Flüchtlings-Zustrom im Umland von München: Landrat befürchtet "Zusammenbruch des Systems"

Die Beschlüsse der Migrations-Ministerpräsidentenkonferenz reichen für die bayerischen Landkreise nicht, um die Zuwanderung und Integration zu bewältigen. Die Landräte von Starnberg und Fürstenfeldbruck sprechen mit der AZ darüber, warum das so ist.
von  Anne Wildermann
Viele bayerische Landkreise sind mittlerweile mit der Zuwanderung und Integration überfordert. (Symbolbild)
Viele bayerische Landkreise sind mittlerweile mit der Zuwanderung und Integration überfordert. (Symbolbild) © Paul Zinken/dpa

Starnberg/Fürstenfeldbruck - Die Landkreise Starnberg und Fürstenfeldbruck sind laut eigener Aussage mit der Zuwanderung und Integration überfordert. So bestätigt Landrat Stefan Frey (CSU) auf AZ-Anfrage, sein Landkreis sei am Limit. Konkret: "Die Aufnahmequote hat der Landkreis Starnberg übererfüllt", betont er und stellt die Frage "Wie lange das so weitergehen soll?"

Die steigende Zahl der Geflüchteten in Bayern stellt den Freistaat und seine Landeshauptstadt vor große Herausforderungen. Allein in Oberbayern zählt das Bayerische Landesamt für Statistik Anfang Dezember rund 137.600 Schutzsuchende, etwa 58 500 von ihnen in München. Die AZ zeigt Ihnen in einer neuen Serie die Situation aus Sicht der Politiker, der Geflüchteten und der Helfer.
Die steigende Zahl der Geflüchteten in Bayern stellt den Freistaat und seine Landeshauptstadt vor große Herausforderungen. Allein in Oberbayern zählt das Bayerische Landesamt für Statistik Anfang Dezember rund 137.600 Schutzsuchende, etwa 58 500 von ihnen in München. Die AZ zeigt Ihnen in einer neuen Serie die Situation aus Sicht der Politiker, der Geflüchteten und der Helfer. © dpa/AZ

Trotz der Migrations-Ministerpräsidentenkonferenz, die vergangene Woche stattgefunden hat, ist Frey davon überzeugt, dass eines nicht gelingen wird: "Die Zahl der Zuwanderer spürbar zu senken." Ebenso sieht er Probleme bei der Integration der Betroffenen. Personal- und Geldmangel seien die Gründe. "Es kommt ein Querschnitt der Gesellschaft eines Landes zu uns. Darunter solche Menschen, die es aus eigenem Antrieb schaffen, die Sprache zu lernen und sich in den Arbeitsprozess integrieren. Aber auch viele Menschen, die das nicht hinbekommen, keine Perspektiven für sich in unserer Gesellschaft sehen und dauerhaft von Sozialleistungen leben müssen." Vor allem Letztere fallen dann durchs Raster. 

Starnberg-Landrat Stefan Frey (CSU).
Starnberg-Landrat Stefan Frey (CSU). © privat

"Das Geld fehlt an anderer Stelle, wo es aktuell ebenso dringend benötigt wurde"

Obwohl es den insgesamt 14 Kommunen an finanziellen Mitteln fehlt, müssen diese beispielsweise die Unterbringung von ukrainischen Geflüchteten aus dem eigenen Haushalt bestreiten. Der Haken: "Das Geld fehlt an anderer Stelle, wo es aktuell ebenso dringend benötigt wurde", erklärt Frey.

Vor allem was die Unterbringung der Flüchtlinge betrifft, ist vieles auf Kante genäht. "Wir finden aktuell kaum noch leerstehenden Wohnraum. Die bestehenden elf Gemeinschaftsunterkünfte sind belegt, ebenso die von uns angemieteten dezentralen Wohnungen. Eine Unterbringung von Menschen in Turnhallen lehne ich ab. Das ist weder für die Menschen noch für die Stimmung vor Ort gut." Dennoch hören die Zuweisungen nicht auf.

Ende Oktober wurden dem Landkreis noch mal 50 Personen zugewiesen. Insgesamt sind sie die Geflüchteten auf elf Gemeinschafts- und 80 dezentralen Unterkünften verteilt. Frey rechnet damit, "dass weitere Zuweisungen wieder ab Ende November auf uns zukommen". Um weitere Plätze zu ermöglichen, plant die Politik folgendes: "Bis zum Frühjahr des kommenden Jahres bauen wir Wohnmodulsiedlungen in zwei Kommunen, die derzeit noch keine Gemeinschaftsunterkunft haben, jeweils für bis zu 150 Menschen. Darüber hinaus planen wir die Erweiterung bestehender Containerunterkünfte."

Die Gesamtzahl der im Landkreis untergebrachten Flüchtlinge, Stand Ende Oktober, beträgt laut Landratsamt: 4.358, davon sind 1.787 Ukrainer. Es sind Asylberechtigte, Flüchtlinge, Personen mit subsidiärem Schutz (im Herkunftsland droht etwa Folter) sowie mit laufendem Asylverfahren und Duldung.

Auch Landrat Thomas Karmasin (CSU) für den Landkreis Fürstenfeldbruck hat nach der Migrations-Ministerpräsidentenkonferenz einiges zu monieren: "Bei dem ,Gipfel' wäre eine längere Perspektive wünschenswert gewesen, als wieder nur die nächsten Monate rumzukriegen. Aus unserer Sicht werden die jetzt vorgelegten Maßnahmen nichts am Zustrom nach Deutschland und in den Landkreis Fürstenfeldbruck ändern."

Landrat in Fürstenfeldbruck: Thomas Karmasin.
Landrat in Fürstenfeldbruck: Thomas Karmasin. © Frank Röthel

Jetziges Problem in der Stadt Fürstenfeldbruck ist, dass sie nach Angaben des Landratsamtes schon stärker für die Unterbringung von Menschen mit Migrationshintergrund herangezogen wird als andere Kommunen. "Bisher ist es uns als Landratsamt gelungen, einen Interessensausgleich zwischen allen Betroffenen herzustellen. Bei ungebremstem Zuzug allerdings werden wir bald die Interessen der Migranten vor die der Kommunen stellen müssen", gibt Karmasin auf AZ-Anfrage zu bedenken.

Doch wie ist die aktuelle Lage vor Ort? Alle zwei Wochen kommt ein Bus mit 50 Personen an, die dem Kreis zugewiesen wurden. Zurzeit gibt es noch 80 bis 100 Plätze, um die Geflüchteten unterzubringen. Daraus ergibt sich selbes Problem wie im Landkreis Starnberg: Es gibt einfach zu wenig Unterkünfte. "Wir haben seit Kriegsbeginn 2022 45 neue Unterkunftsplätze mit fast 1000 neuen Plätzen geschaffen. Eine Generierung weiterer Plätze ist uns faktisch nicht möglich", gibt Karmasin unverblümt zu.

Geflüchtete in Fürstenfeldbruck sind unter anderem auch in Zelten untergebracht

Dem nicht genug: Auch das notwendige Fach-Personal fehlt, das sowohl auf Behörden- als auch auf Integrationsseite zuständig ist. "Bei Sprachkursen, Wohnung, Kita, Schule, geeigneter Ausbildung, Arbeitsplatz, medizinischem Versorgungssystem ist die Belastungsgrenze längst erreicht." Der CSU-Politiker geht davon aus, dass nach gleichbleibenden Zuweisungen für den Landkreis, wie sie in der Vergangenheit stattgefunden haben, bis Jahresende noch zwischen 250 bis 300 Flüchtlinge ankommen werden. Diese stammen derzeit hauptsächlich aus der Türkei, Afghanistan, Syrien, Sierra-Leone und Nigeria.

Untergebracht werden die Betroffenen in der "Anker"-Einrichtung (eine Massenunterkunft), in Festbauten, in ehemaligen Hotels, Pflegeheimen, Wohnungen, Containeranlagen aber auch in Zelten. Vor allem die Städte Olching und Fürstenfeldbruck haben die meisten aufgenommen, die wenigsten die Gemeinde Kottgeisering. Für Karmasin steht eines jetzt schon fest: "Wird der Zustrom nicht in absehbarer Zeit gestoppt, wird es zu einem Zusammenbruch des Systems aus Unterbringung und Integration kommen."


Die Flüchtlingssituation in München und Bayern

Die steigende Zahl der Geflüchteten in Bayern stellt den Freistaat und seine Landeshauptstadt vor große Herausforderungen. Allein in Oberbayern zählt das Bayerische Landesamt für Statistik Anfang Dezember rund 137.600 Schutzsuchende, etwa 58 500 von ihnen in München. Die AZ zeigt Ihnen in einer neuen Serie die Situation aus Sicht der Politiker, der Geflüchteten und der Helfer.

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