Engel mal anders: Ausstellung wirft neues Licht auf Himmelswesen

Eine neue Ausstellung in der Erlöserkirche Fürstenfeldbruck zeigt die geflügelten Wesen in neuem Licht. Die Idee: Vorurteile abbauen.
von  Leonie Fuchs
"Flucht vor dem Todesengel" lautet ein Werk von Willam-Singer.
"Flucht vor dem Todesengel" lautet ein Werk von Willam-Singer. © lf

Fürstenfeldbruck - Zur Weihnachtszeit haben sie wieder Hochkonjunktur: Engelsdarstellungen. Oft erscheinen sie dann in der Gestalt von Putten - mit Flügeln, in einem weißen Gewand, golden glitzernd, mit blonden Haaren oder als Kind. Immer sind die Figuren süß, liebevoll, schön.

Niclas Willam-Singer (65) war 13 Jahre lang in der Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck als Pfarrer tätig. Nun ist der Protestant in Rente zweiter Vorsitzender des Fördervereins Kultur Olching und dort Leiter der Künstlergruppe. Seine Mission: Mit Kunst ein Stück mehr Vielfalt in die Kirche bringen. Stereotype Engel haben deshalb in der von ihm organisierten Ausstellung "Ich zeig dir (m)einen Engel" in der Erlöserkirche keinen Platz. Stattdessen schwebt hier etwa eine Barbie durch das Gotteshaus.

Der Pfarrer im Ruhestand, Künstler und Kurator Willam-Singer, neben seiner Interpretation eines Erzengels.
Der Pfarrer im Ruhestand, Künstler und Kurator Willam-Singer, neben seiner Interpretation eines Erzengels. © Petra Schramek

"Es geht darum, von Ausgrenzung wegzukommen"

"Meine Frau sagt immer: ‚Du bist und bleibst ein Missionar'." Den Menschen sollen in der Ausstellung die Augen geöffnet werden, sagt Willam-Singer der AZ. Ihm gehe es darum, Klischees entgegenzuwirken, "die Schere aus dem Kopf" zu nehmen, wegzukommen von einseitigem Denken, von Engstirnigkeit und Ausgrenzung. "Ich bin ein Mensch, der ,open minded' ist", also offen. Die Ausstellung soll Besucher auch anregen, über die eigene Vorstellung von Engeln nachzudenken und Vorurteile abzubauen. Ob da auch Kritik an der Kirche mitschwingt? "Ja, na klar."

Raffaels Engel, die Nürnberger Rauschgoldengel oder die gelben Engel vom ADAC seien den meisten bekannt. Doch die Wesen gebe es in vielen Formen. "Engel sind Sie und ich, weil Gott sich seit jeher Menschen berufen hat, die anderen helfen." Sei es etwa in dem Augenblick, in dem jemand medizinische Hilfe benötigt und eine Person den Notarzt ruft. "Dann werden Sie zum rettenden Engel", so der ehemalige Pfarrer. Auf der anderen Seite gebe es eben den Glauben an die übernatürlichen Gestalten und daran, dass es "zwischen Himmel und Erde mehr gibt". Er fügt hinzu: "Natürlich kann man das auch Glück oder Zufall nennen, oder aber es sind eben doch Engel."

Klaus Kühnlein hat ein Erlebnis mit einem Schutzengel verarbeitet: Auf dem Boden liegt die Motorradkombi, mit der er mehrere Unfälle hatte.
Klaus Kühnlein hat ein Erlebnis mit einem Schutzengel verarbeitet: Auf dem Boden liegt die Motorradkombi, mit der er mehrere Unfälle hatte. © Petra Schramek

Geschichtlich gesehen tauchen Engel lang vor dem Christentum auf, weiß Willam-Singer. Etwa als geflügelte Wesen im alten Ägypten oder in Südamerika. Im Alten Testament heißt es: "Wer Gott sieht, stirbt", so der Pensionist. Engel seien in der Bibel deshalb stets die Mittlerwesen zwischen Menschen und Gott. Sie verkörpern ihn, haben im katholischen Glauben gar feste Hierarchien. Als Botschafter müssten sie dann natürlich immer süß dargestellt sein - "genau von diesem Bild wollte ich weg".

So sind in der Erlöserkirche noch bis zum 7. Januar große, kleine, gemalte, gezeichnete, fotografierte, tönerne, hölzerne, fliegende, stehende, lieblich anmutende oder düstere Engel von der Olchinger Künstlergruppe zu sehen. Manche geflügelte oder ungeflügelte sind aus Draht, andere aus Plastik oder Beton. Einer ist grün, andere bunt. Männliche, weibliche und genderneutrale Engel sind zu finden, ebenso
tierische Wesen. Die Darstellungen und ihre Bedeutungen sollen dabei unabhängig von Religionen stehen; auch sind nicht alle Künstler gläubig.

Willam-Singer selbst hat etwa einen Erzengel dargestellt - "halb traditionell, mit gefundenen Teilen". Auch die "Flucht vor dem Todesengel" hat er in einem Werk abgebildet. "Aktuell möchte ich meine Pension genießen und gerne noch etwas vor dem Todesengel fliehen." Deshalb sei dieser sein persönlicher Engel, sagt der Künstler und zeigt auf ein Geschöpf mit schwarzem Umhang. Dessen Gesicht ist ein Totenkopf, der zur Hälfte in Regenbogenfarben bemalt wurde.

Engel, mal modern: Der "fliegende Turboengel" von Konrad Bogner hängt in der Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck.
Engel, mal modern: Der "fliegende Turboengel" von Konrad Bogner hängt in der Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck. © Petra Schramek

"Das steht dafür, was nach dem Tod kommt - ich hoffe, es ist bunt." Zu seinen Füßen wurde eine weiße Figur platziert, die davon läuft.

Künstler Klaus Kühnlein wiederum hat sein eigenes Erlebnis mit einem Schutzengel veranschaulicht. Seine Motorradkombi liegt auf dem Boden zwischen Kirchenaltar und -gestühl, darüber wurden kreisförmige Drähte gespannt. In dieser Kleidung habe er vier Unfälle gehabt, erzählt Willam-Singer. "Beim letzten hätte er auch tot sein können, hat sich aber nur den kleinen Finger gebrochen."

Ola Schmidt, die als Bildende Künstlerin mit Beton arbeitet, hat den gefallenen Engel Luzifer geformt, Sebastian Fink den "Bergengel" fotografisch festgehalten. Konrad Bogner zeigt hingegen einen modernen, "fliegenden Turboengel", der gerade auf der Erde landet: Eine grüne Puppe mit Raketenantrieb hängt hierbei von der Kirchendecke hinunter.

Aktuell gebe es generell einen Engel-Hype, auch unabhängig von Weihnachten, meint Willam-Singer. "Krisen lassen wieder mehr glauben." Viele Menschen verlassen derzeit die Kirche, fügt er hinzu. "Doch das Gefühl, dass es noch irgendetwas anderes gibt, das bleibt oft."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.