Umfrage zeigt: So rasant wächst der Hass

43 Prozent geben an, schon einmal Opfer von Hasskriminalität geworden zu sein. An die Polizei wendet sich aber kaum jemand - oft aus Angst.
von  Christina Hertel
"München ist bunt", ein auf Demonstrationen gerne hochgehaltener Plakatspruch. Doch im Alltag erleben erschreckend viele Menschen, dass Vielfalt von Mitbürgern als Problem gesehen wird. Sie werden Opfer von Hasskriminalität.
"München ist bunt", ein auf Demonstrationen gerne hochgehaltener Plakatspruch. Doch im Alltag erleben erschreckend viele Menschen, dass Vielfalt von Mitbürgern als Problem gesehen wird. Sie werden Opfer von Hasskriminalität. © Sven Hoppe/dpa

München - "Ihr seid vergessen worden zu vergasen", daneben ein Hakenkreuz, an der Wohnungstür, am Eingang einer Beratungsstelle, an einem Spielplatz - alles Orte, wo sich viele Sinti und Roma aufhalten.

Hasskriminalität: Wenn Opfer "panische Angst" vor Polizei und Behörden haben

Er habe die Taten angezeigt, doch das Verfahren wurde eingestellt, erzählt Alexander Diepold, der eine Beratungsstelle für Sinti und Roma leitet. Diepold kann von Familien erzählen, die eine Wohnung suchten und 120 Ablehnungen erhielten. Von Leuten, die Polizeigewalt erfuhren.

Von Menschen, die sich von Richtern unter Druck gesetzt fühlten, eine Straftat zu bekennen, die sie nicht begangen hatten. Vor der Polizei, vor den Behörden haben seine Klienten eine "panische Angst", sagt Diepold.

Befragung zur Hasskriminalität: Erschütternde Ergebnisse

Ihn überraschen die Ergebnisse einer Befragung zur Hasskriminalität nicht: Nur acht Prozent der Befragten, die Opfer von Hasskriminalität wurden, riefen demnach die Polizei.

Durchgeführt hat diese Studie das Sozialwissenschaftliche Institut München vergangenes Jahr im Auftrag der Stadt, am Dienstag stellte das Institut die Ergebnisse vor. Ziel war es, mehr Taten zu erfassen als jene, die Opfer der Polizei melden.

Denn zwar registriert auch die Polizei einen Anstieg von Hasskriminalität, also von Straftaten, die zum Beispiel aus rassistischen oder homophoben Motiven begangen wurden: 2020 nahm sie 38 Prozent mehr solcher Delikte auf als im Vorjahr. Allerdings dürften die Zahlen in Wirklichkeit noch viel höher sein. Die Sozialwissenschaftler wollten also Licht in ein großes Dunkelfeld bringen.

Hasskriminalität: 80 Prozent der Täter waren männlich

Ihre Ergebnisse: 43 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Opfer einer "vorurteilsmotivierten" Straftat geworden zu sein. Mehr als ein Drittel geht davon aus, dass die Täter sie aufgrund ihrer Herkunft beschimpften, angriffen oder bedrohten. Jeweils ein Viertel dieser Taten ereignete sich laut der Befragung im beruflichen Kontext. 80 Prozent der Täter waren männlich.

Hasskriminalität: Die Sache mit den Zeugen

In mehr als der Hälfte der Fälle gab es Zeugen. Doch fast 60 Prozent schauten weg. Kaum eines der Opfer rief die Polizei. Ein Drittel ging davon aus, dass diese sie "sowieso nicht ernstgenommen hätte".

Diese Zahlen tauchen also in keiner offiziellen Statistik auf. Folgen haben sie für die Betroffenen trotzdem. Das erklärte Werner Fröhlich, der die Befragung durchführte: 40 Prozent haben seitdem Angst. Ebenso viele meiden bestimmte Plätze und Straßen. 30 Prozent gehen lieber nicht bei Dunkelheit aus dem Haus oder benutzen den öffentlichen Nahverkehr nur, wenn es nicht anders geht.

Studie zur Hasskriminalität: Mehr Kampagnen für mehr Zivilcourage?

Es gibt also viele Menschen in dieser Stadt, die sich in München nicht zu Hause fühlen. "Vielleicht hat sich München zu sehr auf dem Titel 'Weltstadt mit Herz' ausgeruht", sagt Dominik Krause, ein Stadtrat der Grünen und selbst ein Betroffener von Hass: Er ließ vor Jahren eine Adress-Sperre bei der Stadt erwirken. Denn auch er bekam eine Zeit lang so viele Hassbotschaften, dass es sich lohnte, dafür einen eigenen E-Mail-Ordner anzulegen. Menschen beschimpften ihn als "Schwuchtel", drohten, ihm "einen Besuch abzustatten".

"Wir sollten uns fragen, ob wir als Stadt wirklich genug tun", sagt Krause. Auch der Verfasser des Berichts, Werner Fröhlich, fordert, dass die Stadt handeln muss. Sie sollte aus seiner Sicht Kampagnen für mehr Zivilcourage starten. Außerdem sollte es mehr Aufklärung darüber geben, in welchen Fällen man Anzeige erstatten kann. Auch die Meldewege sollten einfacher zugänglich sein, findet er.

Hasskriminalität: Polizei verstärkt entsprechende Stelle

Polizeipräsident Thomas Hampel verweist darauf, dass seine Behörde Vertrauenswerte von bis zu 80 Prozent genieße. Auch Präventions- und Aufklärungskampagnen gebe es viele. Denn offensichtlich besorgt es auch die Münchner Polizei, dass in der eigentlich sichersten Großstadt Europas der Hass steigt. Anfang 2020 hat sie deshalb ihre Stelle, die für diese Form der Kriminalität zuständig ist, verstärkt.

Alexander Diepold von der Beratungsstelle für Sinti und Roma würde sich mit der Münchner Polizei trotzdem gerne näher austauschen, sagt er: "Wir beraten 2.500 Sinti und Roma. Zur Polizei geht aber kaum jemand - aus Angst."

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