Umbau am Harras: Presslufthammer in der Nacht

Bagger, Trennschleifer, Muldenkipper – jede Nacht, direkt vorm Balkon! Seit November machen viele Sendlinger wegen des Umbaus des S-Bahnhofs am Harras kaum ein Auge zu.  
von  T. Gautier
Die Baustelle am S-Bahnhof Harras ist nur einen Steinwurf entfernt – und bringt die Anwohner
Gerhard Rudloff, Jürgen Specht und Janine Wilhelm (v. l.) um den Schlaf.
Die Baustelle am S-Bahnhof Harras ist nur einen Steinwurf entfernt – und bringt die Anwohner Gerhard Rudloff, Jürgen Specht und Janine Wilhelm (v. l.) um den Schlaf. © Gregor Feindt

Bagger, Trennschleifer, Muldenkipper – jede Nacht, direkt vorm Balkon! Seit November machen viele Sendlinger wegen des Umbaus des S-Bahnhofs am Harras kaum ein Auge zu.

München - Jeden Abend kommen sie wieder. Und graben. So schnell sie können, so laut wie es sein muss. Die ganze Nacht. Nur tagsüber ist es still, dann holen viele Bewohner des Hauses Albert-Roßhaupter- Straße 14 den verlorenen Schlaf nach. Wenn die Sonne untergeht, geht’s wieder los.

Seit 13. November machen die 80 Bewohner des Hauses an der Harras-Unterführung kaum ein Auge zu: Die Bahn bohrt, baut, hämmert und buddelt für drei Millionen Euro am neuen S-Bahnhof. Bis Oktober soll hier alles neu werden: Belag, Leitlinien für Blinde, Treppen und Aufzug, der Bahnsteig wird auf 220 Meter verlängert. Das alles zwischen 23 Uhr abends und 5 Uhr morgens, weil: Tagsüber müssen ja Züge fahren.

Im April riss eine Maschine vor Jürgen Spechts Balkon die 60 Zentimeter dicke Betondecke nächtelang in Stücke, eine zweite rammte Stützbleche in die Grube – Vorarbeiten zum neuen Treppenaufgang. In Spechts Wohnung wanderten Tassen über den Wohnzimmertisch. Gläser fielen aus dem Schrank. Jetzt leidet der Anwaltssekretär unter ratternden Presslufthämmern und Muldenkippern, die scheppernd Schutt verladen. Da er nicht schlafen kann, verbringt Specht die Nächte am PC – und notiert alles in einem Protokoll.

„Es eine Sauerei, was hier Nacht für Nacht abgeht“, sagen Specht und seine Nachbarn: „Die arbeiten sogar sonntags!“, klagt GerhardRudloff (64). Wenn er es nicht mehr aushält, geht er mit dem Hund Gassi – um ein Uhr morgens. Janine Wilhelm (25) ist wegen ihrer Tochter Chiara (neun Monate) meistens wach: „Sie schläft extrem unruhig. Und ich höchstens fünf Stunden.“ Die Nachbarn können nicht mehr: „Der Lärm macht uns krank.“

Die Stadt kann für den Lärm-Terror nichts – Bauarbeiten auf Eisenbahnflächen genehmigt das Eisenbahnbundesamt. Auch Sendlings Bezirksausschuss (BA) ist machtlos. BA-Chef Günter Pelkowski forderte von der Bahn, „unzumutbare Störungen der Nachbarn“ zu unterlassen. „Doch das ist eben ein dehnbarer Begriff“, sagt Pelkowski.

Jürgen Specht will sein Tagebuch jedenfalls fortführen – um damit später Mietminderung zu erwirken. „Oder Schmerzensgeld!“


13. November 2010: Demontage der äußeren Verkleidung des Überdaches.

14. November: Die Nacht wird gehämmert, was das Zeug hält. Auf dem Dach wird Kies umgeschaufelt.

2. April 2011: Es werden Bleche in den Boden gerammt – seit Tagen.

3. April: Bei mir wandern Gegenstände über den Tisch und durch den Schrank. Ich selbst wurde aus dem Bett gerüttelt. Ich muss raus.

13. April: Gläser und Tassen fallen aus dem Schrank, an Einschlafen kann ich nicht denken – weil alles vibriert, nicht nur der Boden und die Decke, auch das Bett. Dazu unsagbarer Lärm. Warum hat man den Bahnhof nicht gesprengt? Dann hätte es nur einen Rumms gegeben.

17. April, 23 Uhr: Der große Meißelbagger ist wieder im Einsatz, es gleicht einem Kanonenschuss nach dem anderen auf hartem Beton.

18. April, 23 Uhr: Drei Bagger am Werk.

19. April, 22.50 Uhr: Vier Presslufthämmer und ein Abräumbagger, der den zertrümmerten Abraumwegschafft.

20. April, 1.50 Uhr: Vier Presslufthämmer im Chor. Nebenan Schweißarbeiten. Die Blitze erleuchten mein Appartement wie die eines Gewitters. Mir geht es gesundheitlich schlecht (Hunger, aber keinen Appetit).

Karfreitag, 22. April, bis einschließlich Ostermontag, 25. April: Ruhe, allerdings nur bis Ostermontag, 22.50 Uhr. Dann wird gearbeitet bis 5 Uhr früh.

29. April, ab 7.15 Uhr: Meißelbagger im Einsatz, Lärm bis 21 Uhr.

1. Mai, 9.20 Uhr: Tag der Arbeit. Meißelbagger. Später wechselt er zur Schaufel und räumt den Abbruch zur Seite. 16.10 Uhr: Bagger wird mit Betonzange ausgerüstet und zerquetscht zu große Betonbrocken in transportable Stücke.

2. Mai, 23 Uhr: Abräumbagger baggert den Abraum zum Abtransport. Für diese Nacht wieder einiges zu erwarten.

11. Mai: 23 Uhr: Neben hochtourigem Lärmpegel der Motoren kommt der Lärm des Baggerns, des Schaufelns und Abtransportes hinzu (es quietscht und scheppert). 1.35 Uhr: Pressluftgehämmer. 2.15 Uhr: Kettensäge oder Trennschleifer im Einsatz. 2.30 Uhr: Presslufthämmer im Gleichklang. Arbeiten gehen bis 5.10 Uhr weiter. Die Arbeiter schreien sich gegenseitig Arbeitsabläufe zu.

12. Mai, 22.45 Uhr: Laut! Und durchgehend. Die Arbeiter halten durch bis 5 Uhr früh. Die Anwohner?

13. Mai: Mittlerweile steht neues, schweres Gerät bereit. Wofür, bekomme ich noch raus.

15. Mai, 22.40 Uhr: Es wird gebaggert und geräumt – und das bis in den späten Vormittag.

16. Mai, 3 Uhr: Abbruch wird weggeräumt, es ist vergleichbar mit Zähneknirschen. Jeden Tag stelle ich vermehrtes Staubaufkommen in der Wohnung, auf dem Balkon und an den Fenstern fest. 4.30 Uhr: Presslufthammer. 5.30 Uhr: Baumaschinen sind immer noch im Einsatz.

18. Mai, 23 Uhr: Schuttbeseitigung. Manche Hausbewohner haben keine Hoffnung mehr. Es ist schlicht und ergreifend eine Sauerei, was hier Nacht für Nacht abgeht!

20. Mai: Wieder Baggerarbeiten, auch tagsüber.

22. Mai: Sonntagsruhe? Von wegen!

23. Mai, 5.15 Uhr: Eine hammerharte Nacht – endlich Feierabend.

24. Mai: Beladen, beladen, beladen...

 

 

 

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