Gemischtes Wohnen im Inntal: Ein Projekt für Jung und Alt

Im Inntal ist ein neues Wohnprojekt das Nachbarschaftshilfe und Zusammenhalt in den Fokus stellt. Die AZ besucht die Gemeinschaft vor Ort.
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"InnZeit"-Geschäftsführer Rupert Voß steht im Wohnquartier "Dahoam im Inntal".
"InnZeit"-Geschäftsführer Rupert Voß steht im Wohnquartier "Dahoam im Inntal". © Leonie Meltzer

Gemeinde Brannenburg - In den Gärten sind schon Frühlingsblumen zu sehen. Auf den Terrassen des Wohnquartiers am nördlichen Alpenrand im Inntal liegen hier und da Spielsachen herum. Jede Hausgemeinschaft hat einen eigenen Grillplatz. Hier in der Gemeinde Brannenburg (Landkreis Rosenheim) entsteht seit 2012 mitten in oberbayerischer Alpenkulisse mit Riesenkopf, Hochsalwand und Wendelstein, das Projekt "Dahoam im Inntal. Lebensraum mit Herz". Größtenteils ist das Quartier schon bewohnt.

Projekt "Dahaom im Inntal": Vom Anfang bis zum Ende gut aufgehoben

Die Idee: einen Ort schaffen, der Familien, Singles und Senioren ein echtes Zuhause ermöglicht. Nachbarschaft, offene Türen und Gemeinschaft sollen im Mittelpunkt stehen. Die Vision der beiden Initiatoren Wolfgang Endler und Rupert Voß von der "InnZeit Bau GmbH" lautete ein Mehrgenerationen-Viertel verwirklichen, eine Art Dorf im Dorf, in dem jeder vom Anfang bis zum Ende seines Lebens gut aufgehoben ist. Wie das gelingt? "Das liegt an der Bevölkerung", sagt Voß der AZ.

Im Quartier wohnen 800 Menschen - Ziel: Lebensraum schaffen

Heute leben in dem neuen Ortsteil Sägmühle 800 Menschen, bis zur Fertigstellung 2022 werden es 1.000 sein: "2014 haben wir mit dem Bauen angefangen, 2015 sind die ersten eingezogen", erzählt Geschäftsführer Voß. "Wir wollten Lebensraum schaffen - Wohnraum ermöglichen, das kann ja jeder." Damit die gemischte Mehrgenerationen-Struktur gelingt, wurde bei der Auswahl der Bewohner auf das Alter geachtet. Das Durchschnittsalter in Deutschland betrage etwa 44 Jahre, vor Ort "Dahoam" sind es 43,6.

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Die Verwirklichung des Quartiers sei ein Versuch gewesen, die Eigenverantwortung zu stärken, soziale Kosten wieder auf die Nachbarschaft umzulegen und dafür die nötige Struktur anzubieten. Wirtschaftlichkeit, Gemeinwohl und Sinnhaftigkeit zeichneten das Projekt aus. Voß, der gelernter Schreiner ist, hatte zuvor in Taufkirchen ein Projekt für straffällig gewordene Jugendliche, die "Work & Box Company", gegründet. Eigentümer Endler - auch Schreiner - war in München aufgewachsen, hatte als Surflehrer gearbeitet, bevor er in Südafrika die Modefirma Timezone gründete.

Voß: "Sehnsucht nach Zusammenhalt in der Gesellschaft wächst"

Die Sehnsucht nach Zusammenhalt in der Gesellschaft wachse, so Voß. Die Vorstellung, generationsübergreifenden Wohnraum zu schaffen, fanden deshalb beide gut. Bei der Suche nach einem passenden Grundstück seien sie auf die Karfreit-Kaserne in Brannenburg gestoßen, die um 1935/ 36 gebaut wurde. In dem Areal, das so groß wie 21 Fußballfelder ist, wurden Gebirgsjäger untergebracht.

Zentrales Gebäude des Dorfes ist heute ein Wohnkomplex mit Uhrturm. Im Quartier finden sich 520 Wohneinheiten zum Kauf oder zur Miete, darunter Einzimmerapartments und Familieneinheiten mit bis zu 4,5 Zimmern sowie Häuser. Parkettboden, Nahwärme und Warmwasserbereitung direkt in der Wohnung haben alle gemeinsam; die Tiefgarage wurde entlang des Straßenverlaufs angelegt. "So weiß jeder, wo er hin muss", so Voß. Friedrich Klotzbücher (72) lebt seit fast vier Jahren vor Ort mit seiner Frau: "Wir haben uns damals überlegt, wie wir im Alter leben wollen - unbeschwert." Barrierefreiheit und leichtes Wohnen seien Kriterien gewesen, genauso wie das Leben auf dem Land. "Nun wohnen wir mit Blick auf den Wendelstein."

Bandbreite von Angeboten: Kinderhaus, Energieversorgung, Gemeinschaftsgärten

Die Komplexität des Projektes sei besonders, sagt der 55-jährige Voß. "Es wurde die gesamte Lebenswirklichkeit abgebildet." Die Spannbreite der Angebote vor Ort sei enorm und mit regionalen Partnern verwirklicht worden: vom Montessori-Kinderhaus, das von 6.30 bis 22 Uhr geöffnet ist über eine eigene Energieversorgung, Fledermaushabitate und Gemeinschaftsgärten, bis zur Gewerbeentwicklung, die Raum für 440 Arbeitsplätze schuf. Im März und April kommen Wohngruppen für Menschen mit geistiger Behinderung sowie betreutes Wohnen hinzu, Partner ist das Christliche Sozialwerk. Für Senioren soll es dann Pflegeangebote wie Demenzbetreuung geben. Im Freien werden gerade Senioren-Fitness-Geräte aufgebaut. "Die Idee habe ich aus Spanien mitgebracht", so Voß.

Der Zusammenhalt ist groß, viele Türen stehen immer offen

Bewohner Klotzbücher ist begeistert von dem Pflege- und Betreuungsangebot: "Die mögliche soziale Absicherung in der Zukunft fühlte sich gut an - das war ein Grund, wieso wir hergezogen sind." Die Nachfrage für das Quartier war groß, die meisten Einfamilienhäuser und Wohnungen sind verkauft. Kein Wunder: Eine 4,5-Zimmerwohnung im Erdgeschoss mit Garten war bereits ab rund 400.000 Euro zu haben. Familien erhielten einen Rabatt von 15.000 Euro pro Kind. Für Menschen mit schmalem Geldbeutel gab es geförderte Wohnungen. Aktuell zu mieten sind noch Apartments im Bereich betreutes Wohnen.

Streit unter den Bewohnern? Den gebe es natürlich, das gehöre schließlich dazu, findet Voß. Auch das Gemeinschaftsgefühl funktioniere in einem Haus besser, in einem anderen weniger. "Das ist aber menschliche Vielfalt." "Wir haben wahnsinnig nette Nachbarn mit Kindern", erzählt Klotzbücher. Der Zusammenhalt unter den Bewohnern sei groß, die Türen stünden immer offen. "Wir haben eine Whatsapp-Gruppe, wo immer gefragt wird, ob jemand etwas braucht." Hecken dürfen übrigens nicht gepflanzt werden, "damit es offen bleibt und man mit seinem Nachbarn ins Gespräch kommen kann", so Voß.

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  • rosa kuntz am 23.02.2021 15:31 Uhr / Bewertung:

    Diese Wohnform ist sicher eine bedenkens- und nachahmenswerte Alternative. Erst recht, wenn sie noch genügend Grünfläche lässt zur Bepflanzung von Baumen und Sträuchern, um den jüngeren Bewohnern Vögel und Insekten auch im Garten näher zu bringen. Zudem ist eine solche Bebauung auch für noch in der Stadt lebende Familien eine gute Alternative, wenn die Entfernung zum Broterwerb noch in angemessener Zeit bewältigt werden kann, weil man davon ausgehen kann, dass damit auch eine günstigere Miete/Kaufpreis gegeben ist.
    Dennoch finde ich ist es nicht angebracht, den Menschen, die sich für Wohnen im eigenen Haus auf eigenem Grundstück, dies versagen zu wollen, wie es unlängst bei den Grünen geäußert wurde. Es gibt viele verantwortungsbewußte Hauseigentümer, die ihre Grundstücke natur- und umweltfreundlich gestalten und damit ihren Beitrag zur umwelt- und klimagerechten Wohnmöglichkeit leisten. Allerdings nicht jede grüne Wiese als Bauland ausweisen,
    sondern Baulücken nutzen ist Thema.

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