"Dass in Bayern sowas möglich ist": SPD und CSU versöhnen sich – und Kirchheim bekommt neuen Bürgermeister

München/Kirchheim - Es gab Zeiten, da hätte er die Straßenseite gewechselt, wenn ihm der Kirchheimer Bürgermeister Maximilian Böltl auf der Straße begegnet wäre, sagt Stephan Keck. Er ist bei der SPD, Böltl bei der CSU. 2014 wollten beide Bürgermeister von Kirchheim werden.
In der Gemeinde nordöstlich Münchens leben rund 12.000 Einwohner, etwas mehr als halb so viele wie im Lehel. Trotzdem kämpften beide erbittert um das Kirchheimer Rathaus. Böltl siegte knapp. Es war schon das zweite Mal, dass Stephan Keck einen Bürgermeister-Wahlkampf in Kirchheim verlor.
Stephan Keck (SPD) wird Bürgermeister in Kirchheim
Diese Woche geht für Stephan Keck ein alter Traum in Erfüllung, den er eigentlich schon längst aufgegeben hatte. Er wird mit 59 Jahren nach zwei Versuchen doch noch Kirchheimer Bürgermeister. Maximilian Böltl (40) wechselte diesen Montag nämlich vom Rathaus in den Landtag. Er hat im Landkreis München ein Direktmandat für die CSU gewonnen. Als Nachfolger schlägt er Stephan Keck vor – obwohl der immer noch ein SPD-Parteibuch hat.
Wie lässt sich das alles erklären? "Ein halbes Jahr nach der Wahl haben wir uns auf neutralem Boden in der Nachbargemeinde zum Mittagessen getroffen", erzählt Stephan Keck am Telefon. Danach sei die Zusammenarbeit immer besser und schließlich richtig vertrauensvoll geworden. "Wir haben damals zueinander gefunden, weil wir wussten – ein dauerhaftes politisches Gegeneinander schadet irgendwann auch der Lebensqualität im Ort", sagt Maximilian Böltl.
Nächstes Jahr findet im Ortspark in Kirchheim die Landesgartenschau statt
Und tatsächlich gab es in dem kleinen Kirchheim vieles anzupacken. Eigentlich besteht der Ort nämlich aus zwei Teilen. Sie miteinander durch ein neues Zentrum zu verbinden, hatten sich Gemeinderäte schon seit den 70er Jahren vorgenommen. Gebaut wurde allerdings in all den Jahren nichts, weil sich die Gemeinderäte, Grundstücksbesitzer und Bewohner nicht einig wurden.
Böltl und Keck beschlossen, das zu ändern. Heute, sagt Stephan Keck, sei Kirchheim nicht wiederzuerkennen: Auf einer ehemaligen Ackerfläche entstehen Wohnungen, Kinderbetreuungseinrichtungen, auch ein neues Gymnasium wird gebaut und nächstes Jahr eröffnet im neuen Ortspark die Landesgartenschau. Es wird einen See im Park geben, ein neues Rathaus und einen neuen Bürgersaal.
Maximilian Böltl: "Ein Bürgermeister muss zuhören, pragmatisch anpacken und Entscheidungen treffen"
Stephan Keck trug für all das die Verantwortung mit, denn 2018 wurde er Böltls Stellvertreter. Als solcher übernimmt er die Geschäfte im Rathaus nach Böltls Vereidigung. Das ist ganz normal. Aber dann muss in Kirchheim neu gewählt werden. Und auch dann spricht sich Böltl für Stephan Keck aus. Die CSU wird keinen eigenen Kandidaten nominieren.
"Ein Bürgermeister muss zuhören und zusammenhalten. Er muss pragmatisch anpacken und die Kraft haben, eigene Entscheidungen zu treffen. In unserer besonderen örtlichen Situation muss er tief in die Themen eingearbeitet sein, damit laufende Projekte nahtlos vorankommen", sagt Böltl. Und aus seiner Sicht trifft all das auf Stephan Keck zu. Letztlich beschloss die CSU, den SPDler Keck mitzutragen. "Die Reihenfolge war immer: Erst die Gemeinde, dann die Partei", heißt es in einer Mitteilung aus dem CSU-Ortsverein.
Diese Haltung werde der CSU im Ort hoch angerechnet, glaubt Böltl. Auch außerhalb Kirchheims gebe es in der CSU Verständnis dafür, dass sein Ortsverband eine harmonische Lösung gesucht habe, sagt Böltl. Und auch Keck hat viel Lob gehört. "Dass bei euch in Bayern so etwas möglich ist", hätten ihm Freunde geschrieben. Ein Lehrstück an Demokratie sei das. Auf jeden Fall ist ein Zeichen, dass Versöhnung in diesen Zeiten doch noch möglich ist.