Kein Event wegen Corona: Zermürbende Ticket-Odyssee

Germering - Genau vor einem Jahr hatte - bis auf ein paar Wissenschaftler - noch niemand etwas von dem Wort Corona gehört. Pandemien in Europa galten als Science-Fiction oder Historienfälle. Es war eine Zeit, in der man also noch guten Gewissens Konzerttickets erwerben konnte, ohne Hintergedanken über den möglichen Ausfall aller Großveranstaltungen.
Voller Vorfreude kauft Margot Rühl acht Tickets im Wert von 440 Euro für eine solche Großveranstaltung: das "Military Tattoo auf Schloss Kaltenberg", eine militärmusikalische Show.
Sie sind als Geschenk zum 70. Geburtstag ihres Mannes für einen Besuch mit seinen Freunden gedacht. Rühl kauft öfter Tickets und ist auch schon nach Paris geflogen, um dort den "Boss" Bruce Springsteen zu hören.

Nichts spricht zum Zeitpunkt des Kaufs dafür, dass ein Event im August 2020 ausfallen könnte. Doch dann kommt Corona. Und mit der Pandemie die Absage jeglicher Großveranstaltungen und fast aller anderen Kulturereignisse.
Die Veranstaltung wird verschoben und alle müssen mitmachen?
Für das "Military Tattoo auf Schloss Kaltenberg" legt der Veranstalter Art.Emis Entertainment GmbH einfach einen Ersatztermin fest: den 31. Juli 2021, also fast genau ein Jahr später.
Eine Verschiebung, die für Margot Rühl Konsequenzen hat: "Wir sind alle 65-plus, gehören zur Risikogruppe und wollten den neuen Termin deshalb auch nicht wahrnehmen. Keiner weiß, was bis dahin ist. Wir möchten einfach nur das Geld für die Tickets zurückerstattet bekommen."
Was in der Sache unkompliziert klingt, wird für Margot Rühl aber zu einer Odyssee zwischen Vorverkaufsstelle, Ticketvertreiber und Veranstalter, die bis zum heutigen Tage andauert.
Den Anfang macht ihr Gang zur Vorverkaufsstelle Germering in der dortigen Landsbergerstraße. Hier, wo sie die Karten auch gekauft hatte, will Frau Rühl vor etwa einem halben Jahr die Tickets gegen Bargeld zurückgeben.
Kalt und juristisch: die Antwort des Ticket-Unternehmens
Statt Cash gibt es für sie aber lediglich einen Zettel. Auf dem steht, dass sie sich an die CTS-Eventim AG in Bremen wenden müsste, um die Tickets umzutauschen. Dieses Unternehmen vertreibt für den Veranstalter die Tickets. Mit dem "Rollout", wie man ihr auf Neudeutsch die Abwicklung des Umtauschs erklärt, hätte man nichts zu tun.
Im folgenden, gewissenhaften Schreiben an die Eventim-AG erklärt Frau Rühl höflich die verfahrene Situation und bittet um die Zurückerstattung des Betrags. Als Beleg für ihre Glaubwürdigkeit legt sie ihrem Einschreiben auch die Kopien der Eintrittskarten bei.
Die Antwort des Ticketing-Unternehmens lässt auf sich warten und fällt im standardisierten Schreiben vom 20. Juli kalt und juristisch aus: "Unsere Vorverkaufsstellen sind wirtschaftlich selbstständige Unternehmen, die völlig unabhängig von uns arbeiten. Ein vertragliches Verhältnis kommt daher nur zwischen Ihnen und der Vorverkaufsstelle bzw. dem Veranstalter, in dessen Namen die VVK handelt, zustande. Bitte wenden Sie sich an die VVK, über die Sie die Karten kauften."
Zermürbendes Schwarzer-Peter-Spiel: Man soll aufgeben!
Die Verantwortung wird also schlicht weiter- beziehungsweise zurückgeschoben: Im Fall von Frau Rühl an die - mittlerweile geschlossene! - Vorverkaufsstelle, die sich zum damaligen Zeitpunkt weigert, die Tickets zurückzunehmen.
Auf Nachfrage findet Werner Wolf, der Inhaber der Vorverkaufsstelle, heute klare Worte für die Taktik von CTS-Eventim: "Die sind bundesweit das führende Ticketsystem mit einer sehr starken Marktposition. Sie haben durchaus auf ganz viele Veranstalter Einfluss. CTS-Eventim hat bei Einführung seiner Gutscheinlösung versichert, dass sie für alle Vorverkaufsstellen, die das nicht umsetzen können oder wollen, die Abwicklung übernimmt. Technisch ist CTS-Eventim unzweifelhaft in der Lage, alles zu machen. Die Firma müsste sich grundsätzlich an die Vorgaben des Veranstalters halten, der ja der Auftraggeber ist."
Rückzahlung erst Ende 2021 möglich?
Letztendlich könnte also der Veranstalter derjenige sein, der dem Kunden das Geld zurückerstattet oder als Ersatz einen Gutschein anbietet. An diesem Punkt raten die Freunde von Frau Rühl, die Sache auf sich beruhen zu lassen, weil alles zu anstrengend wird. Aber sie will an dieser Stelle nicht aufgeben. Aus Prinzip - und weil eine größere Summe im Spiel ist.
Ihre nächste Station: Die Art.Emis Entertainment GmbH, der Veranstalter des Military Tattoo, antwortet auf ihren Brief am 20. November. Darin heißt es, dass eine Rückzahlung von nicht in Anspruch genommenen Gutscheinen erst zum Jahresende 2021 erfolgen kann.
Für die Rückzahlung braucht man einen Gutschein
Dies sei vom Gesetzgeber für die Sicherung ihrer Branche festgelegt. Der Veranstalter könne keine Gutscheine ausstellen. Dies müsste wiederum die Vorverkaufsstelle oder das entsprechende Ticketsystem übernehmen, sprich die abwehrende CTS-Eventim. Und ohne die von diesen Stellen ausgestellten Gutscheine gäbe es am Stichtag Silvester 2021 auch kein Geld zurück.
Damit konfrontiert erklärt Benjamin Metz, der Pressesprecher des Veranstalters, gegenüber der AZ: "Sollten physische VVK-Stellen mittlerweile geschlossen haben, haben wir auf die Option hingewiesen, sich direkt unter Angabe der Ticketdaten mit dem jeweiligen Ticketanbieter (Eventim) in Verbindung zu setzen und haben hier die Kontakte zu den Servicestellen und auch zu den entsprechenden FAQ-Unterseiten mitgeschickt. Dies hat bei allen Kunden bis dato zur erfolgreichen Ausstellung der Gutscheine geführt."
Der Verbraucherschutz schafft Klarheit! Aber wie geht man vor?
Wirklich? Nicht im Fall von Margot Rühl. Zwar ist beim angegebenen Gutschein-Link von CTS-Eventim folgendes zu lesen: "Der Veranstalter hat entschieden, dass Sie einen Veranstaltergutschein erhalten. Dafür benötigen wir Ihre Tickets und Kontaktdaten. Bitte benutzen Sie dazu unbedingt unser Rückabwicklungsformular."
De facto aber kann Frau Rühls Internetanfrage nach Eingabe des 24-stelligen Barcodes auf ihrem Ticket aber "aktuell nicht verarbeitet" werden, wie es da heißt. Fragt man bei CTS-Eventim nach, schließt sich der (Teufels-)Kreis: "Wir können Ihre Bestellung über unser System leider nicht finden, da Ihre Tickets nicht bei uns gekauft wurden. Bitte wenden Sie sich an die Vorverkaufsstelle, über die Sie die Karten kauften." Da ist sie also wieder: die Standardmail, die den Schwarzen Peter weiterschiebt.
Bleibt die Frage nach dem Verbraucherschutz. Und der zeigt in Person von Simone Bueb, Referentin für Verbraucherrecht, ganz klar auf, wo die Verantwortung in diesem Fall liegt: "In dem von Ihnen beschriebenen Fall gehen wir davon aus, dass Eventim nur als Ticketzwischenhändler, nicht als Veranstalter aufgetreten ist. Unseres Erachtens muss aber genau dieser Ticketvertreiber den gesamten Betrag zurückerstatten. Es kann sich nicht auf die Regelungen der sogenannten Gutscheinlösung der Bundesregierung berufen, da diese nur den Veranstalter schützen soll."
Folgt man dieser Ansicht, bedeutet dies für Frau Rühl, dass sie gegenüber dem Ticketvertreiber Eventim einen Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Geldes hat. "Sie muss sich auch nicht mit einem Gutschein abfinden."
Ob Frau Rühl den Weg über die Gerichte gehen will? Sie hofft, dass mit ihrer Hartnäckigkeit der Branchenriese, die CTS-Eventim, doch etwas ins Wanken gerät - und andere Betroffene den Mut bekommen, sich zu wehren und nicht mit Standardantworten abzufinden, die einen nur zermürben sollen, damit man auf sein Geld verzichtet.
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