendelverkehr mit Großraumtaxis. Es gibt eine DB-Telefonhotline unter der Nummer 0800 3111 111.

Gab es bereits ähnliche Unfälle?

Vor sechs Jahren, am 9. Februar 2016, waren bei einem Frontalzusammenstoß zweier Züge bei Bad Aibling ebenfalls auf eingleisiger Strecke zwölf Menschen ums Leben gekommen, 89 wurden verletzt. Aufgrund menschlichen Versagens waren die beiden Züge der Bayerischen Oberlandbahn ineinander geprallt. Ein Fahrdienstleiter hatte mit dem Handy gespielt und falsche Signale gesetzt. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.

Ganz in der Nähe der Unfallstelle war es im Sommer vergangenen Jahres zu einem Beinahe-Zusammenstoß gekommen. Zwei S-Bahnen fuhren im August etwa vier Kilometer entfernt bei Icking aufeinander zu, die beiden Lokführer konnten rechtzeitig bremsen.

Die S-Bahnen waren damals nicht schnell unterwegs und kamen rund 150 Meter entfernt voneinander zum Stehen. Es hieß, einer der Lokführer habe ein Signal überfahren. Glück hatten damals die insgesamt 33 Passagiere und die Lokführer, weil die Strecke oberhalb des Isartals gut einsehbar war und Züge langsam fuhren. Auf freier Strecke erreichen die Züge eine Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h.

Schreyer zu Unfall: Eingleisige Strecken nicht gefährlicher

Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) darauf hingewiesen, dass eingleisige Strecken nicht per se gefährlicher seien als zweigleisige. "Man hat bei Untersuchungen festgestellt, dass wir nicht mehr Unfälle auf den eingleisigen als auf den zweigleisigen Strecken haben. Weil eben die Technik so hoch ist, dass im Normalfall es kein Problem gibt", sagte Schreyer am Dienstag dem Bayerischen Rundfunk.

Auch bei dem Unfall nördlich des Bahnhofs Ebenhausen-Schäftlarn am frühen Montagabend habe die elektronische Sicherung auf der eingleisigen Strecke offenbar funktioniert, sagte Schreyer in der "Radiowelt am Abend" auf Bayern 2. Die Technik bewirkt, dass der Zug automatisch gebremst wird, "deswegen sind die Züge nicht in voller Wucht aufeinandergeprallt". Wichtig sei nun, die Ursache des Unglücks mit einem Toten und 18 Verletzten zu finden und daraus Konsequenzen zu ziehen.

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